Jeannette Walls: Schloss aus Glas

Die Geschichte einer unglaublichen Kindheit

Wie wachsen Kinder auf, wenn die Eltern bewusst jede Form der sozialen Anpassung verweigern? Wenn aus ideologischen Gründen keine Sozialhilfe beantragt wird, obwohl man weit unter dem Existenzminimum lebt?

Die New Yorker Journalisten Jeannette Walls erzählt in Schloss aus Glas in knappem, klarem Stil und ohne Sentimentalität die Geschichte ihrer unglaublichen Kindheit. Beide Eltern sind geprägt durch ihre hochgradige Ich-Bezogenheit. Der Vater, Alkoholiker wie schon seine Eltern, ist ein begabter Tüftler, ein Träumer und Geschichtenerzähler, der zu keiner geregelten Arbeit fähig ist. Die Mutter, ausgebildete Lehrerin und aus gutbürgerlicher, wohlhabender Familie, arbeitet nur im höchsten Notfall und gibt sich lieber ihren Künstlerallüren hin. Die sechsköpfige Familie vagabundiert auf der Flucht vor Gläubigern durch die USA, Ortswechsel vollziehen sich in der Regel innerhalb weniger Stunden. Heruntergekommene Unterkünfte ohne Sanitäreinrichtungen, Heizung und Strom sowie Ungeziefer, Schmutz, Hunger, Nahrungssuche in Mülltonnen und zerlumpte Kleidung sind ihr Alltag. Nur für geistige Anregungen ist gesorgt: Früh bringen die Eltern ihren Kindern das Lesen bei, der Vater rechnet mit ihnen im Binärsystem und erklärt ihnen die Natur. In der Schule fallen sie durch ihre Intelligenz auf.

Je untragbarer die Situation in der Familie wird, desto größer wird der Zusammenhalt der Kinder untereinander und desto zielstrebiger werden sie. Noch bevor sie die Schule beendet haben, gehen sie eins nach dem anderen nach New York. Während die Eltern schließlich vollends in der Gosse landen, bauen sie sich selbständig ein eigenes, erfolgreiches Leben auf.

Schloss aus Glas ist eines der fesselndsten Bücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe. Die beeindruckende, sehr sachliche und unsentimentale geschriebene Buch hat mich gepackt wie ein Krimi und lässt mich auch nach der letzten Seite nicht los. Dass es stilistisch nicht besonders gut ist, hat mich in diesem Fall ausnahmsweise weniger gestört.

Jeannette Walls: Schloss aus Glas. Hoffmann und Campe 2005
www.hoffmann-und-campe.de

Marcel Theroux: Wer war Patrick March?

Wer bin ich?

Damien March ist Nachtschichtreporter bei der BBC in London und verrichtet seine Arbeit längst nur noch routinemäßig und ohne Ehrgeiz. Da reißt ihn ein Telegramm mit der Nachricht vom Tod seines Onkels Patrick aus dem Alltagstrott. Der Schock ist deshalb so groß, weil er geglaubt hatte, sein Onkel wäre schon längst gestorben.

Als Damien auch noch erfährt, dass er der Erbe von Patricks Haus auf der Insel Ionia vor der Küste von Cape Cod ist, kündigt er kurzentschlossen seinen Job und zieht in die USA. Der Aufenthalt in Patricks Haus, in dem er laut Testament nichts verändern darf, wird für ihn zur Reise in die familiäre Vergangenheit. Als er ein unveröffentlichtes Manuskript seines Onkels mit dem Titel „Die Bekenntnisse des Mycroft Holmes“ entdeckt, glaubt er, den Schlüssel zum bewegten Laben seines Onkels gefunden zu haben. Doch dann nimmt alles eine überraschende Wende und Damien findet nicht nur eine Antwort auf die Frage „Wer war Patrick March?“, sondern auch auf die Frage „Wer bin ich?“.

Eine unterhaltsame, manchmal von Komik durchzogene Familiengeschichte.

Marcel Theroux: Wer war Patrick March? C.H. Beck 2002
www.chbeck.de

Lars Mytting: Die Birken wissen’s noch

Schweres Gepäck

Nicht nur der Titel, auch die Struktur und Farbgebung des wunderbaren Umschlags dieses Buches weisen auf den Protagonisten, das Leitmotiv des Romans hin: Holz. Auch wenn vordergründig der junge Edvard Hirifjell im Mittelpunkt steht, so dreht sich doch über 500 Seiten lang alles mehr oder weniger um Bäume, Holz und alles, was man daraus anfertigen kann.

