Raffaella Romagnolo: Die Libanonzeder

  Ein Kleinod des Nature Writing

Unter dem Motto „Take Care“ versammelt der Verlag Diogenes in seiner neuen Reihe Diogenes Tapir Sachbücher und Romane, die von der Natur, der Menschheitsgeschichte, Kulturen, Gemeinschaften und Respekt erzählen. Einer der ersten Titel, die als wertige, nachhaltig produzierte Hardcover-Ausgaben in der typischen Verlagsfarbe Weiß, aber mit verändertem Design erscheinen, ist ein nur 120 Seiten umfassendes, entzückendes, exklusives Bändchen der italienischen Autorin Raffaela Romagnolo mit dem Titel Die Libanonzeder. Die 1971 geborene Italienerin hat mich 2019 mit ihrem Roman Bella ciao begeistert und auch Dieses ganze Leben habe ich 2020 gerne gelesen.

Bäume als Protagonisten
Der Verlag der italienischen Originalausgabe Aboca Edizioni ruft in seiner Reihe Il Bosco degli Scrittori (Der Wald der Schriftsteller) Autorinnen und Autoren dazu auf, über Bäume ihrer Wahl zu schreiben. Raffaela Romagnolo hat mit der Libanonzeder den am häufigsten in der Bibel zitierten Baum gewählt. Er steht symbolisch für Macht, Stärke, Erhabenheit, Schutz, Eleganz und Ruhm, aber auch für Langlebigkeit, Heiligkeit und Frieden. Ursprünglich war diese Zedernart im Libanon weit verbreitet, der sie  in seiner Flagge führt, wurde aber dort weitgehend abgeholzt. In Mitteleuropa, wo die Libanonzeder bislang wenig verbreitet ist, könnte diese trocken- und hitzetolerante Sorte zukünftig weniger an den Klimawandel angepasste Baumarten ablösen.

Vier Kurzgeschichten
In Raffaela Romagnolos Büchlein ist die Libanonzeder der rote Faden, der vier Kurzgeschichten aus vier Epochen miteinander verbindet. Die Protagonistinnen und Protagonisten stehen an Wendepunkten ihres Lebens, alle haben dramatische Verluste erlitten. Zu Beginn und zwischen den Geschichten gibt es kurze, sehr poetische Kapitel zum Lebenszyklus des Baumes: Keimung, Verwurzelung, Fortpflanzung und Untergang.

© B. Busch, Buchcover: © Diogenes

Von der Vorzeit bis in die Zukunft
In der ersten Geschichte flieht die 15-jährige Hotti vor ihrer archaischen Familie, um ihrem Geliebten über das Gebirge und durch den großen Zedernwald ans Meer zu folgen.

Die eigenhändige Anpflanzung einer Libanonzeder in der zweiten Erzählung wird 1787 zum Wendepunkt im Leben des wider Willen zum Präfekten des Botanischen Gartens von Pisa ernannten Giorgio Santi.

In der dritten Geschichte möchte eine junge, vom Tod ihres Mannes tief getroffene Gräfin eine bei ihrer Hochzeit 1856 gepflanzte Libanonzeder fällen, bevor sie das Weingut im Piemont verlässt. In der Gewitternacht vor ihrer Abreise greift sie zur Axt.

Die letzte Geschichte ereignet sich in der Zukunft. Nach einer nicht näher beschriebenen großen Katastrophe wird im Rahmen eines Forschungsprogramms nach Möglichkeiten zur Wiederbesiedlung gesucht wird. Mit seiner Einmannkapsel macht Kommandant Lars Nyman im nördlichen Libanon eine sensationelle Entdeckung.

Der Kreis schließt sich
Mit der ersten und letzten Geschichte im Wadi Qadisha, Libanon, wo einst der „Wald der Zedern des Herrn“ stand, schließt sich der Kreis. Die Libanonzeder in Pisa fiel 1935 einem Sturm zum Opfer, während der piemontesische Baum bis heute dort steht.

Die Libanonzeder von Raffaela Romagnolo wurde 2023 von der Stiftung der Gärten Venedigs mit dem Campiello Natura Preis für belletristische, der Natur gewidmete Werke ausgezeichnet. Auch mich hat dieses Kleinod aus dem Bereich Nature Writing in der vorzüglichen Übersetzung von Peter Klöss sehr begeistert.

Raffaela Romagnolo: Die Libanonzeder. Aus dem Italienischen von Peter Klöss. Diogenes Tapir 2024
www.diogenes.ch/microsites/tapir

 

Weitere Rezensionen zu Büchern von Raffaela Romagnolo auf diesem Blog:

 

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert