Ein Erinnerungsbuch für den vom IS ermordeten Sohn
Am 19. August 2014 ermordeten IS-Terroristen in der syrischen Wüste den US-amerikanischen Journalisten James W. Foley, der seit November 2012 ihre Geisel war. Das schockierende Video von seiner Enthauptung stellten sie ins Netz:
Die Welt reagierte mit fassungslosem Entsetzen oder brach beim Anblick einer verwundeten Weltmacht in Jubel aus. (S. 65)
Seine Mutter, Diane Foley, beschreibt in ihrem gemeinsam mit dem Autor Colum McCann verfassten Erinnerungsbuch ihre Gefühle so:
Der seelische Schmerz lässt sich nur metaphorisch beschreiben. Ich war erschlagen, mein Herz in tausend Stücke gerissen. (S. 57)
Ganz nah dran
James W. Foley, geboren 1973, kam aus einer typisch amerikanischen Mittelschichtfamilie. Er wuchs zusammen mit vier jüngeren Geschwistern behütet in einer sehr katholisch geprägten Familie in New Hampshire auf. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern suchte er lange nach seiner Berufung und fand sie schließlich zunächst als angestellter, später freier Kriegsberichterstatter im Irak, in Afghanistan, während des arabischen Frühlings in Libyen und schließlich in Syrien:
Seine Devise lautete: «Früher da sein, länger bleiben, dichter rangehen.» (S. 129)
Für seine Suche nach Wahrheit und sein Bestreben, allen eine Stimme zu geben, ging er bewusst ein extrem hohes Risiko ein. Obwohl er bereits 2011 in Libyen eine sechswöchige Entführung durch Regierungstruppen erlebte, brach er nur wenige Monate später ins noch gefährlichere Syrien auf.
Ein Buch in drei Teilen
Diane Foley widmet den mittleren und Hauptteil ihres Buches American Mother, den der Autor Colum McCann in der Ich-Form aufgeschrieben hat, einerseits dem Andenken ihres Sohnes, um den schrecklichen Enthauptungsbildern etwas entgegenzusetzen. Sie schildert dessen Werdegang, seine Motive und seinen, wie sie sagt, moralisch begründeten Mut. Dass diese Beschreibungen oft heldenhaft überhöht erscheinen, kann man der Mutter nachsehen. Andererseits schildert sie, was sie in den Monaten der Entführung erlebte: gelbe Erinnerungsbändern an den Bäumen ihrer Straße, aber ein Wegducken der Obama-Regierung, die Verweigerung von Verhandlungen, wie europäische Regierungen sie erfolgreich für ihre Entführungsopfer führten, und Strafandrohungen, sollte die Familie selbst mit den Entführern in Kontakt treten:
Wir hielten an Grundsätzen fest, nicht an Menschen. (S. 179)
Ab dem Frühjahr 2013, nachdem sie ihre Stelle als Krankenschwester gekündigt hatte, kämpfte Diane Foley öffentlich für einen anderen Umgang mit US-amerikanischen Geiseln im Ausland, ohne Erfolg. Erst mit der Gründung einer Stiftung nach James‘ Tod, in der sie bis heute arbeitet, konnte sie Verbesserungen für Entführungsopfer und ihre Angehörigen, vor allem aber geregelte politische Zuständigkeiten erreichen.
Im ersten und dritten Teil des Buches schreibt Colum McCann über drei Treffen zwischen Diane Foley und einem der Mörder ihres Sohnes, Alexanda Kotey, einem zum Islam konvertierten Ex-Briten. Sie fanden nach dessen Verhaftung, Auslieferung und seinem Deal mit der Staatsanwaltschaft Ende 2021 und im Juni 2022 gegen den Rat ihrer Familie und Freunde und ohne, dass sie den genauen Grund dafür angeben kann, statt. Neben ihrer religiösen Überzeugung und dem Wunsch, dem Hass etwas entgegenzusetzen, war wohl ihre Überzeugung, damit den Absichten ihres Sohnes ganz nahe zu kommen, Triebfedern dafür.
American Mother ist ein durch und durch amerikanisches Buch, ganz wie der zu recht vom englischen Original übernommene Titel. Es enthält keine tiefergehende politische Reflexion, verzichtet auf Außenperspektive und ist ganz Erinnerungsbuch. Diane Foleys Kraft und Energie, die sie aus der Familie schöpft, haben mir imponiert, ebenso wie ihr Glaube. Ihr unreflektierter Patriotismus und ihre tief religiöse Weltsicht ohne jeden Schatten eines Zweifels waren mir dagegen entschieden zu dick aufgetragen.
Colum McCann mit Diane Foley: American Mother. Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt 2025
www.rowohlt.de