Edvard wuchs auf dem Hof der Großeltern im norwegischen Guldbranstal auf, nachdem seine französische Mutter und sein norwegischer Vater auf einer Urlaubsreise in Frankreich zu Tode gekommen waren, als er drei Jahre alt war. „Schweres Gepäck“ für einen Heranwachsenden, zumal er als Grundschüler in einem Jahrbuch des Unglücksjahres 1971 entdeckt, dass sie auf einem eingezäunten Schlachtfeld aus dem Ersten Weltkrieg an der
Somme durch Kampfgas gestorben sind und er bei dieser Reise dabei war.

Doch die Frage, warum die Eltern ihn auf eine so gefährliche Fahrt mitgenommen haben, ist nicht das einzige Rätsel. Nach dem Tod des Großvaters taucht ein seit Jahren beim örtlichen Bestattungsunternehmer einlagernder, kunstvoll gearbeiteter Sarg auf, von dem niemand wusste, und der mutmaßlich vom Bruder des Großvater, dem begnadeten Möbelschreiner Einar stammt. Der Großvater redete nicht gerne über ihn, es herrschte Unfrieden zwischen dem Älteren, der vor dem Krieg zur Vervollkommnung seiner Tischlerfähigkeiten nach Frankreich gegangen war und im Krieg auf Seiten der Résistance stand, dabei angeblich 1944 fiel, und dem Jüngeren, der auf dem Hof blieb und für die Wehrmacht kämpfte.

Nach der Bestattung des Großvaters lassen Edvard die Familiengeheimnisse keine Ruhe mehr. Wie bei einem Mosaik sammelt er Stein für Stein und setzt nach und nach alles zu einem Bild zusammen. Er, der kaum je den Hirifjell-Hof verlassen hat, macht sich auf die Reise nach den Shetland-Inseln und dann nach Frankreich, um dem Geheimnis seiner Familie, des einarmigen Holzbarons und der sagenhaften Walnussbäume von der Somme auf die Spur zu kommen.

Der Roman besticht vor allem durch die Beschreibungen der Natur, egal ob es sich ums Holz, Kartoffelsorten, das Meer oder Stürme auf den Shetland-Inseln handelt. Gut gefallen hat mir auch die Entwicklung von Edvard, der nicht nur die Familiengeheimnisse aufklärt, sondern auch verändert nach Norwegen zurückkehrt. Gestört haben mich dagegen die für meinen Geschmack zu gehäuft auftretenden Zufälle und die Figur der Gwendolyn, die auf den Shetland-Inseln seit Jahren auf ihn gewartet hat, und zugleich Rivalin und Geliebte für ihn wird.

Trotz dieser Einschränkung habe ich die Lektüre genossen und empfehle das Buch allen, die tief in ein packendes Familiendrama und die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts eintauchen möchten.

Lars Mytting: Die Birken wissen’s noch. Insel 2016
www.suhrkamp.de

Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius

Viel mehr als ein Kriminalroman

Jakob Wassermann (1873 – 1934) war mit Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler befreundet und zu Lebzeiten, in den 1920er-Jahren, einer der meistgelesenen Autoren in Deutschland.

Der Fall Maurizius war sein letzter Roman und kreist um das Thema, das Wassermann zeitlebens beschäftigt hat: Gerechtigkeit. Vorlage für das Buch war ein Justizirrtum aus dem Jahr 1906.

1928. Der Oberstaatsanwalt Wolf Frhr. von Andergast ist beruflich wie privat hart und gefürchtet. Da er die Mutter seines 16-jährigen Sohnes Etzel wegen eines Fehltritts verstoßen hat, lebt er mit ihm alleine. Der Kontakt zwischen Mutter und Sohn ist seit zehn Jahren untersagt.

Grundstein für Andergasts Karriere war ein Indizienprozess vor knapp 20 Jahren, bei dem der Kunsthändler Leonhart Maurizius wegen Mordes an seiner 15 Jahre älteren Frau zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Etzel glaubt an ein Fehlurteil und möchte den Fall Maurizius neu aufnehmen. Dazu flieht er nach Berlin, um den Hauptbelastungszeugen, den Juden Gregor Waremme, aufzuspüren…

Dieser fesselnde Roman ist vieles in einem: spannender Kriminalroman, psychologischer Entwicklungsroman, ein Vater-Sohn-Drama und ein Porträt der Gesellschaft in der Weimarer Republik mit einer Anklage gegen die Zustände in den Zuchthäusern und gegen eine unmenschliche Justiz.

