Hans Pleschinski: Wiesenstein

„Was im Land geschah, drang nur spärlich zum Wiesenstein durch.“

Wiesenstein heißt die herrschaftliche Villa Gerhart Hauptmanns im niederschlesischen Agnetendorf, abgebildet auf dem stilvollen Cover, wo der Dichter seine letzten Lebensmonate im Kreise seiner zweiten Frau Margarete und seiner Angestellten verbrachte. Zugleich ist es der Titel von Hans Pleschinskis Romanbiografie über Hauptmann, der zu seiner Zeit berühmter und reicher war als sein Dauerkonkurrent Thomas Mann. Letzterem hat Pleschinski vor einigen Jahren mit dem Roman Königsallee ein Denkmal gesetzt. Die Spannungen zwischen den beiden Rivalen mündeten im Abbild Hauptmanns als lächerlicher Mynheer Peeperkorn in Der Zauberberg, was dieser zeitlebens übelnahm.

Nachdem Hauptmann während einer Erholungskur in Dresden die Zerstörung der Stadt durch die Allierten am 13.02.1945 erleben musste, wollte der bereits schwer von Krankheit gezeichnete 82-Jährige nur noch eines: zurück zum Wiesenstein. Zusammen mit seiner Frau Margarete, der Sekretärin und dem Masseur trat er die Heimreise über Görlitz unter dem Schutz der Gauleitung an, die mit der Rückkehr des namhaftesten Schlesiers in die bedrohte Heimat ein Zeichen gegenüber der Bevölkerung setzen wollte. Es wirkt wie ein Wunder, dass die Hauptmanns dort bis zu seinem Tod am 6. Juni 1946 samt Köchin, Zofe, Gärtner und anderen Mitbewohnern verhältnismäßig unbehelligt und luxuriös leben konnten, nicht zuletzt dank eines russischen bzw. polnischen Schutzbriefes, während ringsum Chaos, Auflösung, Gewalt, Panik, Flucht, Vertreibung und Hunger herrschten: „Was im Land geschah, drang nur spärlich zum Wiesenstein durch. … Inmitten des Tumults stand, noch seltsam unversehrt, der Wiesenstein.“

Hans Pleschinkis Roman setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Da ist zum einen die Lebensgeschichte Gerhart Hauptmanns, die in Erinnerungen und Gesprächen erzählt wird. Ein Fokus liegt dabei auf dem Arrangement des „überzeugten Kompromisslers“ mit dem Naziregime, der nicht wie so viele seiner Kollegen ins Exil ging. Obwohl kein Fanatiker, zeigte er bereitwillig den Hitlergruß, hisste vor seinem Haus auf Hiddensee die Hakenkreuzfahne, empfing Nazigrößen im Wiesenstein und äußerte Sätze wie: „Was der Führer verfügte, war besonnene Tat“. Carl Behl, der Jurist, Diplomat, Literaturliebhaber und Freund, der kurz vor Hauptmanns Tod sein Archiv ordnete und mit einem Sondertransport 40 Kisten in die Oberpfalz brachte, fasste es so zusammen: „Das unentschiedene Schwanken scheint eine Spezialität zu sein“ und „Die Judenfrage… wirkt hier im Hause bisweilen ungeklärt“.

Ein zweiter Fokus Pleschinkis liegt auf dem über 11000 Seiten umfassenden Werk Hauptmanns, an dem dieser bis zu seinem Tod noch feilte, Bühnenstücke, autobiografische Schriften, gedruckte Reden und Gedichte in sämtlichen Versmaßen. Weite Passagen werden hier zitiert, meist aus dem sehr pathetischen und mythstischen Spätwerk, was ich als eher ermüdend empfunden habe. Lust auf Hauptmann-Texte hat es mir – mit Ausnahme der frühen naturalistischen Dramen – nicht gemacht.

Ein dritter Teil schildert die Lebensumstände und die politischen Verschiebungen in der Phase ab März 1945 in Schlesien, die letzte Kriegsphase, die russische Besatzung und die anschließende polnische Verwaltung mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung. Diese sehr eindringlich geschilderten Passagen haben mir mit am besten gefallen.

Wiesenstein ist kein einfach zu lesender Roman und bisweilen haben die 540 Seiten sich für mich mehr wie Arbeit denn wie Vergnügen angefühlt, doch bin ich sehr froh, dass ich durchgehalten habe. Hans Pleschinkis Stil ist einerseits sehr literarisch und meist elegant, doch übertreibt er an manchen Stellen, wenn er beispielsweise den Gärtner ebenso reden lässt wie den Dichter. Dem Roman ist die umfangreiche, mehrjährige Recherchearbeit deutlich anzumerken, doch fühle ich bei Romanbiografien immer auch etwas Unbehagen, denn die Authentizität der Dialoge bleibt doch fraglich. Ich war deshalb sehr froh, im Epilog zu erfahren, dass Pleschinki nicht nur Zugang zu den bisher unveröffentlichten Tagebüchern der Hauptmanns hatte, sondern auch im Kontakt mit dem Hauptmann-Biografen Peter Sprengel und deren Enkelin Anja Hauptmann stand.

Hans Pleschinski: Wiesenstein. C.H. Beck 2018
www.beck.de

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert