Ein Ausflug ins Londoner Agentenmilieu
Geheimdienstthriller gehören normalerweise nicht zu meiner bevorzugten Lektüre, genauso wenig wie ich James-Bond-Filme mag. Für ein Buch des Diogenes Verlags mache ich jedoch auch gerne ab und zu einen Ausflug in ein anderes Genre und habe es letztlich nicht bereut, auch wenn ich vermutlich trotzdem nicht zur Wiederholungstäterin werde.
Das Besondere an Slow Horses ist nicht der Fall als solcher, bei dem ein Neunzehnjähriger entführt und mit der Enthauptung vor laufender Kamera gedroht wird. Viel spannender war für mich das Szenario, in das der britische Autor Mick Herron das Verbrechen einbettet. Nicht die Zentrale des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 in Regent‘s Park und ihre Topagenten stehen hier im Mittelpunkt, sondern Slough House, ein verkommenes Gebäude, in das die „Schmutzflecken in der Geschichte des Secret Service“ abgeschoben werden, die Versager, die zu Recht oder zu Unrecht Degradierten. Deren verschiedene Geschichten, die einen beträchtliche Teil des Thrillers einnehmen, habe ich am liebsten gelesen. Diese „Gefallenen“ werden von der Zentrale mit Routinearbeiten zermürbt, von Informationen ausgeschlossen, unterfordert, zur Kapitulation gedrängt. Einer dieser Versager ist der junge, einst vielsprechende Agent River Cartwright, der nach einem spektakulär verpatzten Übungseinsatz nun ein klägliches Dasein fristet, ein anderer sein Chef Jackson Lamb, König von Slough House, ein ungewaschener Despot ohne Manieren. Lamb ist die Hauptfigur der Reihe, deren erster Band nun auf Deutsch erschienen ist.
Mit der Entführung nimmt der Thriller deutlich an Fahrt auf, doch konnten mich das Ultimatum, das Verwirrspiel um die Entführer, das Rätsel um einen ins rechte Milieu abgerutschte Ex-Starreporter und die Intrigen, Manipulationen und Lügen innerhalb des MI5 nicht wirklich packen. Dazu trägt auch die flapsige Sprache der Dialoge bei, die auf mich so gänzlich unwahrscheinlich wirkt, dem Genre aber vermutlich entspricht. Gefallen hat mir dagegen, wie die Einzelkämpfer des Slough House im Angesicht der Gefahr und gegen die Zentrale zum Team zusammenwachsen und die Hoffnung auf Rehabilitation ihren Ehrgeiz anspornt. Obwohl flüssig geschrieben, braucht es beim Lesen eine ganze Menge Konzentration und ab und zu einen Blick in das äußerst hilfreiche Personenregister, um den Überblick über die Agentenschar und das aus unterschiedlichen Perspektiven erzählte Verwirrspiel zu behalten.
Wer gerne Geheimdienstthriller liest und das Besondere sucht, könnte bei dieser Reihe genau richtig sein.
Mick Herron: Slow Horses. Diogenes 2018
www.diogenes.ch