Die Hörspielfassung auf 4 CDs umfasst 300 Minuten. Die Produktion des WDR ist ausgesprochen empfehlenswert, da sowohl die Bearbeitung und Regie von Gert Westphal als auch die Sprecher Wilhelm Borchert, Siegfried Wischnewski und Kurt Horwitz herausragen.

Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. LangenMüller 2004
www.herbig.net

Christina Bacher: Die Fahrradleiche

Ein Kinderkrimi – natürlich ohne Leiche!

Wladimir ist neu aus Tadschikistan ins Kölner Agnesviertel  gekommen. Noch bevor er sich eingewöhnen kann, gerät er bereits unter Verdacht, an Fahrraddiebstählen beteiligt zu sein. Glücklicherweise erhält er Unterstützung von Sema, Kevin und Laura und gemeinsam mit dem verschrobenen Straßenkehrer Bolle beginnen die Kinder, auf eigene Faust zu ermitteln, was Kommissar Sieberbeck wiederum gar nicht passt…

Der erste Teil der Kinderkrimireihe Bolle und die Bolzplatzbande bietet viel Spannung und multikulturelles Zusammenleben, aber natürlich keine Leiche. Ganz nebenbei kann das Buch dabei helfen, Vorurteile gegen kulturelle Minderheiten bei Lesern ab ca. neun Jahren auszuräumen.

Christina Bacher: Die Fahrradleiche. Bloomsbury 2008
www.piper.de/berlin-verlag

Petra Busch: Schweig still, mein Kind

Mord im Schwarzwalddorf

Die Autorin Petra Busch lebt in Baden, ist promovierte Mediävistin und Schweig still, mein Kind war ihr erster Krimi, wurde 2010 mit dem renommierten Friedrich-Glauser-Preis für das bestes Krimi-Debüt ausgezeichnet und ist zugleich der Beginn der Reihe um den Freiburger Kriminalhauptkommissar Moritz Ehrlinspiel.

Ehrlinspiel ermittelt in diesem ersten Fall nicht in Freiburg, sondern in einem Schwarzwalddorf in der Nähe. Dort ist die Journalistin mit Karriereknick Hanna Brock in der Rabenschlucht auf die Leiche einer erschlagenen jungen Frau gestoßen, der man ihr ungeborenes Kind aus dem Leib geschnitten hat.

Schnell ermittelt Ehrlinspiel, dass es sich um die Bauerntochter Elisabeth Sommer handelt, die vor zehn Jahren spurlos verschwunden ist und nun zum 60. Geburtstag ihres Vaters erstmals zurückgekehrt ist.

Obwohl das Thema nicht unbedingt neu ist, ist es doch sehr spannend und innovativ umgesetzt. Die Charaktere sind vertieft dargestellt, der sympathische Kommissar ist ein zufriedener und humorvoller Mensch, der ein ambivalentes Verhältnis zur Journalistin aufbaut, geprägt einerseits von Wut über ihre Einmischung, andererseits von Bewunderung für ihr Einfühlungsvermögen. Herausragend ist die Darstellung von Bruno, dem autistischen Bruder der Toten, aus dessen Sicht einige Kapitel geschrieben sind, und der für die Dörfler der Hauptverdächtige ist. Überhaupt ist die Schilderung der Dorfbewohner, ihres Volksglaubens und ihrer sorgsam gehüteten Geheimnisse gut gelungen.

Ein packender Psychokrimi mit einem Showdown in der Rabenschlucht und einer ebenso überraschenden wie logischen Auflösung.

Petra Busch: Schweig still, mein Kind. Knaur 2010
www.droemer-knaur.de

Jodi Picoult: Beim Leben meiner Schwester

Ein Mensch als Ersatzteillager

Kate ist im Alter von zwei Jahren an einer unheilbaren Form von Leukämie erkrankt. Da weder der vierjährige Bruder noch die Eltern genetisch als Spender in Frage kommen, soll ein „Designerbaby“ diese Funktion übernehmen. 13 Jahre lang spendet Anna Blut und Knochenmark und durchleidet unzählige Krankenhausaufenthalte. Die Familie ordnet dem schier aussichtslosen Kampf gegen Kates Krankheit alles unter. Doch nun braucht Kate eine neue Niere und Anna ist nicht mehr bereit zu diesem Opfer, zumal sie am besten weiß, wie sehr ihre Schwester unter ihrem eingeschränkten Leben leidet. Anna sucht einen Anwalt auf und strengt mit ihm zusammen eine Klage an, um in medizinischen Fragen aus der elterlichen Entscheidungsgewalt entlassen zu werden.

