Arno Frank: So, und jetzt kommst du

„Immerhin war es nicht langweilig“

Eigentlich hatte ich gedacht, dass mich nach Jeannette Walls‘ Schloss aus Glas kein Bericht über eine Kindheit mehr schockieren könnte. Doch Arno Franks autofiktionaler Roman So, und jetzt kommst du, der nicht in den fernen USA, sondern hier bei uns spielt, zu einer Zeit, als ich selber Kind war, hat es doch geschafft.

Arno Frank, heute Publizist und freier Journalist u. a. für die taz, Die Zeit und Spiegel Online, schildert die „wilden Jahre“ der Familie Frank aus der Sicht des ältesten Sohnes zwischen dessen fünftem Lebensjahr und der Pubertät. Der Vater, ein Hochstapler und Betrüger, bringt ihm früh bei: „Du musst dir aussuchen, was du sein willst. Angreifer oder Verteidiger“. Für sich selbst hat er klar die Rolle des Angreifers gewählt, den Verwaltungsjob an den Nagel gehängt und macht dubiose Geschäfte, für die er sich immer wieder Geld leiht und mit ebenso schillernden wie zwielichtigen Bekannten verkehrt. So geht zunächst das eigene Haus verloren und die Familie muss zur Miete in ein abgelegenes Haus ziehen. Sie leben vom Versprechen des Vaters, auf „das ganz große Geld“, das jeden Tag kommen kann, denn „jeden Tag steht wieder ein Dummer auf“, der sich übers Ohr hauen lässt. Als der „Arsch voll Geld“ schließlich da ist, flieht die Familie, mittlerweile mit drei Kindern, darunter ein Baby, an die Côte d’Azur und lebt eine Weile im Luxus, bis die Polizei auch dort vor der Tür steht und die Odyssee weiter nach Südeuropa geht. Doch die Abstiegsspirale ist nicht mehr aufzuhalten…

Der Autor erzählt diese schräge und tragische Familiengeschichte einerseits mit Humor, andererseits habe ich beim Lesen immer mehr Mitleid mit dem Ich-Erzähler bekommen, für den der Diercke-Atlas als Orientierung zum wichtigsten Besitz wird, der nicht mehr „ankommen“, sondern endlich in stabilen Verhältnissen leben möchte, und der des ewigen Wartens auf was auch immer müde ist. Im Gegensatz zur schwachen Mutter, die in kritischen Situationen Daumen lutscht, ihren Mann aufrichtig liebt und die Wirklichkeit verdrängt, ist die Schwester Jeany, obwohl jünger als der Ich-Erzähler, das tatkräftigste Mitglied der Familie und durchschaut die Lage erstaunlich klar.

„Immerhin war es nicht langweilig“, wird die Mutter viele Jahre später über ihr Leben sagen. Dem kann ich als Leserin voll und ganz zustimmen.

Arno Frank: So, und jetzt kommst du. Tropen 2017
www.klett-cotta.de/buecher/tropen

Andrea Hebrock: Sissi

Was Sissi braucht…

Vor einigen Jahren hatten wir ein Kind zu Gast beim Kindergeburtstag unserer Tochter, das seine Pommes ausschließlich mit Ketchup der Marke „Heinz“ essen wollte – ein kleines Drama…

An diese Episode musste ich beim Bilderbuch Sissi von Jutta Langreuter, illustriert von Andrea Hebrock, denken. Sissi ist für eineinhalb Tage und eine Nacht bei Familie Yak-Yak zu Besuch: Vater, Mutter und Moritz. Bereits äußerlich hebt sie sich ab, gibt sich bescheiden, isst elegant, aber in Wahrheit ist sie eine verwöhnte kleine Göre, die zu den Kartoffeln Quark, Dill, Petersilie und ein kleines Stück Butter „braucht“, zum Toast ein kleines Stück Käse, eine Tomatenscheibe, eine kleine Gurke und ein paar Maiskörner, zum Spielen im Kaufladen eine Waage usw. usw.

Entschieden, aber trotzdem vorsichtig, gehen die Yak-Yaks daran, Sissi zu einem angenehmeren Gast zu erziehen. Und als sie schließlich abgeholt wird und Moritz fragt, ob sie jetzt Freunde seien, entspinnt sich folgender Dialog:

„Ja, aber nur, wenn du – wenn du mein Freund bist, musst du… brauche ich…“ „Nein“, sagt Moritz, „ – ich bin dein Freund, so wie ich bin, der Moritz eben.“ Sissi überlegt. „Na gut“, lächelt sie.

Andrea Hebrock: Sissi. Sauerländer 2003
www.fischerverlage.de

Joseph Roth: Die Legende vom heiligen Trinker

„Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod.“

Die Legende vom heiligen Trinker erschien 1939 posthum in Amsterdam, nachdem Joseph Roth (1894 – 1939) kurz zuvor im Pariser Exil verarmt und alkoholkrank verstorben war.

Die Alkoholsucht des aus dem polnischen Schlesien stammenden Andreas, der unter den Brücken von Paris ein armseliges Dasein fristet, steht im Mittelpunkt der Novelle. Als erstes von mehreren Wundern erhält Andreas von einem fremden Herrn 200 Francs. Da er ein „Mann von Ehre“ ist, will er das Geld selbstverständlich zurückzahlen, und zwar der kleinen Statue der heiligen Therese von Lisieux in der Kapelle Ste Marie des Batignolles. Doch immer wieder, wenn er erneut durch ein Wunder überraschend zu Geld kommt, steht ihm seine Trunksucht im Weg, bis er schließlich umfällt und stirbt. Joseph Roth kommentiert seinen Tod mit den Worten: „Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod.“

In der Lesung auf einer CD mit 75 Minuten unterstreicht Mario Adorf als Sprecher nicht nur die Vollkommenheit von Joseph Roths Sprache, sondern bringt auch die Unausweichlichkeit von Andreas‘ Situation eindringlich zu Gehör.

Joseph Roth: Die Legende vom heiligen Trinker. Diogenes Hörbuch 2007
www.diogenes.ch

Lorraine Fouchet: Ein geschenkter Anfang

Niemand ist mehr allein

Lou ist tot, gestorben mit 56 Jahren in einem Pflegeheim auf der bretonischen Île de Groix an einer schnell fortscheitenden Demenzerkrankung. Sie war nicht nur der Mittelpunkt ihrer Familie, sie war auch der Mörtel, der sie zusammenhielt, eine humorvolle, warmherzige und lebhafte Frau ohne jedes Talent für die Küche, aber mit viel Liebe für ihren Mann Jo, den Sohn Cyrian, die Tochter Sarah und die Enkelinnen Pomme und Charlotte.

Auf ihren Mann Jo, der an ihrem Tod zu zerbrechen droht, wartet beim Notar eine Überraschung. Lou verlangt von ihm, innerhalb von zwei Monaten dafür zu sorgen, dass seine Kinder, um die er sich nie genug gekümmert hat, endlich glücklich werden. Cyrian, der Sohn, hat eine Tochter und eine frühere Geliebte auf Groix, führt in Paris eine wenig glückliche Ehe, aus der ebenfalls eine Tochter hervorgegangen ist, und hat eine Geliebte. Sarah dagegen ist durch eine Erkrankung seit Jahren auf Krücken oder den Rollstuhl angewiesen, weshalb ihr Verlobter sie verlassen hat, und scheut seither eine feste Bindung. Jedes Familienmitglied leidet für sich allein, unfähig zur Kommunikation, um die vielen Missverständnisse aus der Welt zu schaffen. Eine Herkulesaufgabe daher für Jo, wenn er sich als Belohnung Lous Abschiedsbrief verdienen will!

Lorraine Fouchets gefühlvoller Roman Ein geschenkter Anfang erzählt die Geschichte einer sprachlosen Familie, die Dank des Vermächtnisses einer klugen Frau noch einmal von vorne beginnen kann. Alle Familienmitglieder erzählen abwechselnd aus ihrer Sicht, sogar Lou von „dort, wohin wir alle einmal gehen“. Zunächst berichten und klagen sie mit ganz und gar unterschiedlichen Stimmen, aber mit dem Fortschreiten des Romans werden die Übereinstimmungen immer größer und mit der Bereitschaft, sich einander langsam zu öffnen, steigt die Hoffnung auf ein Happy End.

Mir hat bei der Lektüre vor allem die Beschreibung der acht mal vier Kilometer großen bretonischen Île de Groix und das Einflechten vieler, vor allem französischer Chansons in den Text gefallen, aber auch, dass viele Akteure sich im Laufe der Geschichte als ganz anders entpuppt haben, als ich zu Beginn dachte. Die Lebens- und Liebesgeschichte von Lou und Jo ist wunderschön erzählt und Lorraine Fouchets französischer Charme und ihr Augenzwinkern im richtigen Moment umschiffen fast immer den drohenden Kitsch.

So kommt es, dass ein an sich sehr trauriges Buch mir immer wieder ein Lächeln entlockt und mich sehr gut unterhalten hat.

Lorraine Fouchet: Ein geschenkter Anfang. Atlantik 2017
www.atlantikverlag.de

Knut Krüger: Nur mal schnell das Mammut retten

Wenn Träume sich ganz anders erfüllen

Wie so viele Kinder wünscht Henry sich dringend einen Hund, ganz im Gegensatz zu seinen Eltern, die sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden können, zu den sieben Millionen deutschen Hundebesitzern zu gehören. Doch dann geht Henrys Wunsch nach einem Tier zum Knuddeln und Kuscheln plötzlich ganz anders in Erfüllung, als er sich das ausgemalt hat, denn er „stolpert“ im Wald über ein Minimammut. Zum Glück sind seine Eltern gerade im einwöchigen Kurzurlaub, seine tolle Oma aus England ist zu Besuch und auf seine dicken Freunde Zoe und Finn ist jederzeit Verlass… Denn schließlich gibt es – anders als bei Hunden – keine Bücher zur richtigen Mammuthaltung. Wie also Norbert, das Minimammut, füttern, pflegen und erziehen?

Mir hat an diesem sehr lustigen, actionreichen Vorlesebuch für Jungen und Mädchen ab sechs Jahren, zum Selberlesen ab der dritten Klasse, besonders gut gefallen, wie der sympathische zehnjährige Ich-Erzähler Henry im Laufe dieser einen Woche an Selbstbewusstsein und Mut gewinnt, nicht zuletzt dank seiner psychologisch sehr geschickten Oma und seiner wirklich guten Freunde. Gemeinsam bestehen die Kinder so manches Abenteuer vom Mammutbad über den gefährlichen Ausflug auf die Zugspitze bis zur Mammutentführung, aber zuletzt heißt es zum Glück: Ende gut – alles gut!

Schade nur, dass es nicht mehr von Eva Schöffmann-Davidovs hübschen Schwarz-Weiß-Illustrationen gibt!

Knut Krüger: Nur mal schnell das Mammut retten. dtv junior 2017
www.dtv.de

Isabelle Autissier: Herz auf Eis

Was existenzielle Bedrohung aus Menschen macht

Die „Jason“, ihr Segelboot, soll ihr Ticket in die Freiheit sein. Ein Sabbatjahr lang möchten Ludovic und Louise die Weltmeere erkunden, bevor sie endgültig zusammen sesshaft werden. Der Ausbruch aus dem Pariser Büroalltag war Ludovics Idee. Er, der Sonnyboy, das Einzelkind, dem es dank gutverdienender Eltern nie an etwas gefehlt hat, musste die eher vorsichtige, konventionelle und fast etwas mauerblümchenhafte passionierte Bergsteigerin Louise zu diesem Abenteuer überreden. Louise, die noch immer darüber staunt, dass der umschwärmte Ludovic sich ausgerechnet für sie entschieden hat, willigt schließlich ein und die beiden legen in Cherbourg ab. Einmal gestartet, sind beide begeistert und genießen ihre Auszeit verliebt und in vollen Zügen. So sicher fühlen sie sich, dass sie, ohne jemanden zu informieren, die Insel Stromness vor Kap Hoorn, 800 Meilen von den Falkland-Inseln entfernt, anlaufen, ein Naturschutzgebiet voller Pinguine und Robben, dessen Betreten verboten ist. Vom Sturm überrascht, büßen sie ihr Schiff ein und sie sind plötzlich mitten in einem dramatischen Abenteuer auf Leben und Tod, das sie so nicht gesucht haben. Ohne Schiff, ohne Kommunikationsmittel, ohne Nahrung werden sie zum Teil des Ökosystems der Insel, eine seit den 1950er-Jahren stillgelegte Walfangstation ihr Zuhause und Hunger ihr ständiger Begleiter.

