Thomas Brussig: Wasserfarben

Geh vor die Hunde oder geh deinen Weg…

…diese Liedzeile seines Bruders Leff scheint wie für Anton gemacht: Der 18-jährige Ich-Erzähler und Schüler an einer EOS (=erweiterte Oberschule) ist zum Entsetzen seiner Umwelt noch unentschlossen über sein Studienfach. Während die Klassenkameraden klare Ziele verfolgen, muss er beim Direktor vorsprechen, weil er keine fristgemäße Bewerbung eingereicht hat. Doch da er aus „kaderpolitischen Gründen“, d. h. wegen Westverwandtschaft, kein Journalistik-Studium aufnehmen darf, hat es ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Der Direktor unterstellt ihm „eine gewisse Gleichgültigkeit“, zumal er sich auch nicht für einen verlängerten Dienst bei der Volksarmee beworben hat, und droht damit, einem „Luftikus“ wie ihm kein Reifezeugnis auszustellen. Obwohl Anton nach eigener Meinung großes Glück mit seinen Eltern hat, können auch sie ihm in dieser Situation nicht Ratgeber sein. Ohne Selbstbewusstsein und Ziel irrt er durch die Wochen vor dem Abitur: „Ich wollte nicht mehr mein Freund sein, weil ich dachte, ich bin einfach zu blöd für alles und stehe mir bloß im Wege und bereite mir immer bloß Ärger und Kummer.“ Dabei ist die fehlende Begeisterung für ein Studienfach nicht sein einziges Problem: Anton hält seine Sexualität für nicht normal, trauert der vergangenen Kindheit nach, stellt die Lehrer und das Schulsystem in Frage, leidet unter seiner Einsamkeit und den vielen unbeantworteten Fragen und hadert mit den politischen Verhältnissen. Erst ein einfühlsames Gespräch am Abend nach der Abiturprüfung mit seinem unangepassten Bruder öffnet ihm die Augen, denn: „Dir kann geholfen werden.“

Ich habe diesen frühen Roman von Thomas Brussig, den er vor seinen großen Erfolgen Helden wie wir und Sonnenallee unter einem Pseudonym veröffentlicht hat, mit gemischten Gefühlen gelesen und als Wessi habe ich die ein oder andere Passage sicher auch nicht voll erfasst. Einerseits haben mir der lässige, oft humorvolle Ton und die Darstellung der Selbstzweifel Antons gut gefallen, andererseits empfand ich die Lektüre vor allem im Mittelteil als streckenweise recht zäh.

Die 3,5 Sterne, die ich dafür vergebe, runde ich aufgrund der comedyreifen Szene mit der Geburtstagsfeier der Mutter auf vier Sterne auf.

Thomas Brussig: Wasserfarben. Aufbau 2016
www.aufbau-verlag.de

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