Von Vätern, Achterbahnfahrten, Ringelnatz, Schokotauchern und der Kugelbake
Seit 2017 freue ich mich auf jede Neuerscheinung der Kinderbuchautorin Silke Schlichtmann. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin wurde inzwischen vielfach ausgezeichnet für ihre Kinderromane, aber auch für ihre mitreißenden Lesungen. Ihre kleinen Ich-Erzählerinnen und Ich-Erzähler wie Pernilla, Bluma, Mattis oder Jonte gehören für mich zu den unvergesslichen Charakteren der Kinderliteratur. Die authentischen Erzählstimmen dieser pfiffigen Mädchen und Jungen, ihre einer überlegten kindlichen Logik folgenden, bisweilen für Erwachsene schräg anmutenden Gedankengängen, die Art, wie Silke Schlichtmann sie und ihre Probleme ernst nimmt, die Situationskomik, der Wortwitz und die unschlagbaren Dialoge machen diese Bücher ganz besonders. Kein Wunder also, dass auch Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna sofort den Sprung zum Buch des Monats April 2025 der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur schaffte.
Alles kommt anders, als gedacht Ich-Erzähler ist dieses Mal der knapp elfjährige Skat. Nicht genug, dass mit dem Ende der vierten Klasse der aufregende Schulwechsel bevorsteht, ist sein bester Freund Jeppe zum Beginn der Sommerferien weggezogen und meldet sich nicht mehr. Dann wird auch noch aus dem geplanten Familienurlaub in Cuxhaven ein „Schrumpfurlaub“. Dass die ältere Schwester Alva an einem Sommercamp für Hyperintelligente teilnimmt, wäre zu verschmerzen, aber dass die Mutter ihre hilfebedürftige Tante unterstützen muss, ist wirklich „Sommerobermist“! Übrig bleiben ein frustrierter Skat mit „Minuslust“ auf Cuxhaven und einen Kitesurfkurs, sein Vater und die „Nervensäge“Stig, sein fünfjähriger Bruder. Nie hätte Skat vermutet, dass bereits auf der Zugfahrt ein großes Sommerabenteuer beginnt. Als er in Cuxhaven ankommt, hat er zu seinem eigenen Erstaunen seiner gleichaltrigen Zugbekanntschaft Luna versprochen, ihr bei der Suche nach ihrem biologischen Vater zu helfen. Einzige Anhaltspunkte der kleinen Ausreißerin sind ein zwölf Jahre altes Foto ihrer Eltern an der Cuxhavener Kugelbake und ein Name aus dem Familienstammbuch: Thorben Dörenkamp.
Was folgt, ist Detektivarbeit im Achterbahnstil, bei der sich nach und nach Puzzleteil zu Puzzleteil fügt. Glück und Pech wechseln sich ab und die charakterliche Verschiedenheit der beiden Ermittler entpuppt sich als Herausforderung wie Vorteil gleichermaßen. Während der klug abwägende, zu Katastrophendenken neigende Skat bedächtig agiert, handelt die emotionale, oft wütende, „Von-null-auf-hundert“-, Von-gut-gelaunt-zu-mies-drauf“-, „Von-leise-zu-zack-wieder-laut“-Luna mit der wilden Mähne und dem leuchtend braunen Fleck im rechten Auge spontan und zu Skats Entsetzen oft unberechenbar:
Absolut empfehlenswert Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna ist eine höchst empfehlenswerte Freundschafts-, Familien- und Detektivgeschichte, spannend, unterhaltsam, nachdenklich, witzig und sehr gut verständlich für fortgeschrittene Grundschulkinder, die ganz nebenbei in typischer Silke-Schlichtmann-Manier auch noch etwas über Palindrome, Dimethylsulfid und Ringelnatz erfahren. Vor der Kulisse des sommerlichen Cuxhaven greift die Autorin in gewohnt warmer, einfühlsamer Tonlage schwierige Themen wie Wahrheit, Schweigen und Lüge, soziale und biologische Elternschaft sowie Vertrauen innerhalb von Familien und unter Freunden auf, ohne ihre Zielgruppe zu überfordern. Auch wenn ich nicht direkt dazugehöre, habe ich mit Skat und Luna, aber auch mit ihren Eltern gelitten und gefiebert, und mich an den sehr passenden schwarz-weiß-Zeichnungen von Verena Körting erfreut.
Ich empfehle diesen Kinderroman wärmsten zum Vorlesen oder Selberlesen für aufgeweckte Mädchen und Jungen ab etwa neun Jahren.
Silke Schlichtmann: Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna. Illustriert von Verena Körting. Hanser 2025 www.hanser-literaturverlage.de
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