Kristine Bilkau: Die Glücklichen

Sozialer Druck und Abstiegsängste der Generation 30+

Isabell und Georg sind ein Paar wie aus dem Bilderbuch. Zwar hat keiner von ihnen eine wirklich große Karriere gemacht, denn sie ist Cellistin bei einem Musicalorchester, er Journalist bei einer Zeitung, doch sie können sich das Leben in der hochwertig sanierten Mietwohnung in Hamburg leisten, in der Isabell aufgewachsen ist, das Gemüse ist Bio, die Brötchen kommen aus der Manufaktur und der Babybrei für den gemeinsamen Sohn Matti wird – obwohl völlig unnötig – mit teurem Mineralwasser angerührt.

Wo eigentlich das höchste Glück herrschen müsste, entstehen aber erste Risse, als Isabell nach ihrer Rückkehr in den Beruf nicht mehr ihre gewohnte Leistung bringen kann. Die Hände zittern ihr beim Solo, sie ist dem Druck, sowohl zu Hause als auch im Beruf perfekt zu sein, nicht gewachsen. Sie lässt sich krankschreiben, sucht Orthopäden, Physiotherapeuten und Psychotherapeuten auf, nur eines macht sie nicht: Sie kann nicht mit Georg über ihr Problem sprechen, aus Angst, dass das Zittern, indem sie darüber spricht, endgültig wird.

Dramatisch wird die Lage, als auch Georg durch den Verkauf seiner Zeitung arbeitslos wird. Nun kommt alles ins Rutschen, die Miete wird auf Dauer nicht zu bezahlen sein, der Lebensstandard kann nicht gehalten werden, und damit droht ein kompletter Identitätsverlust. Während Georg wenigstens versucht, sich ein einfacheres Leben vorzustellen, blockt Isabell wie ein bockiges Kleinkind alle Versuche, die Ausgaben einzuschränken und in eine günstigere Wohnung außerhalb zu ziehen, komplett ab. Wie bei der Verheimlichung ihres Zitterns befürchtet sie auch hier, dass allein das Denken an Veränderungen den Zustand zementiert.

Da beide Partner nicht miteinander reden, Kristine Bilkau dem Leser aber die Innensicht von Georg und Isabell zeigt, weiß dieser mehr als die Betroffenen. In einer klaren, schnörkellosen Sprache und mit viel Ruhe zeigt die Autorin in ihrem Debütroman, was die Angst vor dem Abstieg und dem Identitätsverlust aus diesem jungen Paar macht. Georg und Isabell stehen beispielhaft für die Generation 30+, die mit einer hohen Leistungsbereitschaft und einem übersteigerten Anspruch an sich selbst einen unerhörten Druck aufbaut, dem sie in Krisensituationen nicht mehr Stand halten kann. Kristine Bilkau analysiert dieses Szenario meisterhaft aus dem Blickwinkel der Soziologie und zeigt am Beispiel von Georg und Isabell die Abstiegsangst der Mittelschicht.

Aufgerüttelt durch den Tod von Georgs Mutter werden die Beiden schließlich aus ihrer Erstarrung gerissen, und obwohl das Ende weitgehend offen bleibt, legt man das Buch mit der Hoffnung aus der Hand, dass sie die Sprache wiedergefunden haben und nun gemeinsam einen alternativen Weg suchen werden.

Ich muss gestehen, dass ich lange zwischen vier und fünf Sternen geschwankt habe. Am Ende hat die Tatsache, dass mich das Buch auch Tage nach dem Ende noch stark beschäftigt, den Ausschlag für die Bestbewertung gegeben. Fünf Sterne gebühren außerdem auch dem Luchterhand Verlag für die absolut perfekte Gestaltung vom Cover über die Schriftwahl bis hin zur Gestaltung der Kapitelnummern und Seitenzahlen.

Kristine Bilkau: Die Glücklichen. Luchterhand 2015
www.randomhouse.de

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