Silke Schlichtmann: Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna

  Von Vätern, Achterbahnfahrten, Ringelnatz, Schokotauchern und der Kugelbake

Seit 2017 freue ich mich auf jede Neuerscheinung der Kinderbuchautorin Silke Schlichtmann. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin wurde inzwischen vielfach ausgezeichnet für ihre Kinderromane, aber auch für ihre mitreißenden Lesungen. Ihre kleinen Ich-Erzählerinnen und Ich-Erzähler wie Pernilla, Bluma, Mattis oder Jonte gehören für mich zu den unvergesslichen Charakteren der Kinderliteratur. Die authentischen Erzählstimmen dieser pfiffigen Mädchen und Jungen, ihre einer überlegten kindlichen Logik folgenden, bisweilen für Erwachsene schräg anmutenden Gedankengängen, die Art, wie Silke Schlichtmann sie und ihre Probleme ernst nimmt, die Situationskomik, der Wortwitz und die unschlagbaren Dialoge machen diese Bücher ganz besonders. Kein Wunder also, dass auch Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna sofort den Sprung zum Buch des Monats April 2025 der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur schaffte.

Alles kommt anders, als gedacht
Ich-Erzähler ist dieses Mal der knapp elfjährige Skat. Nicht genug, dass mit dem Ende der vierten Klasse der aufregende Schulwechsel bevorsteht, ist sein bester Freund Jeppe zum Beginn der Sommerferien weggezogen und meldet sich nicht mehr. Dann wird auch noch aus dem geplanten Familienurlaub in Cuxhaven ein „Schrumpfurlaub“. Dass die ältere Schwester Alva an einem Sommercamp für Hyperintelligente teilnimmt, wäre zu verschmerzen, aber dass die Mutter ihre hilfebedürftige Tante unterstützen muss, ist wirklich „Sommerobermist“! Übrig bleiben ein frustrierter Skat mit „Minuslust“ auf Cuxhaven und einen Kitesurfkurs, sein Vater und die „Nervensäge“ Stig, sein fünfjähriger Bruder. Nie hätte Skat vermutet, dass bereits auf der Zugfahrt ein großes Sommerabenteuer beginnt. Als er in Cuxhaven ankommt, hat er zu seinem eigenen Erstaunen seiner gleichaltrigen Zugbekanntschaft Luna versprochen, ihr bei der Suche nach ihrem biologischen Vater zu helfen. Einzige Anhaltspunkte der kleinen Ausreißerin sind ein zwölf Jahre altes Foto ihrer Eltern an der Cuxhavener Kugelbake und ein Name aus dem Familienstammbuch: Thorben Dörenkamp.

Was folgt, ist Detektivarbeit im Achterbahnstil, bei der sich nach und nach Puzzleteil zu Puzzleteil fügt. Glück und Pech wechseln sich ab und die charakterliche Verschiedenheit der beiden Ermittler entpuppt sich als Herausforderung wie Vorteil gleichermaßen. Während der klug abwägende, zu Katastrophendenken neigende Skat bedächtig agiert, handelt die emotionale, oft wütende, „Von-null-auf-hundert“-, Von-gut-gelaunt-zu-mies-drauf“-, „Von-leise-zu-zack-wieder-laut“-Luna mit der wilden Mähne und dem leuchtend braunen Fleck im rechten Auge spontan und zu Skats Entsetzen oft unberechenbar:

Ich dachte. Luna machte. (S. 168)

Silke Schlichtmann: Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna. Foto der Kugelbake: © K. Pape. Collage: © B. Busch. Cover: © Hanser.

Absolut empfehlenswert
Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna
ist eine höchst empfehlenswerte Freundschafts-, Familien- und Detektivgeschichte, spannend, unterhaltsam, nachdenklich, witzig und sehr gut verständlich für fortgeschrittene Grundschulkinder, die ganz nebenbei in typischer Silke-Schlichtmann-Manier auch noch etwas über Palindrome, Dimethylsulfid und Ringelnatz erfahren. Vor der Kulisse des sommerlichen Cuxhaven greift die Autorin in gewohnt warmer, einfühlsamer Tonlage schwierige Themen wie Wahrheit, Schweigen und Lüge, soziale und biologische Elternschaft sowie Vertrauen innerhalb von Familien und unter Freunden auf, ohne ihre Zielgruppe zu überfordern.  Auch wenn ich nicht direkt dazugehöre, habe ich mit Skat und Luna, aber auch mit ihren Eltern gelitten und gefiebert, und mich an den sehr passenden schwarz-weiß-Zeichnungen von Verena Körting erfreut.

Ich empfehle diesen Kinderroman wärmsten zum Vorlesen oder Selberlesen für aufgeweckte Mädchen und Jungen ab etwa neun Jahren.

