Hinter der grauen Fassade
Drei Mädchen landen am gleichen Tag im gefürchteten Midwatch-Institut für Waisen, Ausreißerinnen und unerwünschte Mädchen: Maggie Fishbone vom Waisenhaus in einem nahen Fischerort als Strafe für angeblich rüpelhaftes Benehmen, Nell Wozniak mit ihrer Ratte Spike, die ihrem Stiefvater zu viel liest, und Sofie Zarescu, die mit ihrer gebrochenen Hand für ihren Zirkus nutzlos geworden ist. Das Internat gilt als unbarmherzig strenge Anstalt und grauenvolle Institution zur Disziplinierung, doch werden die Mädchen ebenso überrascht wie die Leserinnen. Hinter der grauen Fassade verbirgt sich ein höchst abenteuerlicher Ort, dessen wundervolle Leiterin, Miss Mandely, im Gegensatz zum Waisenhausinspektor nichts von Lieblosigkeit, Zwangsmaßnahmen, Haferschleim und Näharbeiten hält:
Ihr seid alle drei willkommen. Ihr seid jetzt hier zu Hause und ich hoffe sehr, dass ihr hier glücklich werdet. Glücklich und äußerst nützlich. (S. 29)

Stattdessen wird Unterricht in Fächern wie Morsen, Tresorknacken, Knotentechniken, Verstecken, Aushecken, Automobilreparatur, Sprachen oder Landkartenlesen erteilt, kurz: „Nützliche Dinge, die jedes Mädchen wissen sollte“, wie sie in Miss Mandelys in Teilen abgedrucktem Ratgeber nachzulesen sind. Diese Fähigkeiten sind für die Schülerinnen unabdingbar für ihre geheimen Undercover-Aufträge:
Wir lösen Rätsel, kämpfen gegen Bösewichte und sorgen für Sicherheit in der Stadt.“ (S. 77)
Zwar ermitteln zunächst nur die vierte und fünfte Klasse im Fall des „Nachtmonsters“, das die Bewohnerinnen und Bewohner des wohlhabenden Nordviertels in Angst und Schrecken versetzt, aber kaum sind die drei Neuen in die erste Klasse aufgenommen, gibt es Arbeit für die Klassen eins und zwei. Der städtische Bibliothekar Dr. Entwhistle meldet das rätselhafte Verschwinden der Orchideenliebhaberin Miss Fenchurch. Eine dramatische, bisweilen höchst gefährliche Ermittlung mit vielen unerwarteten Wendung beginnt, bei der die Mädchen Mut, Grips, Teamgeist, außergewöhnliche Begabungen und in der Schule erlernte Fähigkeiten beweisen müssen.
Ein überzeugender Kinderkrimi
Der Kinderkrimi Midwatch – Schule der unerwünschten Mädchen der australischen Kinderbuchautorin Judith Rossell hat mich gleich in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Nach dem überraschenden Einstieg gefiel mir besonders die Teamfähigkeit der sympathischen Mädchen beim Lösen des Falles, die ganz ohne Eitelkeiten, Neid, Mobbing, Eifersucht oder Streitereien kameradschaftlich zum Erreichen des gemeinsamen Zieles kooperieren. Für die Zielgruppe ab etwa zehn Jahren dürfte dagegen die spannende und verwickelte Krimihandlung im Vordergrund stehen, die voller Überraschungen ist. Das laut der Autorin von den 1920er-Jahren in einer US-amerikanischen Großstadt inspirierte Ambiente, angereichert durch unterirdische Geheimgänge und Zeppeline jeglicher Größe, wird in ihren mittels einer App auf dem iPad gezeichneten, zahlreichen größeren und kleineren, wie die Schrift in Blau gehaltenen Illustrationen äußerst lebendig.

Schön zu lesen ist auch, wie die Schülerinnen mit Hilfe von Miss Mandely und ihren Lehrerinnen zu starken, selbstbewussten Mädchen erzogen und auf eine eigenverantwortliche Zukunft vorbereitet werden.
Hoffentlich gibt es bald mehr Fälle mit den sympathischen Midwatch-Detektivinnen, denn das Potential für eine Serie ist zweifellos vorhanden.
Judith Rossell: Midwatch – Schule der unerwünschten Mädchen. Aus dem Englischen von Bettina Obrecht. Penguin junior 2025
www.penguin.de/verlage/penguin-junior