Der Roman Herz auf Eis der 1956 geborenen Französin Isabelle Autissier, die selbst 1991 als erste Frau allein die Welt umsegelt hat, ist zum einen eine Robinson-Geschichte des 21. Jahrhunderts und lebt natürlich von der Spannung, ob Louise und Ludovic gerettet werden oder nicht. Noch viel packender für mich war aber die psychologische Ebene des Romans. Die Gefühlswelt der beiden Schiffbrüchigen reicht von Angst, Panik, Wut, Hass, Reue, Vorwürfen und Gewalt bis zu verzweifeltem Verlangen nacheinander. Den beständigen Sorgen um die Ernährung, dem ersterbenden Enthusiasmus, der sich verschlechternde Gesundheitszustand und die immer drängender werdende Auseinandersetzung mit dem Tod versucht vor allem die mental stärkere Louise mit der Aufrechterhaltung einer Alltagsstruktur und immer neuen Projekten entgegenzutreten – mit immer geringem Erfolg. Kann die Menschlichkeit und ihre Liebe der Angst und dem gnadenlosen Kampf ums Überleben standhalten?

Mich hat dieser nur etwa 220 Seiten starke Roman, diese grandiose psychologische Studie, sowohl inhaltlich wie sprachlich vollauf begeistert. Mit ganz wenigen Worten schafft es Isabelle Autissier, Landschaften, Situationen und Gefühle großartig und eindringlich darzustellen. Knappe, klare Sätze, die mich sehr an die Schreibweise ihrer von mir sehr geschätzten Landsfrau Claudie Gallay erinnern, kennzeichnen ihren Stil.

Herz auf Eis ist mein bisheriges Lesehighlight des Jahres 2017 und ein Vorgeschmack auf das Literaturland Frankreich, das im Oktober dieses Jahres Gastland der Frankfurter Buchmesse sein wird. Auch ohne den Prix Goncourt, für den das Buch nominiert war, wird es garantiert viele Leserinnen und Leser begeistern, auch solche, die sich vielleicht nicht auf den ersten Blick von einem Robinson-Roman angesprochen fühlen!

Isabelle Autissier: Herz auf Eis. mare 2017
www.mare.de

María Dueñas: Wenn ich jetzt nicht gehe

Den Blick auf neue Horizonte richten

In ihrem knapp 600 Seiten starken dritten Roman Wenn ich jetzt nicht gehe, in Spanien das meistverkaufte Buch des Jahres 2015, erzählt die 1964 geborene María Dueñas ein Jahr im Leben des Mauro Larrea.

Nach dem frühen Tod seiner Frau mit zwei Kleinkindern von Spanien nach Mexiko ausgewandert, hat Mauro Larrea es vom Bergarbeiter zum reichen Silberminenbetreiber gebracht und bewohnt einen prachtvollen alten Palast in Mexiko-Stadt. Nur dieser, mit einer hohen Hypothek belastet, bleibt ihm, als er knapp 50-jährig nach einem hochriskanten Geschäft bankrottgeht. Der Sezessionskrieg hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht und unverschuldet steht er vor dem Ruin.

Vier Monate Zahlungsziel räumt ihm der Wucherer Tadeo Carrús im perfidesten Vertrag seines Lebens ein, bevor er seinen Palast dem Erdboden gleichmachen will. Doch wo und wie soll Mauro Larreo so schnell zu Geld kommen? Sein abenteuerlicher Weg führt ihn über Kuba zurück ins Mutterland Spanien, nach Jerez de la Frontera, immer in dem Bestreben, das Kapital zusammenzubekommen, um nach Mexiko zurückzukehren, „sein Eigentum, seinen Status, seine Vergangenheit zurückzuerobern“ und „um mit gestärktem Selbstvertrauen wieder in die Haut des Mannes zu schlüpfen, der er einmal gewesen war.“

Von der ersten Seite an, auf der man von Mauro Larreos Bankrott erfährt, habe ich Partei für diesen Mann ergriffen und bin ihm gerne auf seinem abenteuerlichen Weg über zwei Kontinente gefolgt. Untergang, Verrat, Intrigen, ein altes Familiengeheimnis, verzweifeltes Verlangen nach Liebe und ein spannender Kampf gegen die Zeit sind die Zutaten zu diesem opulenten historischen Roman. Daneben hat mir auch die Zeichnung der Charaktere gefallen, die nie nur schwarz oder weiß sind, ebenso wie die historischen Hintergründe des Verhältnisses zwischen dem spanischen Mutterland und dem südamerikanischen Kontinent.

