Elin Anna Labba: Das Echo der Sommer

  Ertrunkenes Sommerland

Mit den Romane Das Leuchten der Rentiere und Die Zeit im Sommerlicht der schwedisch-samischen Autorin Ann-Helén Laestadius wurde mein Interesse an der Geschichte und Kultur der Sámi, dem indigenen Volk im Norden Europas, geweckt. Bei einer unvergesslichen Reise durch den finnischen Teil Lapplands und die norwegische Finnmark im Sommer 2024 gehörte der Besuch des großartigen samischen Museums und Naturzentrums Siida in Inari zu den vielen Höhepunkten.

Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass der Verlag S. Fischer nun den Debütroman der schwedisch-samischen Autorin Elin Anna Labba mit einem so wunderschönen Cover veröffentlicht hat. Die Journalistin erhielt 2020 den renommierten Augustpreis für ihr bisher nicht ins Deutsche übersetzte Sachbuch Herrerna satte oss hit (deutsch: Die Herren brachten uns hierher) über die Zwangsumsiedlung der Sámi bei der Aufteilung ihres angestammten Siedlungsgebietes zwischen den nordischen Ländern und Russland. Auf Interviews, die sie für ihr Sachbuch führte, sowie auf realen Ereignissen basiert nun ihr Debütroman.

Sámi-Museum Siida in Inari. © M. Busch und Sámi-Flagge (mit Schweden, Norwegen, Russland und Finnland). © B. Busch

In Das Echo der Sommer geht es nicht um den Verlust samischer Heimat durch neu gezogene Landesgrenzen, sondern durch die Nutzung von Wasserkraft zur Stromgewinnung für die Industrialisierung Schwedens im 20. Jahrhundert. Insgesamt viermal wird die samische Nomadin Rávdná Opfer der Überflutung ihres Dorfes.

Der Preis des billigen Stroms
Als der Roman 1942 einsetzt, ist ihre Torfkote im „Sommerland“ am Fuße des Hochfjälls, in der sie nach dem Tod ihres Mannes mit ihrer 13-jährigen Tochter Iŋgá und ihrer Schwester Ánne die Sommer verbringt, bereits zum dritten Mal ohne Vorwarnung, Entschädigung oder Entschuldigung des schwedischen Staates überflutet:

Der See stand in ihrem Zuhause. (1. Satz, S. 15)

Ihr Besitz ist genau wie der Wald „ertrunken“, der lebensnotwendige Fischfang kaum noch möglich. Wieder werden provisorische Zeltkoten errichtet, wird das Dorf am Hang weiter auseinandergezogen und geht Gemeinschaft verloren. Wütend steigt Rávdná noch höher ins Fjäll und baut, obwohl es für die unter behördlicher Vormundschaft stehenden Sámi gesetzlich verboten ist und Sámi keine Hauskredite bekommen, ein eckiges Haus mit Fenstern.

Elin Anna Labba: Das Echo der Sommer. Fotos & Collage: © B. Busch. Cover: © S. Fischer.

Rávdná, die das „Sommerland“ und die Freiheit dort liebt und die Wanderung mit den Rentieren nach Westen im Frühling kaum erwarten kann, fühlt sich zunehmend fremd.

Im zweiten Teil springt der Roman zunächst ins Jahr 1968. Wieder soll der Staudamm ohne Rücksicht auf die Nomaden erhöht werden. Aus dem See wird ein Ozean.

Unbedingt lesenswert
Elin Anna Labba erzählt in ihrem erschütternden Roman von Rassismus, kulturellem Unverständnis, diskriminierender Gesetzgebung und Missachtung der Rechte der Ureinwohner durch den schwedischen Staat und die Mehrheitsbevölkerung. Gleichzeitig ist Das Echo der Sommer ein Roman über drei Frauen, die grundverschiedene Strategien angesichts von schmerzlichem Heimatverlust, Trauer, Ausgeliefertsein, Diskriminierung und Naturzerstörung entwickeln und zeigt den Preis des Widerstands (Rávdná) genauso wie den von Schweigen (Ánne) und Anpassung (Iŋgá).

Durch die Verwendung nordsamischen Vokabulars erhält der Roman eine besondere Authenzität, überraschenderweise ohne das Textverständnis zu schmälern, wenn man sich darauf einlässt. Wunderschöne Sprachbilder stechen poetisch hervor, wie das über die tief verwurzelte nomadische Unrast bis ins hohe Alter:

Jeder wusste, dass im Frühling das Altersheim zu einer Rentierglocke wurde, die läutete und läutete. (S. 437)

Sprachliche Höhepunkte sind auch die kleinen Einschübe mit der ebenso melancholischen wie melodischen Stimme des Sees, wie der ganze Romane äußerst einfühlsam übersetzt von Hanna Granz:

Ich wachse, denn die mich groß wollen,
kennen kein Ende.
Nie haben sie eines gekannt. (Schlusssätz S. 461)

Elin Anna Labba lebt inzwischen in Norwegen, wo die klimatischen Bedingungen für die Rentierhaltung besser und das Verständnis für die Sámi größer sind als in Schweden. Ich freue mich sehr auf weitere Romane von ihr.

Elin Anna Labba: Das Echo der Sommer. Aus dem Schwedischen von Hanna Granz.  S. Fischer 2025
www.fischerverlage.de

 

Weitere Romane über die Volksgruppe der Sámi auf diesem Blog:

 

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