William Boyd: All die Wege, die wir nicht gegangen sind

Auf ein Neues!

Zur Gründung eines neuen Buchverlags braucht es heute eine gehörige Menge Buchverrücktheit, über die der Verleger Daniel Kampa offensichtlich verfügt. Dass er bereits in seinem ersten, 40 Titel umfassenden Programm mit Autoren wie William Boyd, Astrid Rosenfeld und Hansjörg Schertenleib aufwarten kann und darüber hinaus dem Diogenes Verlag die Rechte an Georges Simenons Gesamtwerk abgeluchst hat, ließ 2018 aufhorchen.

William Boyds kleiner Roman All die Wege, die wir nicht gegangen sind mit dem schmucken roten Leineneinband ist im Original 2017 als Titelgeschichte einer Sammlung von Short Stories erschienen und nun auf Deutsch beim Imprint Gatsby des Kampa Verlags. Die 22-jährige Ich-Erzählerin Bethany Mellmoth hat gerade ihr Studium der englischen und amerikanischen Literatur abgebrochen, hat an sechs Schauspielschulen erfolglos vorgesprochen und ihre aktuelle Beziehung ist gescheitert. In zehn Kapiteln schauen wir Bethany bei der Suche nach ihrem Weg irgendwo im Kunstbetrieb und beim Scheitern zu. Amüsiert habe ich verfolgt, wie sie als angehende Schriftstellerin nicht über die ersten Sätze eines Romans hinauskommt, wie ihre Statistenrolle in einer unabhängigen Filmproduktion den wilden Änderungen am Drehbuch zum Opfer fällt und weder ihre Karriere als Fotografin noch als Sängerin in Fahrt kommt. Läuft vorübergehend doch ein Projekt vielversprechend an, ist sie als gebranntes Kind sofort misstrauisch: „Alles läuft verdächtig gut, und so funktioniert die Welt eigentlich nicht – nein.“ Denn: „Dinge gehen schief“, und so zieht sie zum wiederholten Mal bei ihrer Mutter wieder ein oder nimmt deren Hilfe bei der Suche nach einem Brotjob in Anspruch. Aber nicht nur beruflich, auch privat erleidet sie regelmäßig Schiffbruch, denn die Weitsicht, die sie in Bezug auf die Partner ihrer geschiedenen Eltern beweist, geht ihr bei der eigenen Männerwahl völlig ab.

Schade fand ich, dass auch nach zwei Jahren und immer wiederkehrendem Scheitern keine merkliche Veränderung mit Bethany vorgeht. Zwar ist ihr nimmermüdes Wiederaufstehen und Von-Vorne-Beginnen zu bewundern, schwer verständlich ist für mich dagegen, dass eine kluge junge Frau so gar nichts dazulernt, all die schönen Pläne so gänzlich ohne Ehrgeiz verfolgt und sehr schnell wieder fallenlässt. Möglich, dass eine weniger verständnisvolle Mutter hilfreicher hier wäre, aber wer kann schon einer Tochter in Not die Unterstützung versagen?

Sehr gut gefallen haben mir die vielen Klischees aus dem Kunstbetrieb, über die Boyd seine Ich-Erzählerin so elegant-leicht und ironisch plaudern lässt. Allerdings hätte das Buch nicht mehr als diese zehn Kapitel umfassen dürfen, denn gegen Ende drohte sich durch die Wiederholungen eine gewisse Ermüdung bei mir einzustellen. Lust auf einen umfangreicheren Roman von William Boyd hat das kleine Buch aber allemal bei mir geweckt.

William Boyd: All die Wege, die wir nicht gegangen sind. Gatsby 2018
kampaverlag.ch

Ein Kommentar

  1. Dieses omnipotente Credo, dass man nur fest an sich glauben muss, dass man nur eine gehorige Portion Selbstvertrauen braucht, dann klappt es schon mit der neuen Rolle, dem Erfolg, spie?t Boyd als Ferment der Kunstszene auf. Und er packt das gekonnt ma?voll in eine lassig-sarkastische, von Jugendjargon impragnierte Kunstsprache. Dabei arbeitet er temporeich, mit kurzen, uberraschenden Schnitten. Das Buch ist im neugegrundeten Kampa-Verlag erschienen, als Auftakt einer Reihe, die sich in Anlehnung an den fabelhaften Klassiker aus den 19r-Jahren kess „Der kleine Gatsby“ nennt. Mit der existenziellen Wucht von F. Scott Fitzgeralds Liebesdrama um Gluck und Erfolg, um Aufstieg und Fall des „Gro?en Gatsby“ kann sich Boyds Erzahlung naturlich nicht messen. Muss sie auch nicht. Aber nach seinem missgluckten letzten Roman „Die Fotografin“ ist die Geschichte uber eine prokrastinierende Mochtegernkunstlerin eine Lesefreude, zeigt sie doch hochunterhaltsam, wie man die schone Illusion der eigenen Einzigartigkeit begraben kann, um immer wieder aufzustehen.

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