Rauschkind
Im oberösterreichischen Rosental, einem fiktiven Dorf nahe Wels, brennen in der Sommerhitze heißgelaufene Mähdrescher und Ballenpressen, fast als stünden die Felder in Flammen. Von den apokalyptischen Bildern bemerkt die Protagonistin Luisa Fischer zunächst nichts, kreisen ihre Gedanken doch beständig nur um eines: sie selbst.
Brennende Felder von Reinhold Kaiser-Mühlecker, 1982 in Oberösterreich geborener Bio-Landwirt und Schriftsteller, ist der dritte Roman um die drei Kinder der Bauernfamilie Fischer. Während der älteste Sohn, Alexander, aus Fremde Seele, dunkler Wald sich von den Eltern abwandte, übernahm der jüngere, Jakob, aus Wilderer den Hof. Luisa floh früh aus der Familie und dem Dorf. Zwei gescheiterte Ehen später, mit einer beachtlichen Liste verflossener Wohnorte, verlassener Liebhaber und zwei bei den Vätern in Göteborg und Kopenhagen zurückgebliebenen Kindern, lebt sie seit kurzem wieder in ihrem Heimatdorf. Neuer Lebenspartner ist ausgerechnet Robert/Bob Fischer, der Mann, den sie für ihren Vater hielt, bis die Mutter ihr bei einem Streit an ihrem fünfzehnten Geburtstag das Wort „Rauschkind“ entgegenschleuderte. Keinen Gedanken verschwendet Luisa an Mutter und Brüder. Erst spät fällt ihr auf, dass sie und Bob mit der riesigen Fensterfront der Villa lebten, „als wären sie die Hauptdarsteller einer sehr speziellen, noch nie dagewesenen und bizarren Realityshow“ (S. 137)
Ein wiederkehrendes Schema
Dabei befindet sich ihre Beziehung zu Bob am Beginn des Romans bereits in einer fortgeschrittenen Phase von Luisas Beziehungsschema: Anziehung – Alltagslangeweile – Ausstiegsphantasien – Abbruch – Abscheu. Das Ende ist nur eine Frage der Zeit und ernsthafter Alternativen, da löst sich das Problem auf höchst abenteuerliche Weise von selbst.
Wie immer dauert es nicht lange, bis sie den nächsten Kandidaten aufs Korn nimmt: Ferdinand Goldberger, allseits beliebter Ministerialbeamter im Landwirtschaftsministerium und Hofbesitzer in Rosental mit elfjährigem Sohn. Ein neues Spiel beginnt.
Zwischen Lachen und Weinen
Ich habe mich zu Beginn des Romans mit der mehr als speziellen Protagonistin und ihrer verqueren Selbstwahrnehmung gequält, gar zu überzogen erschienen mir ihr Charakter und die Ausgangslage. Sobald ich beides jedoch akzeptiert hatte, entwickelte Luisas ungebremster Gedankenstrom einen unerwarteten Sog und ließ mich schwanken zwischen Lachen über ihr völlig abstruses Selbstbild und ihre schriftstellerischen Ambitionen und Weinen über die verbrannte Erde, die sie rundherum und besonders bei ihren Kindern hinterlässt. Mag ihr auch unter den unsympathischen Figuren der Literatur ein Spitzenplatz zukommen, als Romanfigur ist sie dank ihrer manischen Selbstüberschätzung, Widersprüchlichkeit, Egomanie, Rücksichtslosigkeit und eingebildeten Opferrolle auf erschreckende Art interessant. Schade nur, dass ich ohne Kenntnis der beiden anderen Bände so gar kein Gefühl für Luisas Familie bekam, vielleicht hätte ich sonst besser verstanden, wie sie zu einer derartigen Person werden konnte. Geholfen haben mir dagegen die sporadisch in den unzuverlässigen Erzählstrom eingestreuten klarsichtigen Momente und die Urteile anderer:
War es nicht ungeheuerlich, dass Hjalmar damals gesagt hatte, sie sei gestört und solle sich in Behandlung begeben? (S. 314)
Brennende Felder ist ein Buch mit Leerstellen, die Raum für Spekulationen (oder einen Folgeband?) lassen. Nur als Randthemen schwingen die aktuelle Situation der Landwirtschaft oder Umweltproblematiken mit, weshalb es für mich kein typischer Dorf- oder Heimatroman ist. Vielmehr ist es die gekonnt geschriebene Geschichte einer krankhaften, sich beharrlich der Realität verweigernden und zunehmend gefährlichen Frau, der ich im wahren Leben niemals begegnen möchte.
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Brennende Felder. S. Fischer 2024
www.fischerverlage.de