Interview mit der Übersetzerin Antje Subey-Cramer

Antje Subey-Cramer arbeitet nach einem Studium der Nordistik und Musikwissenschaft als freie Lektorin und Übersetzerin. Zum ersten Mal begegnete mir ihr Name als Übersetzerin des sehr empfehlenswerten Jugendbuchs „Battle“ von Maja Lunde aus dem Norwegischen. Inzwischen schätze ich sie vor allem für ihre hervorragenden Übersetzungen der Bücher des Norwegers Edvard Hoem. Drei Titel von ihm liegen mittlerweile in ihrer Übersetzung im Verlag Urachhaus vor: „Die Hebamme“ (2021), „Der Geigenbauer“ (2022) und „Der Heumacher“ (2024).

Im Herbst 2023 habe ich Antje Subey-Cramer bei einer Lesung von Edvard Hoem in Hamburg kennengelernt. Was sie mir über Ihre Arbeit erzählt hat, war so interessant, dass ich sie nun um ein Interview für meinen Blog gebeten habe.

Antje Subey-Cramer. © privat

Liebe Frau Subey-Cramer, mit „Der Heumacher“ ist im Frühjahr 2024 schon der dritte Roman von Edvard Hoem in Ihrer Übersetzung erschienen. Worin liegt für Sie die Besonderheit dieses Autors?

Edvard Hoem verfügt über eine ganz eigene, besondere Sprache – schlicht und ungekünstelt. Dadurch treten die Beschreibungen der Figuren und der Landschaft klar hervor, ohne sprachliche Überfrachtung, trotzdem atmosphärisch dicht. Das verleiht seinen Geschichten eine besondere Authentizität.

In Norwegen gibt es zwei unterschiedliche Schriftsprachen, Nynorsk und Bokmål. Edvard Hoem schreibt im seltener genutzten Nynorsk. Welche Bedeutung hat das für seine Texte?

Nynorsk, eine Schriftsprache, die im Zuge der Nationalromantik Mitte des 19. Jahrhunderts aus den vielen west- und zentralnorwegischen Dialekten gebildet wurde (als Antwort auf das als „unnorwegisch“ und feiner geltende Bokmål, das ans Dänische angelehnt ist), gilt als ungekünstelt, direkt, als „Sprache des Volkes“. Insofern kann man vielleicht sagen, dass Nynorsk die sprachliche Form ist, die Edvard Hoems literarischer Sprache am besten entspricht und mit ihr sehr gut harmoniert. Letztlich liegt Nynorsk Edvard Hoem aber auch schlicht näher als Bokmål, denn dort, wo er aufgewachsen ist, ist Nynorsk die vorherrschende Schriftsprache.

Gibt es Besonderheiten in der norwegischen Sprache, die im Deutschen anders oder gar nicht funktionieren?

Das Gute (und manchmal auch das Gefährliche …) ist, dass die beiden Sprachen sich so ähnlich sind. Oft lese ich einen Satz und habe sofort die (für mein Empfinden!) adäquateste Entsprechung im Ohr. Schwierig zu übersetzen sind endlose Schachtelsätze, die man beim Lesen des norwegischen Originals überhaupt nicht als solche empfindet. Würde man sie aber eins zu eins übersetzen (also zum Beispiel eine lange Reihung von Relativsätzen übernehmen), wird der Zieltext nicht nur unübersichtlich und schwer verständlich, sondern auch schwerfällig und holprig zu lesen. Hier muss man oft eingreifen und die Sätze trennen.

Edvard Hoem nutzt oft ein sehr spezielles, auch älteres Vokabular, ich denke beispielsweise an die Fachbegriffe zum Geigenbau oder zum Heumachen. Nutzen Sie dafür auch speziell alte Wörterbücher? Und wie gehen Sie vor, wenn Sie keine Übersetzung finden?

Ich verwende tatsächlich verschiedene Wörterbücher, und zwar nicht nur norwegisch-deutsche (bzw. Bokmål-Deutsch oder Nynorsk-Deutsch). Wichtig sind für mich auch die Wörterbücher, die die Herkunft und Bedeutung alter Begriffe erklären – sowohl im Norwegischen als auch im Deutschen. Zum Glück gibt es mittlerweile die Möglichkeit, manche dieser Wörterbücher im Internet abzurufen. Das „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache“, DWDS (der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute), ist eine große Hilfe, wenn man versucht, Entsprechungen für ein Wort zu finden, das eine Figur in einer bestimmten Zeit gebraucht haben könnte. Da ist meine Frage oft: Kann die Figur dieses Wort schon gekannt haben, oder ist es zu neu? Wenn ich nicht ganz sicher bin, was ich mir unter einem Begriff vorstellen soll (weil er so alt ist und ich keine zufriedenstellende Übersetzung finde), dann lese ich auch gerne im „Store norske leksikon“ nach. Hier findet man hilfreiche Informationen zur Etymologie und zur Verwendung des Begriffs in unterschiedlichen Zusammenhängen.

