Weibliche Schreibstuben
Mit ihrem Debütroman Muskat landete die 1975 geborene Norwegerin Kristin Valla 2000 einen Überraschungserfolg nicht nur in ihrem Heimatland. Nach einem weiteren Roman galt sie als vielversprechende junge Autorin, doch kam ihre Schriftstellerinnenkarriere mit ihrer Heirat, den beiden Söhnen und Jobs als Kulturjournalistin und Moderedakteurin zum Erliegen:
Eigentlich fehlte mir das Schreiben nicht. Ich war nicht unzufrieden, nicht frustriert. Im Gegenteil, oft empfand ich eine tiefe Dankbarkeit für meine Familie, für unser Zuhause und unser Leben. (S 10)
Selbst als sie ihre Tätigkeit bei Aftenposten aufgab, um als Freiberuflerin mehr Zeit für literarisches Schreiben zu haben, gelang ihr kein weiteres Buch. Einerseits hielt sich die Inspiration nicht an Arbeitszeiten, andererseits gab es in der Osloer Familienwohnung zwar Kinderzimmer, aber keine Schreibstube. Inspiriert vom bahnbrechenden feministischen Essay A Room of One’s Own von Virginia Woolf aus dem Jahr 1929, der Geld und ein eigenes Zimmer als Grundvoraussetzungen für weibliches Schreiben fordert, verwandelte Kristin Valla ihre Trauer über die Schreibblockade in einen Befreiungsschlag:
In dem Jahr, in dem ich einundvierzig wurde, kaufte ich ein Haus im Dorf Roquebrun im Südwesten Frankreichs, vierzig Kilometer vom Mittelmeer entfernt. […] Das Haus gehörte nur mir. (S. 7/8)
Mit der über 2000 Kilometer entfernten Immobilie wäre Virginia Woolfs zweite Forderung erfüllt gewesen, hätte sich ihr Zustand als weniger desolat erwiesen. Doch anstatt mit marodem Charme zu bezaubern, führte jeder erneute Besuch zu Tränenausbrüchen bei der zunehmend verzweifelten Besitzerin.
Katalysator statt Schreibstube
Fast acht Jahre mit und vielen Tiefpunkten und neuen Krediten brauchte es, bis Schimmelbefall, wiederkehrende Wassereinbrüche, Termitenschäden, instabile Decken und aufgequollene Türen behoben waren. Die Kämpfe mit Handwerkern lesen sich längst nicht so amüsant wie beim englischen Kollegen Peter Mayle in Mein Jahr in der Provence, der ebenfalls ein südfranzösisches Haus renovierte. An Schreiben war in Roquebrun kaum zu denken, und doch entstand nach über zehn Jahren der neue Roman Das Haus über dem Fjord, der 2019 in Norwegen, 2022 in Deutschland zu Kristin Vallas literarischem Comeback führte. Dabei erwies sich das französische Steinhaus als Katalysator für das Schreiben in Oslo:
Bei jeder Entscheidung, vor die ich gestellt wurde, wuchsen Ambitionen und Arbeitslust und damit auch der Umfang des Romans, den ich schrieb. (S. 164)
Der Blick in andere Schreibstuben
Hätte sich Kristin Valla in Ein Raum zum Schreiben auf ihre eigenen Erfahrungen beschränkt, es wäre mir zu wenig gewesen. Ihre Unentschlossenheit, verkrampfte Unzufriedenheit und die kaum vorhandenen Auseinandersetzungen mit ihrer Vielfliegerei und den Auswirkungen ihrer Abwesenheiten auf ihre Familie strapazierten meine Geduld bisweilen stark. Wirklich interessant und lesenswert wird diese Mischung aus Autobiografie und Sachbuch jedoch durch Beiträge über eine erstaunliche Vielzahl erfolgreicher Autorinnen und ihre Schreiborte: Sigrid Undset, Amalie Skram, Leïla Slimani, Marguerite Duras, Chimamanda Adichie, Agatha Christie, Tania Blixen, Daphne du Maurier, Selma Lagerlöf, Vita Sackwell-West, Tania Blixen, Annette von Droste-Hülshoff, Toni Morrisen und natürlich Virginia Woolf, um nur einige zu nennen. Diese gekonnt integrierten Einschübe stellen Kristin Vallas eigenes Projekt in einen größeren Zusammenhang. Besonders anrührend fand ich die Schreibbiografien von Halldis Moren Vesaas, die anders als ihr erfolgreicher Mann Tarjei Vesaas auf Midtbø in Telemark 20 Jahre ohne eigenes Schreibzimmer war, von Serine Regine Normann, der ersten erfolgreichen nordnorwegischen Schriftstellerin, die in einer Höhle versteckt schrieb, und von Buchi Emecheta, der alleinerziehenden Fünfachmutter aus Nigeria, die sich schreibend den Traum vom eigenen Haus in London erfüllte.

Kristin Valla: Ein Raum zum Schreiben. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. mare 2025
www.mare.de