Heimat und Fremde

Die Autorin Shida Bazyar wurde 1988 in Deutschland als Kind iranischer Eltern geboren. Flucht und der Spagat zwischen neuer und alter Heimat sind auch die Themen ihres hochgelobten Debüts aus dem Jahr 2016, das trotz spürbarer autobiografischer Einflüsse ein Roman ist.
Vier Erzählstimmen einer Familie aus dem Iran, Vater, Mutter, Tochter und Sohn, in vier langen Kapiteln aus den Jahren 1979, 1989, 1999 und 2009 sowie eine fünfte, ebenfalls einer Tochter, im kurzen, undatierten Epilog sorgen für unterschiedliche Perspektiven und bilden den äußeren Rahmen.
Zwei Generationen, vier Perspektiven, eine überraschende Wendung
Beshad, im Iran Lehrer, seine Frau, die Literaturwissenschaftlerin Nahid, ihre Tochter Laleh, die bei der Flucht 1986 vier Jahre alt war, und Morad, der damals Einjährige, berichten von der iranischen Revolution, als Kommunisten wie Beshad zunächst an der Seite der Khomeini-Anhänger den Schah und die Amerikaner vertrieben, nach dem Sieg der Mullahs jedoch in den Untergrund gedrängt wurden:
Plötzlich weißt du nicht mehr, wann aus dem gemeinsamen Kampf während der Revolution ein Kampf gegeneinander um die neue Herrschaft geworden ist. (S. 47)
Es geht um die Flucht 1986 über Istanbul nach Deutschland, um Schwierigkeiten beim Ankommen in Deutschland, um den Verlust von Heimat und Sprache, die unterschiedlich verlaufende Integration von Eltern und Kindern, die ungeplante Geburt der Tochter Tara und um eine Reise in den Iran von Mutter und Töchtern während einer Reformperiode 1999, wo sich Laleh zugehörig und fremd zugleich fühlte:
Du gehst anders, sagen sie, Du guckst anders.“ (S. 166)
Morad, der bummelige Student, entwickelt erst während der Grünen Revolution 2009 Interesse für das Land seiner Geburt, während ihn vorher seine auf Veränderungen im Iran fokussierten Eltern nervten:
Weil meine Eltern alles, was sie in den deutschen Nachrichten sehen, stillschweigend als etwas registrieren, was nicht ihr Problem ist. (S. 247)
Der kurze Epilog aus Taras Sicht stellt alles auf den Kopf.

Nicht ganz überzeugend
Prinzipiell lese ich gerne Migrationsromane, insbesondere Herkunft von Saša Stanišić gehört zu meinen Lieblingsromanen, weshalb ich mich sehr auf Nachts ist es leise in Teheran gefreut hatte. Wer allerdings mehr über den Iran und seine neuere Geschichte erfahren möchte, wird hier vermutlich ebenso enttäuscht wie ich. Besonders der Abschnitt von Laleh über die Iran-Reise war mir zu oberflächlich, denn ich hätte mir mehr gewünscht als eine verwirrende Vielzahl von Verwandten und den Schönheitskult der weiblichen Familienangehörigen. Leider hat mich auch die sprachliche Umsetzung mit wenigen Absätzen und fehlenden Anführungszeichen nicht überzeugt. So gut mir die Idee der verschiedenen Erzählstimmen gefällt, so wenig gelungen ist die stilistische Differenzierung zwischen Behsad, Nahid und Laleh, weshalb bei mir keine Nähe zu den einzelnen Familienmitgliedern aufkam. Morads Jugendsprache hebt sich zwar deutlich ab, schön zu lesen ist sie allerdings nicht. Insgesamt hat mich – mit Ausnahme des überraschenden Epilogs – jedes Kapitel weniger angesprochen als das vorhergehende. Im Gedächtnis bleiben mir daher ein politisch sehr erhellendes erstes Kapitel über die iranische Revolution, eine perfekte gelungene Überraschung im Epilog und ein klug konzipierter Aufbau.
Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran. Kiepenheuer & Witsch 2017
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