Rosa Liksom: Die Frau des Obersts

  Ideologie und Gewalt

Im Roman Lempi, das heißt Liebe der Finnin Minna Rytisalo, einem Lesehighlight 2018, hatte ich bereits einiges zur Geschichte Lapplands im Zweiten Weltkrieg erfahren. Für die Lektüre von Die Frau des Obersts von Rosa Liksom war dieses Wissen hilfreich, auch wenn die Handlung hier schon früher einsetzt. Vier Kriege führte Finnland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach der Unabhängigkeit 1918 fochten im Finnischen Bürgerkrieg die siegreichen bürgerlichen Weißen mit den sozialistischen Roten die neue Staatsform aus. Im Winterkrieg 1939/40 gegen die Sowjetunion wahrte Finnland zwar seine Unabhängigkeit, verlor jedoch Teile Ostkareliens. Vom Sommer 1941 bis Herbst 1944 kämpfte Finnland an der Seite des Deutschen Reiches im sogenannten Fortsetzungskrieg erneut gegen die Sowjetunion mit dem Ziel eines Großfinnlands. Der Waffenstillstandsvertrag vom 19.09.1944 verpflichtete Finnland zur Vertreibung der 200.000 Wehrmacht-Soldaten aus Lappland, wodurch es zwischen September 1944 und April 1945 zum Lapplandkrieg mit der Folge der verbrannten Erde kam.

Überall Gewalt
Die namenlose Ich-Erzählerin des Romans, für die es ein reales Vorbild gibt, wird schon im Kindesalter zuhause und bei den „Lottas“, einer paramilitärischen Frauenorganisation der Weißen, auf ihre Bestimmung vorbereitet:

Ich lernte, dass eine Frau fleißig bis zur Selbstaufopferung und gehorsam sein und sich gründlich auf ihr künftiges Los als Soldatenmutter vorbereitet sein muss. Dass zum Mannsein ein Stück Tyrannei gehört und dass der Mann der Frau moralisch überlegen sein soll, […] und dass die Frau lernen muss, das zu akzeptieren und den Mann trotzdem in aller Unschuld und Reinheit zu lieben.

Trotz Warnungen wird sie mit gut 20 Jahren die Geliebte des ebenso namenlosen Obersts, 28 Jahre älter und für seine Gewalttätigkeit berüchtigt. Als seine Verlobte führt sie ein privilegiertes Leben, verinnerlicht die nationalsozialistische Propaganda, akzeptiert die Gräuel in deutschen wie finnischen Lagern, ist mit Generaloberst Dietl befreundet und trifft Göring, Himmler, Mannerheim, Speer, den norwegischen Naziführer Quisling und sogar Hitler. Solange er sich im Feld austoben kann, wahrt der Oberst den häuslichen Frieden. Als er sie jedoch nach dem Waffenstillstandsvertrag und zehn Jahren „Techtelmechtel“ heiratet und sich durch Untertauchen dem „Bruderkrieg“ sowie einer möglichen Verurteilung als Kriegsverbrecher entzieht, beginnen mörderische häusliche Gewaltexzesse.

Von seinem Trieb genötigt jagte und verehrte er ein Weibchen so lange, bis er es in der Falle hatte, und danach begann die Zeit der Folter und Verächtlichkeit.

Erst nach 20 Jahren Beziehung und einem Psychiatrie-Aufenthalt gelingt ihr ein neues Leben als Lehrerin und Schriftstellerin.

Vier Leben
In der kurzen Rahmenhandlung, je zwei Seiten zu Beginn und am Ende, spricht ein auktorialer Erzähler über vier Leben der Ich-Erzählerin: Kindheit, die Zeit mit dem Oberst, eine weitere Ehe mit einem 28 Jahre jüngeren Mann, den sie als 14-jährigen Schüler verführt, und das Lebensende, als sie in Abgeschiedenheit ihren Frieden findet.

Zwiespältiges Fazit
So sehr mich der geschichtliche Hintergrund des Romans interessiert, zu dessen Verständnis das lobenswerte Glossar beiträgt, so sehr hat mich die obszöne Sprache abgestoßen, die ich nur schwer einer alten Frau zuordnen kann. Es fehlt mir auch völlig an Empathie für die Ich-Erzählerin, immerhin eine misshandelte Frau, die als glühende Nationalsozialistin selbst kein Mitleid mit den Opfern hatte und sich bis zuletzt nicht dafür schämt.

Rosa Liksom: Die Frau des Obersts. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Penguin 2020
www.randomhouse.de

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