Mosaikartig aus den wechselnden Perspektiven Annas, Kates, der Eltern, des als familiäre Randfigur auf die schiefe Bahn geratenen Bruders, des Anwalts und der Verfahrenspflegerin schildert die US-Amerikanerin Jodi Picoult eine letztlich unlösbare Krise. Überaus sensibel fühlt sie sich in jedes einzelne Familienmitglied ein ohne jemanden zu verurteilen, so dass ich beim Lesen immer wieder meine Meinung geändert habe.

Ein unglaublich spannendes, aufwühlendes Buch, das ich nicht mehr aus der Hand legen konnte, das aber auch sehr amerikanisch und stilistisch eher mittelmäßig ist.

Jodi Picoult: Beim Leben meiner Schwester. Piper 2010
www.piper.de

Lluís Llach: Die Frauen von La Principal

Moral in Zeiten der Diktatur

Ich wollte diesen Roman des katalanischen Liedermachers Lluís Llach vor allem deshalb lesen, weil mich die neuere spanische Geschichte sehr interessiert, der Spanische Bürgerkrieg, die Franco-Diktatur und in neuerer Zeit die Autonomiebestrebungen Kataloniens. Ich kenne die Romane Hemingways, den Roman Auf der Plaça del Diamant der Katalanin Mercè Rodoreda und Der Feind meines Vaters von Almudena Grandes, die sich alle mit diesen Themen beschäftigen, nun war ich neugierig auf die Perspektive von Lluís Llach in seinem ersten ins Deutsche übersetzten Roman. Llach musste, da er sich gegen die Unterdrückung der katalanischen Sprache und Kultur im spanischen Einheitsstaat unter Franco wehrte, ins Exil nach Paris. Vor allem sein Kultsong „L’Estaca“ („Der Pfahl“) wurde zur (verbotenen) Hymne der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Egal ob man das Buch als politischen Roman des heute für die Unabhängigkeit Kataloniens kämpfenden Autors oder als Roman über drei starke Frauen – Maria die Alte, ihre Tochter Maria Magí und deren Tochter Maria Costa liest – es ist auf jeden Fall ein beglückendes Leseerlebnis.

Aufhänger für die Erzählung der Lebensgeschichten der drei Marias ist ein Mord aus dem Jahr 1936. Damals wurde der ehemalige Vorarbeiter des Weinguts La Principal in Katalonien verstümmelt in einem Sack vor der Tür des Guts gefunden. Die Ermittlungen der Polizei kamen durch den Ausbruchs des Bürgerkriegs zum Stillstand, nun, 1940, möchte der Inspektor Lluís Recader aus Rius, Agatha-Christie-Fan und der ständigen Jagd auf Regimegegner müde, den Fall neu aufrollen. Seine Ermittlungen reichen zurück in die Zeit vor 1900, als Maria die Alte als einzige Tochter das Gut erbte, weil die vier Brüder zum Studium nach Barcelona geschickt wurden, was für sie zunächst wie eine Demütigung und Verbannung war. Doch aus der enttäuschten Frau wurde die mächtigste Person des Dorfes, die ihrer Tochter Maria Magís ein finanziell gesundes Gut hinterließ. Mutter wie Tochter trafen bei ihrer Heirat aus Liebe eine ungewöhnliche Wahl und Maria Magís musste wegen des Mordes alle Register ihrer weiblichen List ziehen…

Sehr geschickt erzählt Lluís Llach die Geschichte der drei Frauen in Rückblenden, auf mehreren Zeitebenen und z. T. durch die Augen der urigen Úrsula, der Hausangestellten und absolut loyalen Dienerin der beiden ersten Marias. Sein großes Verdienst ist es, dass er die Puzzleteile aus den Leben der drei Marias so geschickt arrangiert, dass man jederzeit gut den Überblick behalten kann, wenn man bereit ist, sich ganz in diese Geschichte zu versenken.

