Familienfehden
Der Vater, Leonard Plumb, hat es gut mit Melody, Beatrice, Jack und Leo gemeint. Der Fond mit ihrem Erbe, von ihnen „das Nest“ genannt, soll am 40. Geburtstag der Jüngsten in der Geschwisterreihe, Melody, ausbezahlt werden. Darauf haben sie sich immer voll und ganz verlassen: Melody, die ganz in ihrer Rolle als Helikoptermutter aufgeht und für ihre Töchter nur das allerbeste bzw. die Erfüllung ihrer eigenen Träume möchte, Bea, die nach einem Erfolg als Schriftstellerin in jungen Jahren nie mehr etwas zustande gebracht hat, Jack, ein erfolgloser Antiquitätenhändler, der ein ewiges Kind geblieben ist und immer mehr vom Leben verlangt, als er bereit zu leisten ist, und Leo, der unsympathische Playboy, der sehr jung in der Medienbrache reich geworden ist und sein ganzes Geld durchgebracht hat. Eben dieser durch und durch egozentrische Älteste ist es, der mit Hilfe seiner unfähigen Mutter den Fond plündert, nachdem er wieder einmal Mist gebaut hat. Schlagartig stehen Melody, Bea und Jack vor dem Nichts und sind zum ersten Mal gezwungen, ihr Leben ohne die Aussicht auf die Erbschaft auf die Reihe zu bekommen.
Das Nest ist der Debütroman der US-Amerikanerin Cynthia d’Aprix Sweeney, mit dem sie in ihrer Heimat zu recht die Bestsellerliste gestürmt hat, denn es ist ein überaus kluger, unterhaltsamer und stellenweise sehr humorvoller Familienroman und zugleich ein scharfsinniges Gesellschaftsporträt. Die Autorin beobachtet ihre Protagonisten sehr fein und entlarvt ihre Lebenslügen, ohne sie jedoch peinlich bloßzustellen. Auch der sehr durchdachte Aufbau in drei Teilen, die jeweils in einer Familienzusammenkunft gipfeln, hat mir ausnehmend gut gefallen, ebenso wie die Schilderung New Yorks und der Auswirkungen der Finanzkrise.
Der Literaturkritiker Denis Scheck hat Das Nest einen „literarischen Wurf“ und „glänzende Unterhaltung“ genannt. Dem möchte ich nur noch hinzufügen, dass dem Klett-Cotta Verlag mit der Covergestaltung und dem großzügigen Druck ebenfalls ein bemerkenswerter Wurf gelungen ist und der Roman für mich zu besten des Jahres 2016 gehört.
Cynthia D’Aprix Sweeney: Das Nest. Klett-Cotta 2016
www.klett-cotta