Kristine Bilkau: Eine Liebe, in Gedanken

Abschiede

2015 habe ich mit einer Mischung aus Neugier, Erstaunen und Faszination den Debütroman Die Glücklichen der 1974 geborenen Autorin Kristine Bilkau über den sozialen Druck und die Abstiegsängste der Generation 30+ gelesen. Ihr zweiter Roman, Eine Liebe, in Gedanken, hat mich nun sogar noch mehr begeistert, vielleicht deshalb, weil ich der Ich-Erzählerin altersmäßig näherstehe und die Frage, wann ein Leben geglückt ist, ungemein spannend finde.

Die Ich-Erzählerin, Architektin, Ehefrau und Mutter in den Vierzigern, ist von einem doppelten Verlassenwerden betroffen: Zuerst stirbt ihre Mutter Antonia, dann verlässt die Tochter Hanna nach dem Abitur das Haus. Während sie selbst eine harmonische Ehe führt und ihr Leben von Zielstrebigkeit und Beständigkeit geprägt ist, streben bzw. strebten Hanna und Antonia nach Freiheit. Prägend für das Leben der Mutter war ihre Liebe zu Edgar Janssen als junge Frau: Für ihn setzte sie einst alles auf eine Karte und „hat verloren in einer Zeit, in der Frauen dieser Mut nicht verziehen wurde“. Als 26-Jährige stand sie ohne Arbeit und ohne Wohnung da, den bohrenden Fragen der eigenen Mutter ausgesetzt, mit gepackten Kisten und neu angefertigtem Hochzeitskostüm, doch das versprochene Flugticket für Hongkong traf nicht ein. Nach einem Jahr des Wartens löste sie die Verlobung.

Zwei geschiedene Ehen, eine weitere kurzfristig abgesagte Hochzeit und eine Tochter sind die Bilanz von Antonias Leben. War es erfüllt? Dieser Frage versucht die Tochter nachzuspüren und dazu möchte sie einmal jenen Edgar Janssen treffen, der jeden Spätsommer aus Hongkong in sein Elternhaus zurückkehrt. Sie will ihn zwingen, sich an ihre Mutter zu erinnern und über sie und ihre Liebe zu reden. Sie möchte mehr erfahren, als es ihrer Mutter bei ihrem letzten Treffen 2006 gelungen ist.

Besonders gut gefallen hat mir an diesem Roman, dass er aus Sicht der Tochter erzählt wird, dass das Schicksal der Mutter in den sehr gut erlebbaren 1960er-Jahren im Mittelpunkt steht und der Aufbruch der dritten Generation in Person von Hanna anklingt. Dass die Ich-Erzählerin eine Ausstellung von Werken der finnischen Malerin Helene Schjerfbecks (1862 – 1946) vorbereitet und en passant deren Leben und Werk eingeflochten und mit der Handlung verschränkt wird, ist ein zusätzliches Bonbon und hat mich mit einer sehr interessanten Künstlerbiografie vertraut gemacht.

Ich kann Eine Liebe, in Gedanken als leisen, äußerst sensibel erzählten Roman in einer wunderbaren Sprache und passend zurückhaltender Gestaltung durch den Luchterhand Literaturverlag wärmstens und ohne Einschränkungen empfehlen. Für mich ist es eine große Entdeckung im Literaturfrühling 2018.

Anlässlich von „Leipzig liest“, dem Beiprogramm zur Leipziger Buchmesse, durfte ich die Autorin Kristine Bilkau im März 2018 bei einer Lesung im kleinen Kreis und im Gespräch mit der sehr empathischen und gut vorbereiteten Deutschlandfunk Kultur-Redakteurin Gesa Ufer erleben. Danke an beide für den großartigen Abend!

Kristine Bilkau: Eine Liebe, in Gedanken. Luchterhand 2018
www.randomhouse.de

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