Kent Haruf: Unsere Seelen bei Nacht

Solange es dauert

Addie Moore und Louis Waters leben schon ewig nur einen Häuserblock voneinander entfernt in der Cedar Street im Städtchen Holt, Colorado, kennen sich aber kaum. Beide sind um die 70, verwitwet und allein, vor allem nachts. Da macht Addie Louis eines Tages einen ebenso ungewöhnlichen wie direkten Vorschlag: Sie möchte gerne die einsamen Nächte mit ihm teilen und lädt ihn ein, bei ihr zu übernachten, um die Schlaflosigkeit durch Gespräche zu überbrücken. Louis, weniger mutig als sie, willigt nach kurzem Zögern ein, und so erzählen sich die beiden in langen Nächten vor dem Einschlafen ihre Lebensgeschichten, finden ihre Treffen wundervoll und können es sich bald gar nicht mehr anders vorstellen.

Doch während die Bewohner von Holt, denen die Besuche nicht verborgen bleiben, sich mit der Zeit daran gewöhnen und sich bald keiner mehr dafür interessiert, können Louis‘ Tochter Holly und vor allem Addies Sohn Gene das „peinliche“ Gebaren der Eltern nicht akzeptieren: „Ihr schämt euch nicht mal… Leute in eurem Aller treffen sich nicht im Dunkel der Nacht.“ Und so müssen Addie und Louis schließlich noch einmal ganz von vorn beginnen…

Von der ersten Seite an hat sich dieser kaum 200 Seiten starke, nie kitschige, unaufgeregt erzählte, wunderschöne und anrührende kleine Roman mit seinen überaus sympathischen Protagonisten in mein Herz geschlichen. Ich habe mich für Addie und Louis über ihr Altersglück gefreut, habe ihre beiden Lebensgeschichten, die anders verliefen, als sie es sich erträumt hatten, gerne verfolgt, war wütend auf die Ignoranz ihrer Mitmenschen, die das von der Norm abweichende Verhalten nicht akzeptieren wollten, und konnte mich mit dem Ende wenigstens halbwegs anfreunden, auch wenn ich es mir anders gewünscht hätte.

Unsere Seelen bei Nacht, der letzte Roman des mir bisher unbekannten US-amerikanischen Autors Kent Haruf (1943 – 2014), ist für mich eine der kleinen Perlen des Literaturmarkts, deren Entdeckung so große Freude macht. Ich bin gespannt, ob die Verfilmung mit Jane Fonda und Robert Redford ein ebensolches Erlebnis wird.

Kent Haruf: Unsere Seelen bei Nacht. Diogenes 2017
www.diogenes.ch

2 Kommentare

  1. Oh wow, das klingt wirklich großartig. Ich hab das Buch schon öfter in der Buchhandlung gesehen, es aber bis jetzt nie in die Hand genommen.
    Nach deiner begeisterten Rezension werde ich mir dieses Büchlein aber auf jeden Fall mal genauer anschauen. Danke für den Tipp.
    Liebe Grüße, Julia vom Blog Leselust

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