Interview mit dem Übersetzer Dr. Berthold Forssman

Dr. Berthold Forssman studierte in Erlangen, Kiel und Reykjavík die Fächer Skandinavistik, Slawistik und Germanistik auf Magister und promovierte anschließend in Jena im Fach Indogermanistik zu einem baltischen Thema. Begleitet wurde sein Studium von zahlreichen praktischen Erfahrungen und Aufenthalten in Uppsala, Riga, Vilnius und Tallinn. Seit 2002 ist er freiberuflich als Übersetzer, Journalist und Autor tätig und deckt mit seinem Schwerpunkt auf den nordischen Ländern Schweden, Norwegen, Dänemark, Island und Finnland sowie den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen nahezu den gesamten Ostseeraum ab.

Beeindruckend ist die Liste der Sprachen, aus denen er Übersetzungen anbietet, nämlich Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Mir ist Dr. Berthold Forssman zum ersten Mal als Dolmetscher eines Interviews mit dem schwedischen Autor Alex Schulman im November 2023 im Deutschlandfunk Kultur begegnet. Außerdem übersetzt er regelmäßig Medienkommentare für die Internationale Presseschau im Deutschlandfunk, eine meiner Lieblingssendungen, die ich nur ungern verpasse.

Als findigen Entdecker, versierten literarischen Übersetzer und Verfasser eines exzellenten Nachworts habe ich Dr. Berthold Forssman bei der Lektüre von „Schwäbisches Capriccio“ kennengelernt. Das Buch des leider hierzulande nur wenig bekannten lettischen Autors Anšlavs Eglītis (1906 – 1993) erschien 2024 im Berliner Guggolz Verlag und hat mir beim Lesen großen Spaß gemacht.

Dr. Berthold Forssman. © privat

Wie kam es zu Ihrer Entdeckung des Schriftstellers Anšlavs Eglītis und wie schwierig war es, einen Verlag für das „Schwäbische Capriccio“ zu finden?

Da muss ich weit in der Zeit zurückgehen! Eglītis konnte während der Sowjetzeit nicht in Lettland erscheinen, und die Entdeckung dieses vergessenen Klassikers kam für die Letten in den frühen 90er Jahren einer Sensation gleich. In dieser Zeit geriet mir durch Zufall in Riga sein Roman „Homo novus“ in die Hände, den ich mit nach Deutschland nahm und, sobald ich genug Lettisch konnte, begeistert verschlang. Meine Leidenschaft für Eglītis war damit geweckt, und wie so oft zog dann ein Projekt das nächste nach sich.

Was ist für Sie das Besondere am Werk von Anšlavs Eglītis und wo liegen die speziellen Herausforderungen bei der Übertragung seiner Romane ins Deutsche?

Eglītis hat im Laufe seines Lebens ein sehr heterogenes Werk verfasst, das sich in seiner Gesamtheit keiner speziellen Stilrichtung zuordnen lässt. Das macht seine Sprache und seine Ausdrucksweise ausgesprochen vielseitig und führt dazu, dass man sich in jeden Text noch stärker hineindenken muss als es ohnehin für eine Übersetzung notwendig ist. Eglītis hat zugleich einen sehr pointierten Humor, der ihn selbst bei den ernsteren seiner Werke nicht verlässt – und der einen aber auch für alle Mühen bei der Arbeit entschädigt.

Gibt es konkrete Pläne für weitere Übersetzungen dieses Autors?

In der Tat steht mit „Die Brautjäger“ ein weiterer Eglītis in den Startlöchern. Ich hoffe, dass sich dieses Projekt schon in Kürze anschließt. Davor erscheint aber noch ein weiteres Buch, das ich gerade aus dem Lettischen übersetzt habe: „Drei Katzen und ihr Mensch“ von Olita Tidomane. Da bin ich schon gespannt auf die Reaktionen von Katzenfreunden.

Ich habe bisher kaum Bücher aus Lettland wahrgenommen. Ist Lettland für deutsche Leserinnen und Leser ein unentdeckter Literaturraum?

Auch wenn es Ausnahmen gibt, haben es meiner Einschätzung nach ausländische Bücher in anderen Sprachen als Englisch generell schwer auf dem deutschen Markt. Dieses Schicksal teilt das Lettische also mit sehr vielen Ländern, Sprachen und ihren Literaturen, und darüber hinaus ist es eine kleine Sprache. Beim näheren Betrachten kann man aber feststellen, dass es glücklicherweise durchaus Übersetzungen aus dem Lettischen gibt, auch wenn sie nicht sofort ins Auge stechen.

Sie übersetzen Werke aus gleich fünf verschiedenen Sprachen. Gibt es prinzipielle Unterschiede bei der Übersetzungsarbeit? Welche Besonderheiten dieser Sprachen funktionieren im Deutschen anders oder gar nicht?

