Laura Spence-Ash: Und dahinter das Meer

  Irrungen, Wirrungen

Die Verschickung von Kindern zum Schutz vor gegnerischen Bombenangriff gab es im Zweiten Weltkrieg nicht nur in Nazideutschland. Während aber deutsche Schulkinder und Mütter mit Kleinkindern ab Oktober 1940 lediglich aus den vom Luftkrieg bedrohten Städten in weniger gefährdeten Gebieten im Deutschen Reich untergebracht wurden, schickten britische Eltern bis zu einem deutschen U-Boot-Angriff auf ein Transportschiff am 18. September 1940 mit 77 toten Kindern ihre sogar nach Amerika.

Zwischen zwei Welten
Dies ist die spannende Ausgangssituation im Debütroman Und dahinter das Meer der 1959 geborenen US-Amerikanerin Laura Spence-Ash. Ab dem Sommer 1940 liegt zwischen der elfjährigen Arbeitertochter Beatrix Thompson aus London und ihren Eltern ein Ozean, weil ihr Vater es zu ihrem Schutz so will. In Boston wartet auf die zunächst wütende und verängstigte Beatrix, die künftig Bea genannt wird, ein überaus freundlicher Empfang: Mutter Nancy Gregory hat sich seit langem eine Tochter gewünscht, Vater Ethan ist ihr nach anfänglichen Zweifeln schnell zugetan und für die Söhne William und Gerald, 13 Jahre bzw. 9 Jahre alt, wird sie zur Schwester, die das Leben der Familie positiv verändert. Beatrix selbst fühlt sich im lichtdurchfluteten großen Haus der Gregorys und vor allem auf der Sommerinsel vor der Küste von Maine wie ihr Idol Prinzessin Margret. Da sowohl ihre Eltern als auch sie selbst in ihren Briefen zum Schutz des jeweils anderen nicht die Wahrheit schreiben, wird die Entfremdung schnell größer:

Dieser Ozean, in dem sie jetzt schwimmt, und der sie voneinander trennt, ist während des vergangenen Jahres breiter geworden. (S. 67)

Abendstimmung in Maine. Foto: © M. Busch. Collage: © B. Busch. Cover: © mare

Umso schwerer für alle, als Beatrix pflichtbewusst im August 1945 nach einer Zeit der Ungewissheit überstürzt nach London zurückkehren muss, zumal William und sie inzwischen heimlich mehr als nur Geschwister sind. Schwierig gestaltet sich nach der Rückkehr das Verhältnis zu ihrer Mutter Millie, die nie mit ihrer Trauer über den Verlust der Tochter zurechtkam, immer Neid auf die Gregorys verspürte und nun am liebsten Beatrix‘ Erinnerungen an die fünf Jahre in der Ferne auslöschen würde.

Alles strebt Richtung Happy End
So interessant die Thematik dieses Romans ist, so hätte ich mir, vor allem in der zweiten Hälfte, eine andere Fokussierung gewünscht. Sehr schön erzählt Laura Spence-Ash von Beatrix‘ Ankommen und Auftauen bei den Gregorys und besonders von den Familiensommern auf der Insel. Allerdings verschiebt sich der Schwerpunkt zunehmend auf Nebenhandlungen und die Liebesgeschichte, bei der sich meine sehr frühe Ahnung trotz mancher Irrungen und Wirrungen genau bestätigte. Dafür bleiben in der eigentlich gekonnt mit großen Zeitsprüngen von 1940 bis 1977 konzipierten Handlung wichtige Ereignisse wie Beatrix‘ Rückkehr nach London ausgespart. In sehr kurzen, einen Lesesog erzeugenden Abschnitten wird personal aus der Sicht acht verschiedener Akteure erzählt, mit der Folge, dass ich keinem von ihnen richtig nahekam, nicht einmal Beatrix. Schade außerdem, dass Konflikte, Gefühle und Charakteränderungen mehr beschrieben als durch die Handlung gezeigt werden, was sie für mich leider oftmals nicht nachvollziehbar machte.

Auch wenn der Roman bei mir deshalb nicht wie gewünscht funktioniert hat: Für alle, die einen sommerlichen Liebesroman mit viel Wohlfühlatmosphäre suchen, dürfte Und dahinter das Meer eine passende Empfehlung sein.

Laura Spence-Ash: Und dahinter das Meer. Aus dem amerikanischen Englisch von Claudia Feldmann. mare 2024
www.mare.de

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