Abgesehen von den Wörterbüchern, die im Internet zur Verfügung gestellt werden, benutze ich im Übrigen auch die Möglichkeit, Bibelübersetzungen aus verschiedenen Zeiten im Internet einzusehen. Das ist besonders bei den Romanen von Edvard Hoem hilfreich, der sich häufig auf Bibelstellen bezieht oder Figuren aus der Bibel zitieren lässt. Wenn der Roman im 19. Jahrhundert spielt, kann ich natürlich nicht die Revision der Lutherbibel von 1984 verwenden …

Haben Sie vor, während oder nach der Übersetzungsarbeit Kontakt zum Autor?

Ich habe meist gegen Ende der Übersetzung Kontakt zum Autor, wenn sich ein paar Fragen angesammelt haben. Die Besonderheit bei Edvard Hoem ist, dass er selbst sehr gut Deutsch spricht und meinen Text liest, bevor dieser in den Druck geht. In diesem Stadium kommen wir häufig noch einmal über den einen oder anderen Punkt ins Gespräch. Zum Beispiel fragte er mich, warum ich prest nicht mit „Pfarrer“, sondern mit „Pastor“ übersetzt habe. Dass der Begriff „Pastor“ im Deutschen ganz eindeutig auf einen evangelischen Geistlichen hinweist, der Begriff „Pfarrer“ dagegen sowohl für katholische als auch evangelische Geistliche benutzt werden kann, war ihm neu. Und ein-, zweimal sind ihm auch Übersetzungsfehler aufgefallen – dafür war ich dann sehr dankbar.

Lesen Sie die zu übersetzenden Bücher, bevor Sie mit der Arbeit beginnen? Oder lassen Sie sich überraschen?

Ich lese die Bücher auf jeden Fall vorher und entdecke dabei schon die eine oder andere „Klippe“, die es eventuell zu umschiffen gilt. Dann mache ich mir Notizen am Rand, manchmal schon mit konkreten Lösungsideen. Das Interessante ist, dass ich beim Übersetzen häufig wieder zu ganz anderen Lösungen gelange, die sich erst im Fluss des Übersetzens ergeben und sich viel organischer einfügen als die erste Idee.

Die Kunst des Übersetzens ist nicht nur eine mechanische Aufgabe, sie erfordert auch ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität. Wie finden Sie die Balance zwischen Texttreue, Anpassung kultureller Nuancen und dem Jonglieren mit verschiedenen Bedeutungen?

Die von Ihnen beschriebene Balance finde ich letztendlich durch das genaue Hören auf den Text. Für mich ist es immer ein langsames Herantasten an die je eigene Sprache des Buches, die je eigene Sprache des Autors. Es dauert manchmal eine Zeit, bis sich das Gefühl einstellt, dass man den Ton des Buches trifft. Das ist dann allerdings ein großartiges und sehr befriedigendes Erlebnis! Weil sich dieses Gefühl nicht immer sofort einstellt, habe ich Bücher auch schon mal in der Mitte angefangen zu übersetzen, um dann, wenn ich dort wieder angelangt war, noch einmal zu überprüfen, ob der Übergang „passte“. An die Rohübersetzung, also den ersten Durchgang, schließt sich ja dann noch ein zweiter Durchgang an, in dem ich mich sozusagen selbst lektoriere. Da fallen einem dann z.B. die Stellen auf, die sich nicht flüssig lesen lassen.

In Norwegen gibt es zahlreiche bisher noch nicht ins Deutsche übersetzte Romane von Edvard Hoem. Können wir uns auf weitere Übersetzungen von Ihnen freuen? Was plant der Verlag Urachhaus?

Zurzeit arbeite ich an der Übersetzung des Romans „Husjomfru“, also „Die Hausmamsell“. Hauptfigur ist Julie Hoem, die jüngste Tochter des Geigenbauers. Mit diesem Buch über eine seiner Ahninnen nimmt uns Edvard Hoem wieder mit in die Vergangenheit Norwegens. Wir tauchen ein in die Lebenswelt einer privilegierten Hausangestellten in Bergen Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts und lernen dabei ihre Sehnsüchte und Ziele, ihre Gedanken und Träume kennen.

Nur sehr wenige Verlage nennen die Übersetzerinnen und Übersetzer auf dem Cover. Wird nach Ihrer Ansicht den Übersetzerinnen und Übersetzern literarischer Werke zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Was würden Sie sich wünschen?