Für mich hat sich die Lektüre gleich in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Ich habe vieles über die Zeit des Spanischen Bürgerkriegs und die Franco-Diktatur in Katalonien mit ihren Unterdrückungsmechanismen nicht nur der Sprache erfahren. Die politische Haltung sowohl der Herrinnen auf La Principal als auch der Dorfbevölkerung, der katholischen Kirche und der Polizei haben die Zeit sehr lebendig werden lassen. Der Kriminalfall mit einem überraschenden, den politischen Umständen geschuldeten Ende, war sehr unterhaltsam zu lesen, ebenso wie die Familiengeschichte der drei ungewöhnlichen Frauen und die Randinformationen zum Weinbau im letzten Jahrhundert.

Ein Buch also, das ich absolut empfehlen kann!

Lluís Llach: Die Frauen von La Principal. Insel 2016
www.suhrkamp.de

Ute Wegmann: Die besten Freunde der Welt

Schwierige Mütter

Die besten Freunde der Welt sind Ben und Fritz, der Ich-Erzähler. Aber die Mütter machen ihnen das Leben schwer: Bens Mutter ist wegen seines angeborenen Herzfehlers überfürsorglich und möchte ihren Sohn am liebsten in Watte packen: kein Fußball, kein Tennis, kein Schwimmen, kein Schulsport, obwohl Ben längst gesund ist. Fritz dagegen wird von seiner Mutter mit Terminen so eingedeckt, dass er überhaupt keine Zeit für andere Aktivitäten hat.

Doch eines Tages hat Ben die Nase voll, denn er wäre so gerne eine Sportskanone wie sein Freund Fritz. Als der Schwimmunterricht in der Schule ansteht, will Ben einfach nicht mehr auf der Bank sitzen und zuschauen, und so hecken die beiden einen gewagten Plan aus, der viel Geduld und Einfallsreichtum erfordert…

Ute Wegmann hat ein zugleich nachdenkliches und witziges Buch über eine große Freundschaft und über die Emanzipation von den Müttern geschrieben, primär für Jungs ab ca. acht Jahren, aber auch für Mädchen und für Eltern, die ihr Erziehungsverhalten reflektieren möchten. Sabine Wilharm hat das Kinderbuch einfühlsam illustriert.

Ute Wegmann: Die besten Freunde der Welt. dtv 2015
www.dtv.de

Liam O’Flaherty: Zornige grüne Insel

Eine irische Familiensage zur Zeit der großen Hungersnot

Der Roman Zornige grüne Insel des irischen Autors Liam O’Flaherty (1896-1984) erschien auf Deutsch bereits unter verschiedenen Titeln:  Das braune Segel (1942), Das schwarze Tal (1952) und Hungersnot (1965).

Die irische Hungersnot der Mitte des 19. Jahrhunderts, bedingt durch die Kartoffelpest, die Seuchen und Auswanderung nach sich zog, wird hier beispielhaft erzählt am Schicksal der Familie Kilmartin. Wie viele irische Familien sind auch sie zu Beginn kleine Pächter, die zusammen mit Hühnern und Schweinen in einer düsteren, schmutzigen Hütte leben. Erst als die Kartoffelpest das Tal erreicht, wird klar, wie gute es der Familie vorher ging, denn nun können die Pächter den Pachtzins nicht mehr aufbringen und sie werden vertrieben. Der Hunger führt zu Seuchen und eine lähmende Gleichgültigkeit und Apathie ergreift die Menschen. Doch Mary Kilmatrin, deren Mann sich den Aufrührern gegen die britische Obrigkeit angeschlossen hat, erkennt, dass sie ihren Mann finden und sich mit ihm und ihrem Säugling auf ein Auswandererschiff retten muss, bevor auch sie in den gleichgültigen Dämmerzustand verfällt…

National Famine Memorial in Murrisk (Totenschiff) im irischen County Mayo. © M. Busch

 

 

Sehr drastisch, sehr politisch und vor allem sehr berührend schildert Liam O’Flaherty diese Hungersnot, die bis heute im Nationalverständnis der Iren eine bedeutende Rolle spielt. Der Rückgang der Bevölkerung um 50 Prozent und die unvorstellbare Härte der britischen Kolonialherren, die den „Eingriff in die Marktwirtschaft“ ablehnten und vor den Augen der Hungernden Vieh und Getreide abtransportierten, wirken bis in die Gegenwart nach und machen den um 1930 entstandenen Roman auch heute noch absolut lesenswert.

Liam O’Flaherty: Zornige grüne Insel. Diogenes 2004
www.diogenes.ch