Alina Bronsky: Der Zopf meiner Großmutter

  Familienterror

Großmütter gelten gemeinhin als eher lieb, fürsorglich und verständnisvoll. Genau das Gegenteil ist Alina Bronskys Protagonistin Margarita, denn sie terrorisiert nicht nur ihren gutmütigen Mann Tschingis, sondern auch den Enkel Maxim, genannt Mäxchen. Dass sie ihm grundlos Krankheiten andichtet, ihn mit pürierter Kost traktiert, mit einem wahren Desinfektionswahn gegen Keime ankämpft und ein Schulfest für ebenso gefährlich hält wie eine Grippeepidemie, könnte man noch unter dem Schlagwort „Überbehütung“ verbuchen. Beschimpfungen wie „Du bist ein Idiot“ oder „formloser Rotz“ passen dazu jedoch definitiv nicht, und dass sie ihm eintrichtert, „körperlich schwach und geistig minderbemittelt“ zu sein, entspricht mit Sicherheit nicht dem Erziehungsideal der Stärkung von Kindern. „Ein Klotz am Bein“ sei er, versichert sie ihm beständig, und schuld daran, dass für sie „jedes Lebensjahr für zwei“ zählt. „Niemand auf der ganzen Welt würde sich jemals so für mich interessieren wie sie“ versichert sie dem Ich-Erzähler Maxim, der zu Beginn fünf Jahre alt und gerade mit den Großeltern als Kontingentflüchtling nach Deutschland übergesiedelt ist. Zunächst wehrt sich der intellektuell überlegene Enkel nicht, denn: „Ich käme ja sonst zu nichts anderem mehr“, aber allmählich durchschaut er sie doch und beginnt, „am Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen zu zweifeln“ – ein erster Schritt auf dem Weg zur Emanzipation.

Einen anderen Ausweg aus der Unterdrückung findet der Großvater mit den asiatischen Gesichtszügen. Zwar kann Margarita ihn mit Schuldzuweisungen an sich binden, doch verliebt er sich kurz nach der Ankunft in Deutschland. Maxim, der die Situation instinktiv erfasst, deckt ihn, und so ist ausgerechnet die alles kontrollierende Margarita lange ahnungslos. Umso erstaunlicher reagiert sie, als sie mit der Wahrheit konfrontiert wird: Sie gründet kurzerhand eine Patchwork-Familie. Am Krankenbett des Großvaters ergibt sich deshalb ein verwirrendes Bild: „Wenn ich auf Station war, riefen mich die Schwestern … und fragten, wer die beiden Frauen an Großvaters Bett seien und wer von ihnen mich und meinen kleinen Bruder aus Korea adoptiert habe.“

Leider hat der Humor in der stark 200 Seiten umfassenden Geschichte selten so wie an dieser Stelle bei mir gezündet. Obwohl ich skurrile Protagonisten prinzipiell mag, war mir die Egozentrik Margaritas einfach zu viel. Erklärungsansätze für ihr Verhalten werden zwar im Laufe der Geschichte sichtbar, ihre Einsamkeit, die Entwurzelung, ihre Angst, nicht gebraucht zu werden, und ihre Schuldgefühle, trotzdem kam kein Mitgefühl bei mir auf. Durch die Ich-Perspektive Maxims – es blieb mir unklar, ob er rückblickend aus der Erwachsenenperspektive oder zeitnah erzählt – konnte ich außerdem nicht einschätzen, inwieweit er diese traumatische Kindheit tatsächlich so locker wegsteckt, wie er uns glauben machen will. Darüber hinaus kam das Ende relativ plötzlich, unspektakulär und mit größeren Zeitsprüngen im letzten Drittel des Romans.

Für mich reicht Alina Bronskys neuer Roman Der Zopf meiner Großmutter nicht an Baba Dunjas letzte Liebe heran. Unterhaltsam, kraftvoll geschrieben und gut zu lesen ist er jedoch allemal.

Alina Bronsky: Der Zopf meiner Großmutter. Kiepenheuer & Witsch 2019
www.kiwi-verlag.de

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