Ein flüssig erzählter, spannender historischer Roman in einem geografischen Kontext, über den ich bisher noch nicht viel gelesen hatte.

María Dueñas: Wenn ich jetzt nicht gehe. Insel 2017
www.suhrkamp.de

Wilfried Gebhard: Kunterbunte Kinderwitze

Heute schon gelacht?

„Mama, ich habe
die große Leiter umgestoßen!“
„Dann hol deinen Vater,
damit er dir hilft!“
„Der kann nicht,
er hängt an der Dachrinne.“

Was tun mit Erstlesern, die man einfach nicht für das Lesen begeistern kann? Die meisten Kinder lieben Witze, und genau dies macht sich Kunterbunte Kinderwitze aus der Arena Erstlesereihe Der Bücherbär zunutze. Knapp 60 kindergeeignete Witze, über die auch Erwachsene noch schmunzeln können, sind hier in großer Fibelschrift mit maximal elf kurzen Zeilen und sehr lustig illustriert von Wilfried Gebhard abgedruckt. Die Witze stammen aus der inzwischen eingestellten Zeitschrift für Leseanfänger Mücki und Max. Für das Buch wurden sie nach Themen in fünf Kapiteln geordnet. Wie jeder Band der Reihe hat auch dieser ein hübsches Lesebändchen mit dem Bücherbär als Plastikfigur und als weitere Beigabe bunte ABC-Sticker. Obwohl auch das ein oder andere etwas schwierigere Wort vorkommt, ist schneller Leseerfolg ab dem zweiten Halbjahr der ersten Klasse garantiert und der Lacherfolg sowieso.

Noch ein Beispiel gefällig?

Was ist braun, haarig und hustet?
Eine Kokosnuss,
die sich verschluckt hat.

Wilfried Gebhard: Kunterbunte Kinderwitze. Arena 2016
www.arena-verlag.de

Mikaela Bley: Glücksmädchen

Zwischen Psychokrimi und Gesellschaftsdrama

Ein Glücksmädchen, wie es der Titel des Buches und ihr Name suggerieren, ist Lycke wahrlich nicht. Die Achtjährige lebt nach der Scheidung ihrer Eltern Helena und Harald vor vier Jahren wochenweise abwechselnd bei beiden Elternteilen. Helena hat keine emotionale Bindung zur Tochter und ist beruflich als Immobilienmaklerin stark eingespannt, Haralds neue Frau Chloé ist eifersüchtig auf Lycke und fürchtet deren Konkurrenz für ihren kleinen Sohn. Einziger Lichtblick für Lycke, die auch keine Freunde hat, ist die Nanny Mona, ihre einzige Vertraute, die jedoch kurz vor der Pensionierung steht.

Doch bevor es dazu kommt, ist Lycke eines Abends verschwunden. Chloé hat sie vor der Tennishalle in Stockholm abgesetzt, obwohl das Tennis ausfiel – ein klassisches Missverständnis im Chaos der verschiedenen Zuständigkeiten für das Kind.

Der Fall landet bei der TV-Journalistin Ellen Tamm und lässt bei ihr, die im Alter von acht Jahren ihre Zwillingsschwester verloren hat, ein unbewältigtes Trauma wiederaufleben. Mehr als die Polizei, die zunächst eher verhalten die Ermittlungen aufnimmt, tut sie alles für einen guten Ausgang des Vermisstenfalls und stürzt sich mit fast schon fanatischem Eifer in die Aufklärung. Alles scheint möglich: ein Familiendrama, eine Entführung, Lyckes Ausreißen oder eine pädophile Tat.

