Drei sind einer zu viel

Die Nachricht vom Tod seiner Mutter erreicht den 31-jährigen überarbeiteten Assistenzarzt Terrence während eines Dienstes im County/USC Hospital in Los Angeles. Gleich nach seiner Schicht fährt er ins viereinhalb Stunden entfernte trostlose Wüstenstädtchen Boulder City, Nevada, wo seine Mutter sich nach dem Tod seines Vaters ein Häuschen gekauft hatte. So geübt Terrence im beruflichen Umgang mit dem Tod ist, so hilflos steht er ihm privat gegenüber:
Er wusste nicht, wie er sich fühlen sollte, was er überhaupt fühlen sollte, es drang alles so plötzlich auf ihn ein. (S. 19)
Kurz nach seiner Ankunft lernt er – Zufall oder nicht – die bildhübsche Bethany kennen, die nach einer unschönen Trennung auf Wohnungssuche ist. Terrence, sonst eher unbeholfen im Umgang mit Frauen und ohne längere Beziehung, ignoriert alle Warnlampen:
Irgendwas war mit ihr, irgendwas ließ tief in seinem klinischen Hirn, das ihn ohne größere Fehler durchs Studium und seine bisherige Zeit als Assistenzarzt gebracht hatte, die Alarmglocken läuten, aber da war sie und zeigte mit einem breiten Lächeln des Erkennens die makellos weißen Zähne, und eigentlich war es doch egal. (S. 28)
Terrence landet mit Bethany im Bett und gegen seinen Willen übernimmt sie Haus, Auto und Hund der Mutter.
Schlag auf Schlag
Mit Bethany tritt Jesse in sein bisher übersichtliches und geordnetes Leben, ihr Ex-Partner, ein Biker mit übersteigertem Ego, Hang zu Rauschmitteln und Gewalt, Highschool-Lehrer, Möchtegern-Schriftsteller, Super-Macho und keinesfalls bereit, seine Ex-Freundin kampflos einem „Spießer“ und „Versager“ (S. 205) von der Westküste zu überlassen. Weil Bethany sich zwar zu Terrence hingezogen fühlt und die Vorteile von dessen „Goldstandard“ (S. 194) schätzt, sich aber von ihrem Ex-Freund, was immer er ihr antut, nicht befreien kann oder will, eskaliert die Gewalt in diesem toxischen Beziehungsdreieck. Mit Terrence und Jesse treffen zwei inkompatible Charaktere und Welten aufeinander, deren einzige Schnittmenge die Projektionsfläche Bethany ist. Es geht, im wahrsten Wortsinn, Schlag auf Schlag:
Wenn du mir wehtust, tue ich dir weh. (S. 268)
Immer wieder sieht Bethany sich in die Rolle der Pflegerin eines der beiden Kampfhähne gedrängt.
Drei Perspektiven
No way home, dessen englischer Titel in diesem Fall ausgezeichnet zum uramerikanischen Setting passt, erscheint bereits ein halbes Jahr vor der englischen Ausgabe als deutsche Originalausgabe. Abwechselnd schreibt der 1946 geborene amerikanische Vielschreiber und Bestsellerautor T.C. Boyle aus der Perspektive seiner drei Hauptfiguren, wahrt allerdings mit der dritten Person Singular Distanz. Diese Struktur sowie der süffige, routinierte Stil sind das große Plus des Romans, dem man ansonsten seine klischeehaften, unsympathischen Charaktere vorwerfen mag, nicht aber fehlende Spannung oder fehlende Einbettung in das Wüstensetting als Metapher für die Heimatlosigkeit und unerfüllten Sehnsüchte seiner Protagonisten.

So fremd mir Terrence, Bethany, Jesse und ihre Welt sind und blieben, so gut haben mich ihr toxisches Beziehungschaos, ihre taktischen Machtspiele und ihre innere Leere sowie das absolut passende Ende unterhalten, wohl auch deshalb, weil ich für keinen von ihnen Mitleid aufbringen konnte oder wollte. Ob man dem Roman eine übergeordnete politisch-gesellschaftliche Lesart unterstellt oder nicht, bleibt im Ermessen der Leserinnen und Leser, im Vordergrund stand das für mich nicht.
No way home war mein erster Roman von T.C. Boyle und wird definitiv nicht der einzige bleiben. Dass viele Kritikerinnen und Kritiker ihn für einen seiner schwächeren halten, macht mich umso neugieriger.
T. Coraghessan Boyle: No way home. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser 2025
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