Gertraud Klemm: Muttergehäuse

Alternative Familiengenese

Dem Nachwort ist zu entnehmen, dass dem Roman ein Text aus dem Jahr 2010 unter dem Titel Mutter auf Papier zugrunde liegt, den die Autorin nun umgearbeitet hat, damit „es jenes Buch über alternative Elternschaft ist, das ich während der Zeit unserer Familiengenese so gerne gelesen hätte“.

Der Wiener Verlag Kremayr & Scheriau, dem ein großes Lob für die liebevolle und aufwändige Gestaltung des Buches bis in kleine Details gebührt, belegt den Roman im Verzeichnis lieferbarer Bücher mit den Schlagwörtern „Adoption“, „Kinderlosigkeit“ und „Bürokratie“. Gertraud Klemm hat die drei Teile der Geschichte mit den Überschriften „Mutter“, „Papier“ und „Kind“ versehen.

In „Mutter“ habe ich sehr ergriffen die einzelnen Abschnitte des Abschiednehmens vom eigenen Kind verfolgt. Immer wieder die Hoffnung, die Option, und dann wieder Enttäuschung. Da wird sogar der eigene Garten, in dem nichts so recht gedeihen will, zum Zeichen des Versagens: das Muttergehäuse bleibt leer. Nur drum herum scheint alles fruchtbar: „… im Zug, im Büro, in der Mittagspause, beim Nachmittagskaffee, zwischendurch bei einer wildfremden Person, die im Park telefoniert, am Abend, am Wochenende, in den Zeitungen, nirgends ist man sicher“. Die Zeit des Wartens ist geprägt von Arzttermine, der Belastung für die Beziehung, den Selbstvorwürfe und -zweifeln, dem Gefühl des Versagens und immer wieder gutgemeinten Ratschläge von überall her.

Im zweiten Teil, „Papier“, wird das Versagen endgültig nach außen getragen. Mit dem Antrag auf Adoption beginnt ein neuer Abschnitt im Ringen um ein Kind. Und wieder die ungebetenen Kommentare: „Warum gerade ein Afrikaner?“, „Ihr seid aber mutig!“, „Und was kostet das?“ Die Wut, die sich im ersten Teil noch vor allem gegen sich selbst und den sich einer Schwangerschaft verweigernden Körper gerichtet hat, beginnt sich jetzt gegen eine indiskrete Bürokratie und überbordende Anteilnahme zu wenden. Gleichzeitig entsteht durch die Treffen mit anderen adoptionswilligen Paaren zum ersten Mal ein Gefühl von Gemeinschaft.

Und dann ist es soweit: Nach einer gefühlten Ewigkeit darf der knapp fünf Monate alte Sohn in einem südafrikanischen Waisenhaus abgeholt werden. Dieser dritte Teil hat mich am meisten überrascht, denn es setzt keineswegs schlagartig die große Freude und Erleichterung ein, die ich mir ausgemalt hatte. Es überwiegt die Unsicherheit im Umgang mit dem Kind, aber vor allem die Wut auf eine Umwelt, die Adoptiveltern nicht als gleichwertige Eltern anerkennt. Der Wunsch nach einem zweiten Kind löst ein noch größeres bürokratisches Beben als beim ersten aus.

Das Buch endet versöhnlich und hoffnungsvoll mit einem der vielen, auf elegant gestalteten Seiten zwischengeschobenen Träume. Für mich ist es ein ganz starkes Stück Literatur, ein Roman, bei dem Form und Inhalt ineinander verschmelzen und jedes Wort sorgsam ausgewählt und an den richtigen Platz gesetzt wurde. Es lässt mich als Leserin tief ergriffen zurück und in der Hoffnung, dass ich einer Bekannten, die in zwei Wochen ein Kind in Thailand abholt, so unbefangen entgegentreten kann, wie die Autorin sich das gewünscht hätte, und zum Ausdruck bringen kann, wie ehrlich ich mich über das Kind freue.

Gertraud Klemm: Muttergehäuse. Kremayr & Scheriau 2016
www.kremayr-scheriau.at

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