Der Debütroman der Schwedin Mikaela Bley ist für mich mehr Psychokrimi als Psychothriller und nebenbei ein modernes Gesellschaftsdrama. Die Suche nach Lycke gestaltet sich spannend, auch wenn ich im letzten Drittel die Auflösung erahnt habe. Einen besonderen Reiz hatte für mich die detaillierte Erwähnung der Stockholmer Örtlichkeiten, weil ich dadurch immer ein Bild vor Augen hatte, und die strikte chronologische Abfolge mit den entsprechenden Kapitelüberschriften, dank derer ich zeitlich immer sehr gut orientiert war. Die persönliche Involvierung der labilen Ellen, die im Laufe der Handlung immer stärker wird, hätte es in meinen Augen dagegen nicht unbedingt gebraucht. dafür hätte ich gerne mehr über die Ermittlungsarbeit der Polizei erfahren, die eigentlich nur in Person des korrupten Polizeibeamten Ove in Erscheinung tritt.

Alles in allem hat mir die Lektüre von Glücksmädchen ein paar sehr unterhaltsame Lesestunden beschert und ich werde die Autorin mit Sicherheit im Auge behalten.

Mikaela Bley: Glücksmädchen. Ullstein 2017
www.ullsteinbuchverlage.de

Gundi Herget: Wie König Böhnchen die wahrhaft wütende Prinzessin Rikiki fand

Ein Land, in dem das Auslachen verboten ist

Oetinger34 ist ein Imprint des renommierten Oetinger Verlags und eine Onlineplattform. 2014 gestartet, kommen hier Autoren, Illustratoren, Juniorlektoren und Leser zusammen und die besten Ergebnisse dieser Zusammenarbeit erscheinen anschließend in der Edition Oetinger34. für mich war Wie König Böhnchen die wahrhaft wütende Prinzessin Rikiki fand der erste Titel dieses Imprints und sofort ein Volltreffer.

Das hatten sich die Bewohner des Grünen Landes am Meer ganz anders vorgestellt, als sie die Stelle des Königs neu vergeben wollten. Einziger Bewerber ist der winzige König Böhnchen, über den sie nur lachen können. Genauso lachen sie auch über das winzige Schloss, das er baut, den Diener Langbein, der länger und dünner ist als jeder andere im ganzen Land, und die dicke Köchin Buletta, die rund wie ein Ball ist und ganz vorzüglich kocht. Vielleicht hätten sie weniger gelacht, wenn sie auf der Reise der drei zur winzigen Prinzessin Rikiki, die aus Wut gerne mal mit Büchern wirft, dabei gewesen wären, denn dann hätten sie gesehen, wie jeder seine Fähigkeiten zum Bestehen der Abenteuer einsetzt. Als sie zu viert zurückkehren, erkennt das Volk, dass sie ein gütiges und gerechtes Königspaar haben und das Gesetz, das fortan das Auslachen bei Kerkerstrafe verbietet, muss gar nicht mehr angewendet werden, so vernünftig sind die Menschen geworden.

Auch wenn das Bilderbuchformat und die märchenhafte Anmutung und Sprache vielleicht zum früheren Vorlesen verführen, ist Wie König Böhnchen die wahrhaft wütende Prinzessin Rikiki fand von Gundi Herget für Jungen und Mädchen ab frühestens fünf Jahren geeignet, denn es hat eine umfangreiche Textmenge und stellt bereits einige Anforderung an die Zuhörfähigkeit und die Konzentration. Ab diesem Alter werden Jungen und Mädchen gleichermaßen begeistert sein, denn es ist für jeden Geschmack etwas dabei: Abenteuer, Humor, eine Prinzessin und vor allem ein wunderbares Happy End. Die bunten Illustrationen von Kerstin Kubalek, denen ich zunächst abwartend gegenüberstand, haben mich nach kurzer Zeit vollständig überzeugt, denn sie sind sehr aussagekräftig und pointiert, pfiffig und humorvoll und geben viel Raum für weiterführende Entdeckungen.

Mit seinem ohne erhobenen Zeigefinger und unaufdringlich vorgebrachten Plädoyer für Toleranz kann dieses Vorlesebuch Grundlage für ein Gespräch mit Kindern über das bereits im Kindergarten aktuelle Thema Mobbing sein. Nicht nur, dass die kleinen Zuhörerinnen und Zuhörer erkennen, wie dumm sich die Bewohner des Grünen Landes am Meer zu Beginn verhalten, sie erfahren auch, wie man durch freundliche Beharrlichkeit den Mobbern den Wind aus den Segeln nehmen kann.

Gundi Herget: Wie König Böhnchen die wahrhaft wütende Prinzessin Rikiki fand. Oetinger34 2016
www.oetinger.de