Leonardo Padura: Anständige Leute

  In den Straßen von Havanna

Einmal mehr hatte sich bewahrheitet, dass Gerechtigkeit zwar nötig, deshalb aber noch lange nicht gerecht ist. (S. 391)

 

Anständige Leute ist der zehnte (Kriminal-) Roman um den Ex-Polizisten Mario Conde des 1955 geborenen kubanischen Erfolgsautors Leonardo Padura. Nach Band sechs, Die Nebel von gestern, war es für mich die zweite Begegnung mit dieser Serien, deren Bände man problemlos auch unabhängig voneinander mit Genuss lesen und verstehen kann.

Zweigeteilte Handlung
Der inzwischen 62-jährige Mario Conde war nur zehn Jahre Polizist, bevor er vor fast 30 Jahren den Dienst aus moralischen Bedenken quittierte. Trotzdem hat ihn sein kriminalistischer Spürsinn nie verlassen. Als sein ehemaliger Kollege Manuel Palacios ihn 2016 um Hilfe bei Ermittlungen im ebenso spektakulären wie grausamen Mord am ehemals gefürchteten und noch immer verhassten Kunstzensor Reynaldo Quevedo bittet, willigt er ein. Die Polizei ist derweilen mit dem historisch bedeutenden Besuch Barack Obamas und dem ebenso legendären Konzert der Rolling Stones mehr als beschäftigt. Auch Mario Conde hätte eigentlich anderes zu tun. Da sein Handel mit antiquarischen Büchern und Gebrauchtwaren nicht mehr läuft, kam das Angebot seines ehemaligen Buchhandelspartners, in dessen Luxuslokal allabendlich ein Auge auf die Kundschaft zu haben, zur rechten Zeit. Außerdem möchte Conde aus ein paar handgeschriebenen Blättern eines Polizisten namens Arturo Saborit Amargó über Ereignisse in den Jahren 1909 bis 1910 ein Buch machen. Dieser junge Mann geriet in eine gefährliche Nähe zum König der Zuhälter Alberto Yarini y Ponce de León, einer real existierenden Figur, einem Menschenfänger und „reinste[n] Teufel“ (S. 155). Diese Aufzeichnungen bilden den zweiten Handlungsstrang des Romans, dessen erste neun Kapitel jeweils zweigeteilt sind, bevor die beiden Zeitebenen im Schlusskapitel überraschend zusammenfinden.

Gemeinsam sind beiden Zeitebenen Ereignisse, die in Havanna „eine allgemeine Lockerung der Sitten“ (S. 244) bewirken: 1909 die Erwartung des Weltuntergangs durch den Halley’sche Kometen, 2016 die Aussicht auf politischen Veränderung kurz vor dem Tod Fidel Castros durch die prominenten Besucher aus den USA, die der eingefleischte Pessimist Conde jedoch nicht teilt. 1909 wie 2016 ist die Schere zwischen Arm und Reich riesengroß und muss ein grausamer Mordfall aufgeklärt werden, bei dem es im Laufe der Geschichte nicht bleibt. Wie eine Klammer hält zudem ein Thema den Roman in all seinen Haupt- und Nebenhandlungen zusammen: die Frage nach Anstand und Moral in einem durch und durch korrupten Land wie Kuba.

© B. Busch. Cover: © Unionsverlag

Mehr politischer Kuba-Roman als Krimi
Trotz mehrerer Mordfälle ist Anständige Leute kein Krimi im klassischen Sinn, auch wenn Leonardo Padura im Nachwort schreibt, dass er mit diesem Band „dem Genre einmal so richtig auf den Grund gehen“ wollte. Mehr als um die Ermittlungen und die fast nebenbei erfolgenden Auflösungen steht Kuba im Zentrum, tiefgreifende politische und gesellschaftliche Konflikte früher und heute, aber auch überbordende Lebensfreude. Obwohl der Roman bisweilen in seinen Haupt- und Nebenhandlungen etwas zu sehr ausufert, bin ich Mario Conde sehr gerne durch die Straßen Havannas gefolgt, diesem ungewöhnlichen Ermittler und trotz gelegentlich machohafter Züge liebenswerten Philosophen und Zyniker, der so schwer an seiner innigen Zuneigung zu seinem problembehafteten Heimatland leidet, Bücher, Geschichte, Baseball, die Beatles, seine Freunde und seine Partnerin liebt und vor allem stets anständig bleibt.

Eine Empfehlung für alle, die auf unterhaltsame Weise mehr über Kuba früher und heute erfahren möchten.

Leonardo Padura: Anständige Leute. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Unionsverlag 2024
www.unionsverlag.com

 

Weitere Rezenion zu einem Mario-Conde-Krimi von Leonardo Padura auf diesem Blog:

Bd. 6

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