Scott Preston: Über dem Tal

  Düsternis und Gewalt

Als in Großbritannien 2001 die gefürchtete Maul- und Klauenseuche ausbrach, entschied die Blair-Regierung gegen den Widerstand der Bauernverbände, mehrere Millionen Nutztiere zu töten und zu verbrennen. Besonders betroffen waren die Landwirtschaft und der Tourismus in der Grafschaft Cumbria im Nordwesten des Landes, in der sich der Lake District Nationalpark befindet.

Leben in den Fells
Bei den Schafbauern der kargen, ärmlichen Fells von Cumbria spielt der Debütroman Über dem Tal von Scott Preston, der im Lake District aufwuchs. Sein 2001 knapp 40-jähriger Ich-Erzähler Steve Elliman, Sohn eines Schafbauern mit kleiner Herdwick-Herde auf gepachtetem Grund, erzählt gut 30 Jahre später rückblickend:

Wir züchten unsere Herden auf den Felshängen und bringen den Schafen bei, sie ratzekahl zu fressen – hat fünftausend Jahre gedauert, aber sie haben es geschafft. Hinterließen nichts als nackten Stein, nass und schwarz, und lernten das Moos lieben. (S. 6)

Als Steve, ein LKW-Fahrer, nach einem Anruf seines Vaters heimkehrt, erlebt er das Inferno hautnah:

War mir nicht sicher, ob ich je wieder ein Schaf sehen konnte, ohne mir vorzustellen, dass Blut aus einem Loch im Schädel rann. (S. 26/27)

William Herne, Nachbar der Ellimans in sechs Kilometer Entfernung mit 1000 Schafen auf eigenem Grund scheitert beim Versuch, einen Teil seiner Herde zu verstecken.

Wieder verlässt Steve seine Heimat, kehrt jedoch nach dem Tod seines Vaters erneut zurück, heuert bei William und seiner neu aufgezüchteten Herde ohne Lohn und Vertrag an, lebt bei ihm, seiner Frau Helen und dem Sohn Danny und folgt ihm bedingungslos.

Von Schafbauern zu Kriminellen
Leider ändert der Roman nach diesem zwar blutigen, aber fulminant-fesselnden Auftakt das Genre hin zur gewalttätigen Gangster- und Wildwest-Geschichte. Nachdem sich William und mit ihm Steve auf Schwerkriminelle einlassen, jagt eine Actionszene die nächste. William wird die Geister, die er rief, nicht mehr los, entpuppt sich jedoch als ebenbürtig. Zwar beherrscht der Autor die vielen rasanten Abschnitte ebenso virtuos wie die getragenen, aber die Motive für die Verwandlung aller zu skrupellosen Verbrechern waren mir zu vage. Die explizit geschilderte Brutalität und Verrohung sowohl anderen gegenüber als auch insbesondere untereinander konnte ich kaum nachvollziehen und der Fortgang hat mich immer weniger berührt.

Auch wenn die Gangart im letzten Teil wieder ruhiger wird und mit dem Auftauchen eines weit über 20 Jahren alten Schafs sogar einen mystischen Anstrich bekommt, stellte sich meine anfängliche Begeisterung nicht mehr ein.

Scott Preston: Über dem Tal. Foto: © M. Busch. Collage: © B. Busch. Cover: © John Murray, S. Fischer.

Schaf in Flammen gegen landschaftliche Idylle
Vergleicht man das englische Originalcover mit dem der deutschen Ausgabe, scheinen sie für völlig unterschiedliche Romane entworfen. Sicher hätte ich nicht nach der englischen Ausgabe mit dem Schaf in Flammen gegriffen, allerdings passt es inhaltlich besser als das wunderschöne, idyllische Landschaftsbild der deutschen Fassung, auch wenn Scott Preston die Region Cumbria und das Leben der Schafbauern beeindruckend atmosphärisch beschreibt. Die minimalistischen Sätze und Dialoge, mit denen der schwer durchschaubare Steve Williams Geschichte und damit auch seine eigene erzählt, passen sehr gut zur rauen Umgebung, den einsilbigen Menschen und dem kargen Leben. Viele Szenen und zunächst unbedeutende Details erklären sich erst im Nachhinein.

Trotz aller sprachlicher und struktureller Stärken hatte der Roman für mich im Plot und in der Entwicklung der durchweg abstoßenden Figuren deutliche Schwächen. Leider trübte auch die Vielzahl brutaler, viel zu ausführlicher Actionszenen, so gekonnt und kinoreif sie auch geschrieben sein mögen, mein Lesevergnügen.

Scott Preston: Über dem Tal. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. S. Fischer 2024
www.fischerverlage.de

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