Mir persönlich genügt es vollkommen, im Innenteil des Buches genannt zu werden. Für mich besteht ein großer Unterschied zwischen der Kreativität literarischen Schreibens und der des literarischen Übersetzens. Als Übersetzerin beziehe ich mich auf einen bereits vorliegenden Text, ich reagiere darauf. Anders der Autor, der vor dem leeren weißen Blatt sitzt und quasi aus dem Nichts bzw. aus sich allein schöpft. Letzteres bewundere ich zutiefst und könnte es mir für mich selbst nicht vorstellen. Trotzdem bin ich manchmal belustigt, wenn sich Leser und Leserinnen so gar keine Gedanken darüber machen, wie eine Übersetzung zustande kommt. Bei unbedarften Lesern herrscht ja nicht selten die Meinung, es gäbe nur „die eine“, sogar „richtige“ Übersetzung (und damit ist dann häufig gemeint: die wörtliche).

In Zeiten von KI kann eine Frage nach ihrer Nutzung im Bereich literarischer Übersetzungen nicht fehlen. Nutzen Sie KI für Ihre Arbeit? Sehen Sie Ihren Beruf langfristig in Gefahr?

Nein, ich nutze KI nicht, und mir fehlt zurzeit auch die Fantasie, wie qualitativ hochwertiges literarisches Übersetzen durch KI geleistet werden könnte. Ich spreche hier natürlich nicht von qualitativ mittelmäßiges Übertragungen – die kann KI selbstverständlich generieren. Aber wenn ich an die Vielzahl von Synonymen denke, die mir zum Teil bei der Übersetzung eines Begriffs zur Verfügung stehen, und sehe, welche Überlegungen ich zugrunde lege, bevor ich mich für genau eines dieser Synonyme entscheide, weil es in meinen Augen der Sprache des Autors oder dem Lesefluss an dieser Stelle des Textes am gerechtesten wird, dann kann ich mir den Einsatz von KI tatsächlich nicht vorstellen.

Es gibt ja schon Anfragen von Verlagen, ob man als Übersetzer bzw. als Übersetzerin einen KI-generierten Text „überarbeiten“ könne – da wird dann natürlich kein Übersetzerhonorar gezahlt, sondern ein Lektoratshonorar. Ein solches Angebot finde ich unverschämt, und ich würde es in jedem Fall ablehnen.

Im August ist das Buch „Kindermärchen aus aller Welt“ erschienen, ein Vorlesebuch für Kinder ab fünf Jahren im Oetinger Verlag, das Sie herausgeben. Können Sie etwas darüber erzählen? Wie kam es zu der Idee und wie haben Sie die Auswahl getroffen?

Ja, das stimmt, allerdings erscheint dieses Buch bereits in zweiter Auflage – die erste ist aus dem Jahr 2019, insofern freut es mich sehr, dass der Verlag dieses Buch jetzt mit neuem Einband wieder herausbringt. Bevor ich mit dem Übersetzen angefangen habe, war ich als Lektorin tätig – zuerst festangestellt in einem Kinderbuchverlag, danach freiberuflich. Während dieser Zeit bekam ich den Auftrag, eine Märchensammlung zusammenzustellen. Das hat mich sehr gefreut, weil ich als Kind so gerne Märchen gelesen habe. Ich habe dann mithilfe vieler (zum Teil auch sehr alter) Bücher und Märchensammlungen Geschichten ausgesucht, die ich für Kinder geeignet fand und die zudem die vielfältigen Erzähltraditionen widerspiegeln, die es in verschiedenen Ländern gibt. Und meine Lieblingsmärchen sind natürlich dabei, zum Beispiel „Das Feuerzeug“ von H. C. Andersen.

Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit!

 

Rezensionen zu Büchern in der Übersetzung von Antje Subey-Cramer auf diesem Blog:

    Hoem  

2 Kommentare

  1. Frau Subey-Cramer sagt: „Bei unbedarften Lesern herrscht ja nicht selten die Meinung, es gäbe nur „die eine“, sogar „richtige“ Übersetzung (und damit ist dann häufig gemeint: die wörtliche).“
    Und ich – Übersetzerin im Ruhestand – möchte noch hinzufügen, dass es auch keine kontextlose Übersetzung gibt. Wenn ich gefragt werde, was xyz bedeutet, ist meist meine erste Rückfrage: „Und in welchem Zusammenhang?“

    Interessant auch der Hinweis, dass Verlage die Überarbeitung KI-generierter bzw. maschinengenerierter Übersetzungen nachfragen. Das gibt es im Bereich technische Übersetzungen schon lange, ebenfalls gegen deutlich geringeres Honorar. Das habe ich auch immer abgelehnt.

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