Arno Geiger: Reise nach Laredo

  Am Sterbebett eines zurückgetretenen Kaisers

Große Hoffnung hatte ich – nur wenige haben sich erfüllt, und nur wenige bleiben mir: und um den Preis welcher Mühen! Das hat mich schließlich müde und krank gemacht. Ihr wisst alle, wie sehr … Ich habe alle Wirrnisse nach Menschenmöglichkeit bis heute ertragen, damit niemand sagen könnte, ich sei fahnenflüchtig geworden. Aber jetzt wäre es unverantwortlich, die Niederlegung noch länger hinauszuzögern. Glaubt nicht, dass ich mich irgend Mühen und Gefahren entziehen will: Meine Kräfte reichen einfach nicht mehr hin. (Auszug aus der Abdankungserklärung Kaiser Karls V. – Brüssel, 25. Oktober 1555)

1555/56 trat Karl V (1500 – 1558) als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und König von Spanien zurück und tauschte sein Reich, in dem die Sonne nie unterging, gegen einen kleinen Palast, den er an das Hieronymiten-Kloster von Yuste im Hochland der Extremadura südwestlich von Madrid anbauen ließ. Schwer gezeichnet von Gicht und Malaria verbrachte er seine beiden letzten Jahre nahezu bewegungsunfähig und mit einem Hofstaat, der auf seinen Tod wartete.

Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger zeigt Karl V. in seinem Roman Reise nach Laredo als vom Leben enttäuschten, einsamen, grübelnden, gelangweilten, schmerzgeplagten Greis mit dem Makel des ausgeprägten Habsburger Kinns, der nach dem Verlust seiner Titel völlig auf sich selbst zurückgeworfen ist:

Er hat seine Kronen abgelegt in der Absicht, sich vor Gott in höchst eigener Person zu verantworten. (S. 14)

Als der Roman kurz vor Karls Tod einsetzt, ist er seinem Ziel nicht nähergekommen:

Der Rücktritt hat nicht die erhoffte Befreiung gebracht. (S. 27)

Vergeblich wartet der streng katholische Karl auf Lossprechung und Gewissheit darüber, was ihn erwartet.

Foto: © B. Busch. Cover: © Hanser.

Unterwegs
Bis hierher liest sich Reise nach Laredo wie ein gewöhnlicher, wenn auch außerordentlich gut geschriebener historischer Roman. Was nun folgt, mutet allerdings märchenhaft an: Mittels einer waghalsigen (Traum-)Reise will Karl ergründen, was ihm mit seinem Beichtvater nicht gelang: Wer er als Mensch ohne Kronen ist. Er, der schon als Jugendlicher mehrere Throne bestieg, konnte sich nie kennenlernen, Freundschaften schließen, Freiheit empfinden und einfach nur leben. Aberwitzig ist der Aufbruch des Todkranken bei Nacht und Nebel mit dem elfjährigen Geronimo, seinem illegitimen Sohn, der nichts von seiner Abstammung ahnt.

Zusammen mit dem Geschwisterpaar Honza und Angelita, die der verfolgten Gruppe der Cagots angehören, und die Karl kurzerhand aus den Fängen von Folterknechten befreit, machen sie sich auf die abenteuerliche Reise Richtung Meer. Nach längeren Aufenthalten bei einer Heilerin und in der Spelunke der Toten Stadt, in der Karl nächtelang säuft und sein Geld verspielt, liegt der Weg endlich frei vor ihnen.

Im Kloster und unterwegs
Großartig fand ich vor allem die Rahmenhandlung im Kloster mit der unvergesslichen Badeszene zu Beginn und der Auflösung des Hofstaats am Ende. Bei der Road Novel dazwischen war ich gespalten, es ist üblicherweise nicht mein bevorzugtes Genre. Manches, wie der Aufenthalt in der Spelunke und Karls multiple Abstürze, war mir deutlich zu ausführlich, anderes, wie Karls Faszination von Geronimos und Angelitas unbeschwert kindlichem Verhalten, hat mir dagegen sehr gut gefallen. Zu Hochform läuft Arno Geiger auf, wo er die Rahmenhandlung und die Reise verschränkt.

Leben statt Grübeln
Wer bei Reise nach Loredo Informationen zu Karls Leben als Herrscher erwartet, wird vermutlich enttäuscht, viel mehr als Andeutungen zu seiner Biografie, vor allem seinen zahlreichen Misserfolgen, findet man nicht. Wer dagegen in den Sterbeprozess eines Mannes eintauchen und verstehen möchte, warum sich Antworten nicht durch Einkehr und Grübelei, sondern durch Konfrontation mit dem Leben und der Welt ergeben, wird den Roman lieben.

Arno Geiger: Reise nach Laredo. Hanser 2024
www.hanser-literaturverlage.de

 

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