William Kent Krueger: Für eine kurze Zeit waren wir glücklich

  Der Preis der Weisheit

Während der Bau der Berliner Mauer im Sommer 1961 die deutsche Teilung zementierte, herrschte in den USA Aufbruchsstimmung. Mit John F. Kennedy stand seit Jahresbeginn ein junger Präsident an der Spitze, erste Radiosender strahlten Sendungen auf UKW in Stereo aus und das Profi-Baseballteam der Minnesota Twins spielte seine erste Saison.

Niemand in der fiktiven Kleinstadt New Bremen, Minnesota, war auf die dramatischen Ereignisse vorbereitet, die das Leben ihrer Bewohnerinnen und Bewohner und insbesondere der methodistischen Pastorenfamilie Drum so grundlegend erschüttern sollten:

Das große Sterben des damaligen Sommers begann mit dem Tod eines Kindes, eines Jungen mit goldblondem Haar und einer dicken Brille, der auf der Bahnstrecke kurz hinter New Bremen in Minnesota ums Leben kam, zermalmt von tausend Tonnen Stahl, die über die Prärie Richtung South Dakota donnerten. (Prolog, S. 9)

William Kent Krueger: Für eine kurze Zeit waren wir glücklich. Fotos: © M. Busch. Collage: © B. Busch. Cover: © Piper.

Das Ende der Unschuld
Aus der Distanz von 40 Jahren erzählt Frank Drum weitgehend chronologisch vom schicksalhaften Sommer 1961, als er 13-jährig an der Schwelle zum Erwachsensein stand und zugleich doch ein impulsives, abenteuerlustiges, von den Geschehnissen überfordertes Kind war, das schwer unterscheiden konnte zwischen dem, was es wusste, und dem, was es zu wissen glaubte. Immer an seiner Seite war sein zwei Jahre jüngerer Bruder Jack, ein für sein Alter weiser, ruhig beobachtender Junge, ein stotternder Außerseiter. Beide liebten und bewunderten die 18-jährige Schwester Ariel, auf deren wegen ihrer außergewöhnlichen musikalischen Begabung alle mütterlichen Hoffnungen ruhten.

Ruth, die unruhige Mutter, die Hausarbeit, ihr Dasein als Pastorengattin und den unerschütterlichen Glauben ihres Mannes verabscheute, trauerte einer eigenen Musikerinnenkarriere nach. Nathan, ihrem Mann, stand zu Beginn ihrer Verbindung eine glänzende Anwaltskarriere bevor, bis er nach der Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg alles für das Kirchenamt aufgab, um seine nicht näher beschriebenen schweren Traumata in Schach zu halten. Er ist nur einer von mehreren psychisch oder körperlich versehrten Kriegsrückkehrern im Roman. Sein Kamerad Gus, der zum Leidwesen von Ruth Teil der Familie geworden war, betäubte seine Erinnerungen mit Alkohol und war Nathan und seinen Söhnen Freund und Vertrauter.

Nach dem Tod des Kindes beim verbotenen Spiel auf den Gleisen drangen verwirrende Gerüchte an Franks Ohr. War es denkbar, dass der Tod kein Unfall, sondern Selbstmord oder gar Mord war? Zum Grübeln blieb keine Zeit, denn schnell gab es einen weiteren Toten. Die Einschläge rückten immer näher an die Familie heran, deren labiles Gleichgewicht schwer ins Wanken geriet. Doch nicht nur bei den Drums, auch in der zunehmend aufgewühlten Kleinstadt taten sich Abgründe auf und unterdrückte Spannungen traten offen zutage.

Ein Pageturner
Trotz der Todesfälle und der Tatsache, dass der 1950 in Wyoming geborene William Kent Krueger in seiner Heimat ein Bestseller-Krimiautor ist, ist Für eine kurze Zeit waren wir glücklich ein literarischer Entwicklungs- und Familienroman sowie ein sehr gelungenes Gesellschaftsporträt einer US-amerikanischen Kleinstadt zu Beginn der 1960er-Jahre und keine reine Spannungslektüre. Der Auflösung habe ich trotzdem entgegengefiebert und lag, obwohl man sie früher hätte erahnen können, lange falsch.

Die nostalgisch-leise und schmerzhafte Geschichte über Verlust und Trauer, Glaube und Zweifel, Schuld, Vergebung, menschliche Schwächen, Klassenunterschiede, Rassismus und Neuorientierung wird glaubhaft aus der Perspektive eines 13-Jährigen erzählt, gepaart mit der abgeklärten Ruhe des Abstands von vier Jahrzehnten. Den von Tanja Handels in ein angenehmes Deutsch übertragene Roman konnte ich, einmal begonnen, kaum noch aus der Hand legen.

William Kent Krueger: Für eine kurze Zeit waren wir glücklich. Aus dem amerikanischen Englisch von Tanja Handels. Piper 2013
www.piper.de

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