Jede Sprache ist auf ihre Weise ein Universum, und jede Sprache hat spezielle Eigenheiten, die für Schwierigkeiten sorgen können. Allerdings funktionieren – jedenfalls die mir bekannten – Sprachen alle nach gewissen allgemein gültigen Regeln, und auch die Kunst und die Techniken des Übersetzens bleiben im Wesentlichen die gleiche. Wo klingt etwas seltsam, wo muss ich recherchieren, was fange ich bei einem schwierigen sprachlichen Bild an? Diese Fertigkeit oder auch Kunst lässt sich, einmal gelernt, auch auf andere Sprachen übertragen.

Konzentrieren Sie sich jeweils auf eine Sprache oder können bzw. müssen Sie zeitgleich an Projekten in verschiedenen Sprachen arbeiten?

Die Menschen sind bekanntlich verschieden – wo sich die einen gern auf ein durchgehendes Projekt konzentrieren, freuen sich die anderen über Abwechslung. Ich bin ganz klar der zweite Typ, obwohl ich es manchmal bedauere, wenn ein Großprojekt langsamer vorankommt als erhofft, weil sich andere Aufgaben dazwischenschieben. Aber insgesamt bin ich mit meinem Mix hochzufrieden und freue mich, wenn ich mit unterschiedlichen Sprachen gleichzeitig hantieren kann.

Neben Ihrer Arbeit als literarischer Übersetzer schreiben Sie auch Lehr- und Wörterbücher. Wie muss man sich die Arbeit an Wörterbüchern vorstellen? Entstehen Sie als Nebenprodukte Ihrer täglichen Übersetzungsarbeit?

Bei Lehr- und Wörterbüchern muss man vielleicht unterscheiden, ob sie als Auftragsarbeit oder in Eigeninitiative entstanden sind. Bei mir war es die pure Notwendigkeit, das Material für mich selbst zu erstellen, das ich nicht oder nicht ausreichend vorfand. Als ich dann später selber Unterricht gab, konnte ich dieses Material verwenden und vor allem auch erweitern, denn jeder Kurs brachte auch mir neue Erkenntnisse. Es gab Fragen, die quasi jedes Jahr gestellt wurden, Fallen, in die immer wieder Leute tappten. Bis heute freue ich mich, wenn ich das Kompliment bekomme: „Bei Ihnen bleibt aber auch wirklich keine Frage offen“. Kein Wunder, denke ich dann – diese Frage haben sich mit Sicherheit auch andere gestellt, ich selbst eingeschlossen. Tatsächlich legen aber auch sehr viele Übersetzer während ihrer beruflichen Laufbahn in irgendeiner Form Wörterlisten an – schließlich wäre es schade, wenn man nicht auf die Ergebnisse früherer Recherchen zurückgreifen könnte.

Muss man sich als literarischer Übersetzer für einen Text begeistern können oder funktioniert das Übersetzen auch, wenn diese Begeisterung fehlt?

Es ist wohl fast überall so, dass es schwierig ist, einen Auftrag zu übernehmen, den man inhaltlich ablehnt oder mit dem man aus anderen Gründen nicht warm wird. Allerdings können sich nicht alle den Luxus erlauben, Aufträge entsprechend den eigenen Vorlieben auszusuchen. Zahlreiche Kunstschaffende und Kreative werden mit Sicherheit bestätigen, dass ein Großteil ihrer Arbeit aus Handwerk und nicht aus Genialität besteht. Das gilt auch für das Übersetzen. Begeisterung für das Werk bedeutet außerdem nicht, dass die Arbeit an sich automatisch leichter oder angenehmer würde. Man hat da wohl einfach einen anderen Blick auf die ganze Angelegenheit.

Die Kunst des Übersetzens ist nicht nur eine mechanische Aufgabe, sie erfordert auch ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität. Wie finden Sie die Balance zwischen Texttreue, Anpassung kultureller Nuancen und dem Jonglieren mit verschiedenen Bedeutungen?

Das lässt sich nicht allgemein beantworten, weil es auf den speziellen Text und seine Herausforderungen ankommt. Ich selbst bin auch Musiker und arbeite gerne mit der Stimme, und das erklärt vielleicht, warum ich versuche, mich in einen Text einzuhören. Wie hektisch oder ruhig ist er, fließt er, kommt er als Staccato einher, tauchen seltsame Harmonien und Akkorde auf, die aufhorchen lassen oder verwirren? Diese wechselnden Stimmungen versuche ich einzufangen und wiederzugeben.

Bei Ihren Übersetzungen für die Internationale Presseschau des Deutschlandfunks sind Sie es gewöhnt, für Ihre Arbeit nicht genannt zu werden. Der Guggolz Verlag ist einer der wenigen, der seine literarischen Übersetzerinnen und Übersetzer auf den Covern würdigt. Wird nach Ihrer Ansicht den Übersetzerinnen und Übersetzern literarischer Werke zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Was würden Sie sich wünschen?

Sagen wir es mal so: Es gibt Texte, bei denen man sich sogar freut, nicht als Übersetzer genannt zu werden oder es sich sogar explizit wünscht. Aber Spaß beiseite: Übersetzer sind es einerseits gewohnt, im Hintergrund zu arbeiten, wünschen sich aber andererseits Sichtbarkeit und vor allem ausreichend Wertschätzung. Bei literarischen Übersetzungen bin ich manchmal regelrecht erstaunt, für wie selbstverständlich ihre Qualität gehalten wird. Ich erinnere mich an Rezensionen, die zwar begeistert vom Geschick des Autors schwärmten und seine Sprache in den höchsten Tönen lobten, den Übersetzer aber mit keinem Wörtchen erwähnten. Es ist prima, dass das der Guggolz Verlag bewusst anders macht.

In Zeiten von KI kann eine Frage nach ihrer Nutzung im Bereich Übersetzungen nicht fehlen. Nutzen Sie KI für Ihre Arbeit? Sehen Sie Ihren Beruf langfristig in Gefahr? Spüren Sie erste Auswirkungen schon bei Fachtexten, deren Übersetzung Sie ebenfalls anbieten?

Neue Technologien führen zu Veränderungen und Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Gleichzeitig sträube ich mich ganz gewiss nicht gegen Hilfsmittel, die uns eintönige und anstrengende Aufgaben abnehmen. Um diese Hilfsmittel effektiv einsetzen und ihre Ergebnisse bewerten zu können, muss der Mensch aber über die ausreichende Expertise verfügen, und es bleibt die Frage, was schneller geht und besser ist: Die Vorarbeit maschinell erledigen zu lassen und hinterher zu überprüfen, oder es gleich selbst zu machen (wir können natürlich auch unbesehen und blindlings den maschinellen Übersetzungen vertrauen – aber ist das eine echte Option?)

Tatsächlich nützt mir die KI bislang selbst eher wenig, denn die Algorythmen speisen sich überwiegend aus den „großen“ Sprachen, und oft wird Englisch als Brückensprache verwendet, was zu Verzerrungen führt. Außerdem sind die vorhandenen Datenmengen in der Regel zu klein und zu einseitig, um zu wirklich einwandfreien Ergebnissen zu führen. Gewisse „grobe“ Arbeiten mögen also in Zukunft weniger werden, aber im gleichen Maße nimmt die Feinarbeit zu.

Wie könnte man Leserinnen und Leser sensibilisieren für die Unverzichtbarkeit menschlicher Übersetzerinnen und Übersetzer, zumindest im Bereich der Literatur?

Die Literatur ist nicht mehr und nicht weniger betroffen als andere Bereiche auch. Stellen Sie sich vor, Sie sind im Ausland erkrankt oder Opfer einer Straftat geworden. Möchten Sie wirklich, dass die Berichte maschinell übersetzt werden? Dass ein KI-gesteuertes Gericht auf der Grundlage von Algorithmen sein Urteil fällt? Wie sieht es mit der Vertraulichkeit aus? Wer haftet für mögliche Fehler? Maschinen lassen sich manipulieren, unliebsame Inhalte können unterdrückt werden, und woraus genau speisen sich die Algorithmen überhaupt? Woher wissen wir, wo genau sie in die Schule gegangen sind? Maschinell übersetzte Texte enthalten nicht mehr so viele grammatische Fehler wie früher, aber das ist umso tückischer, weil die inhaltlichen Fehler dadurch leichter übersehen werden. Übrigens können natürlich auch die Vorlagen Fehler oder inhaltliche Brüche enthalten – was dann? Manchmal stellt sich erst im Lauf eines Textes heraus, wie eine frühere Stelle gemeint ist. Wörter können unterschiedliche Bedeutungen haben, deren Sinn vom jeweiligen Kontext abhängt – oder auch bewusst verändert wurde. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Individualität, Kreativität, Feinheiten – das alles bliebe dann auf der Strecke. Wollen wir das?

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Gerade arbeite ich an einem Litauisch-Lehrbuch und an einem Wörterbuch Litauisch-Deutsch-Litauisch. Damit bin ich grundsätzlich gut beschäftigt, aber ich bin auch immer offen für das, was auf mich zukommt.

Ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie sich trotzdem Zeit für dieses Interview genommen haben!

 

Rezension zu einem Buch in der Übersetzung von Dr. Berthold Forssman auf diesem Blog:

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