Maria Parr: Himbeereis am Fluss

  Ein Vorlesebuch zum Verlieben

Oskar og eg. Alle plassane vi er (dt.: Oskar und ich. All die Orte, an denen wir sind) lautet der Originaltitel des vierten Kinderromans der Norwegerin Maria Parr. Die Erzählerin Ida ist zu Beginn des Buches acht Jahre alt, ihr Bruder Oskar fünf, und jedes der elf Kapitel rund um ein Jahr heißt nach seinem Handlungsort: beispielsweise dem Kleiderschrank, dem Fluss, der Schule, einer Holzhütte, dem Friedhof oder der Rodelbahn. Der deutsche Titel, Himbeereis am Fluss, ist die fantasievolle Antwort der Geschwister auf einen verregneten Sommertag.

Geschwisterhierarchie
Ida, Oskar und ihre Eltern leben in einem roten, ein wenig unmodernen Haus in einem norwegischen Dorf. Die Fenster leuchten abends gemütlich, warm und gelb und am liebsten würde man selbst gleich auf der ersten Seite dort einziehen:

In dem Haus wohnen zwei Kinder, Oskar und ich. Wir teilen uns ein Zimmer im Keller. Ich schlafe oben im Hochbett und bin der Chef. Oskar schläft im unteren Bett und glaubt, er wäre der zweite Chef, aber eigentlich bin ich diejenige, die alles bestimmt. (S. 12)

… es sei denn, Ida und die Eltern haben gleichzeitig einen Magen-Darm-Infekt:

Es war offensichtlich, dass er alles tat, was er sonst nicht durfte, jetzt, wo ihn niemand daran hindern konnte. (S. 35)

Maria Parr: Himbeereis am Fluss. Foto & Collage: © B. Busch. Cover: © Dressler

Kinderalltag rund ums Jahr
Maria Parr lässt Ida vom Familienleben und von ganz vertrauten Alltagssituationen erzählen, denen die Kinder mit Unternehmungslust, Neugier, Kreativität, Selbstbewusstsein und Resilienz begegnen: vom Spielen in der Natur, vom ersten Schultag des Bruders, von Halloween und Weihnachten und vom Warten auf den ersehnten Schnee. Nicht alles ist heile Welt, es gibt Streit, aber auch die Krankheit ihres heißgeliebten Onkels Øyvind, seinen Tod und die Trauer, die vor allem Ida, ihre Mutter und seinen Ehemann Onkel Bulle immer wieder unvermittelt überfällt. Nichts hilft dagegen so gut wie das Zusammensein im sicheren Hafen Familie und eine Umarmung. Zentral sind die Themen Geschwistersein und Größerwerden, mal von Ida ersehnt, mal bedauert:

Wo war denn der Witz am Großwerden, wenn dadurch nur alles, was groß und schön war, klein und blöd wurde? (S. 92)

Warmherzig, empathisch und humorvoll
Maria Parr, geboren 1981, gehört zu den erfolgreichsten und meistübersetzten Kinderbuchautorinnen Norwegens. Für ihren vierten Kinderroman Himbeereis am Fluss erhielt sie 2023 unter anderem zum dritten Mal den renommierten Bragepreis in der Kategorie Kinder- und Jugendliteratur.

Ich habe mich in dieses warmherzige, überhaupt nicht nostalgische Vorlesebuch regelrecht verliebt: wegen seiner glaubwürdigen kleinen Beobachterin Ida, wegen des unbekümmerten Oskars, der im Hintergrund sanft und empathisch lenkenden Eltern und der kinderlieben Onkel. Maria Parrs Sprache ist klar, voller Empathie und warmem Humor. Spaß machen auch die vielen kolorierten Tuschezeichnungen der Illustratorin Åshild Irgens, deren Gesichter Gefühle wie Freude, Trauer, Wut, Angst, Erstaunen, Scham oder Neid wunderbar widerspiegeln.

Himbeereis am Fluss ist ein hinreißendes Vorlesebuch, das Erwachsenen jeden Alters garantiert genau so viel Freude macht wie kleinen Zuhörerinnen und Zuhörern von etwa fünf oder sechs bis neun Jahren.

Maria Parr: Himbeereis am Fluss. Illustriert von Åshild Irgens. Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt. Dressler 2024
www.oetinger.de/verlagsgruppe/dressler

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