Deon Meyer: Icarus

Wer der Sonne zu nahe kommt

Für den Titel des fünften Südafrika-Thrillers um Bennie Griessel und sein Team von der Valke hat Deon Meyer auf die griechische Mythologie zurückgegriffen. Danach flog Ikarus trotz der Warnungen seines Vaters Daedalus, der ihm für die Flucht von Kreta Federn mit Wachs an ein Gestänge geklebt hatte, zu nah an die Sonne. Sein Absturz und Tod gelten als Strafe der Götter für seinen Übermut, der ihn der Sonne zu nahe kommen ließ.

Eine ähnliche Wendung nimmt das Leben von Ernst Richter, auch wenn hier statt Göttern Menschen am Werk sind. Richter wuchs nach dem früher Tod des Vaters in sehr armen Verhältnissen auf. Mit Mühe ermöglichte ihm die Mutter ein Studium, doch dann ging es steil aufwärts, als er zusammen mit zwei Freunden eine erfolgreiche Firma für Webdesign gründete. Richter wurde reich – und verkauft irgendwann seinen Anteil, als er sich nicht mehr genug herausgefordert fühlte. Nach einer ausgedehnten Asienreise gründete er erneut eine Firma: Alibi, ein Unternehmen, das seinen zahlenden Kunden bombensichere Alibis für den Seitensprung verschaffte.

Doch kurz vor Weihnachten, am 17. Dezember, wird Richters Leiche gefunden, nachdem ein Sturm und eine Überflutung sie am Strand freigespült haben. Richter, der seit Ende November vermisst wurde, war einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Seine Feinde waren aufgrund des Geschäftsmodells von Alibi zahlreich, aber ist sein Mörder unter diesen meist religiös motivierten Gegnern zu finden? Und was hat der junge Weingutbesitzer Francois du Toit mit dem Fall zu tun, dessen ausführliche Lebensbeichte bei einer Anwältin in den Roman puzzlehaft eingestreut ist?

In der Valke wird für diesen größten und aufsehenserregendsten Fall seit Pistorius ein großes Ermittlerteam zusammengestellt. Vaughn Cupido, ein farbiger Polizist, wird zu seiner eigenen Verblüffung zum Leiter ernannt, Bernie Griessel, der nach längerer Abstinenz einen Rückfall in seine Alkoholsucht erleidet, gehört ebenso dazu. Während Kapstadt sich auf Weihnachten vorbereitet, suchen die Ermittler fieberhaft nach einem Mörder…

Obwohl Icarus auf dem Cover als Thriller bezeichnet wird, ist das Buch für mich ein Krimi – und zwar einer von der durchgehend hochspannenden, psychologisch außergewöhnlich interessanten Sorte. Die Zusammenarbeit des umfangreichen Ermittlerteams und die ausschweifenden Erzählungen von du Toit, die man erst ganz am Ende einzuordnen weiß, sind die großen Pluspunkte, ebenso wie die Ausflüge in die Apartheitsgeschichte und die Schilderungen der aktuellen Lebensumstände in Südafrika. Daneben hat mir die Beschreibung der Seelenlage des alkoholkranken Kaptein Griessel sehr berührt und gefesselt.

Trotzdem habe ich mir lange überlegt, ob ich vier oder fünf Sterne vergeben soll, denn es ist mir oft schwer gefallen, den Überblick über die vielen Mitarbeiter der Valke zu behalten. Dies liegt aber vermutlich daran, dass ich mit diesem Band in die Reihe eingestiegen bin, was durchaus möglich war, aber nicht unbedingt zu empfehlen ist. Wenn man kann, sollte man deshalb besser mit Band eins beginnen, der Genuss wäre sicher größer. Ich werde es nachholen und habe beschlossen, dass es dafür keinen Punktabzug geben kann!

Deon Meyer: Icarus. Rütten & Loening 2015
www.aufbau-verlag.de

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