Silke Schlichtmann: Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna. Illustriert von Verena Körting. Hanser 2025
www.hanser-literaturverlage.de

 

Weitere Rezensionen zu Büchern von Silke Schlichtmann auf diesem Blog:

               

Interview mit dem Übersetzer Dr. Berthold Forssman

Dr. Berthold Forssman studierte in Erlangen, Kiel und Reykjavík die Fächer Skandinavistik, Slawistik und Germanistik auf Magister und promovierte anschließend in Jena im Fach Indogermanistik zu einem baltischen Thema. Begleitet wurde sein Studium von zahlreichen praktischen Erfahrungen und Aufenthalten in Uppsala, Riga, Vilnius und Tallinn. Seit 2002 ist er freiberuflich als Übersetzer, Journalist und Autor tätig und deckt mit seinem Schwerpunkt auf den nordischen Ländern Schweden, Norwegen, Dänemark, Island und Finnland sowie den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen nahezu den gesamten Ostseeraum ab.

Beeindruckend ist die Liste der Sprachen, aus denen er Übersetzungen anbietet, nämlich Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Mir ist Dr. Berthold Forssman zum ersten Mal als Dolmetscher eines Interviews mit dem schwedischen Autor Alex Schulman im November 2023 im Deutschlandfunk Kultur begegnet. Außerdem übersetzt er regelmäßig Medienkommentare für die Internationale Presseschau im Deutschlandfunk, eine meiner Lieblingssendungen, die ich nur ungern verpasse.

Als findigen Entdecker, versierten literarischen Übersetzer und Verfasser eines exzellenten Nachworts habe ich Dr. Berthold Forssman bei der Lektüre von „Schwäbisches Capriccio“ kennengelernt. Das Buch des leider hierzulande nur wenig bekannten lettischen Autors Anšlavs Eglītis (1906 – 1993) erschien 2024 im Berliner Guggolz Verlag und hat mir beim Lesen großen Spaß gemacht.

Dr. Berthold Forssman. © privat

Wie kam es zu Ihrer Entdeckung des Schriftstellers Anšlavs Eglītis und wie schwierig war es, einen Verlag für das „Schwäbische Capriccio“ zu finden?

Da muss ich weit in der Zeit zurückgehen! Eglītis konnte während der Sowjetzeit nicht in Lettland erscheinen, und die Entdeckung dieses vergessenen Klassikers kam für die Letten in den frühen 90er Jahren einer Sensation gleich. In dieser Zeit geriet mir durch Zufall in Riga sein Roman „Homo novus“ in die Hände, den ich mit nach Deutschland nahm und, sobald ich genug Lettisch konnte, begeistert verschlang. Meine Leidenschaft für Eglītis war damit geweckt, und wie so oft zog dann ein Projekt das nächste nach sich.

Was ist für Sie das Besondere am Werk von Anšlavs Eglītis und wo liegen die speziellen Herausforderungen bei der Übertragung seiner Romane ins Deutsche?

Eglītis hat im Laufe seines Lebens ein sehr heterogenes Werk verfasst, das sich in seiner Gesamtheit keiner speziellen Stilrichtung zuordnen lässt. Das macht seine Sprache und seine Ausdrucksweise ausgesprochen vielseitig und führt dazu, dass man sich in jeden Text noch stärker hineindenken muss als es ohnehin für eine Übersetzung notwendig ist. Eglītis hat zugleich einen sehr pointierten Humor, der ihn selbst bei den ernsteren seiner Werke nicht verlässt – und der einen aber auch für alle Mühen bei der Arbeit entschädigt.

Gibt es konkrete Pläne für weitere Übersetzungen dieses Autors?

In der Tat steht mit „Die Brautjäger“ ein weiterer Eglītis in den Startlöchern. Ich hoffe, dass sich dieses Projekt schon in Kürze anschließt. Davor erscheint aber noch ein weiteres Buch, das ich gerade aus dem Lettischen übersetzt habe: „Drei Katzen und ihr Mensch“ von Olita Tidomane. Da bin ich schon gespannt auf die Reaktionen von Katzenfreunden.

Ich habe bisher kaum Bücher aus Lettland wahrgenommen. Ist Lettland für deutsche Leserinnen und Leser ein unentdeckter Literaturraum?

Auch wenn es Ausnahmen gibt, haben es meiner Einschätzung nach ausländische Bücher in anderen Sprachen als Englisch generell schwer auf dem deutschen Markt. Dieses Schicksal teilt das Lettische also mit sehr vielen Ländern, Sprachen und ihren Literaturen, und darüber hinaus ist es eine kleine Sprache. Beim näheren Betrachten kann man aber feststellen, dass es glücklicherweise durchaus Übersetzungen aus dem Lettischen gibt, auch wenn sie nicht sofort ins Auge stechen.

Sie übersetzen Werke aus gleich fünf verschiedenen Sprachen. Gibt es prinzipielle Unterschiede bei der Übersetzungsarbeit? Welche Besonderheiten dieser Sprachen funktionieren im Deutschen anders oder gar nicht?

Jede Sprache ist auf ihre Weise ein Universum, und jede Sprache hat spezielle Eigenheiten, die für Schwierigkeiten sorgen können. Allerdings funktionieren – jedenfalls die mir bekannten – Sprachen alle nach gewissen allgemein gültigen Regeln, und auch die Kunst und die Techniken des Übersetzens bleiben im Wesentlichen die gleiche. Wo klingt etwas seltsam, wo muss ich recherchieren, was fange ich bei einem schwierigen sprachlichen Bild an? Diese Fertigkeit oder auch Kunst lässt sich, einmal gelernt, auch auf andere Sprachen übertragen.

Konzentrieren Sie sich jeweils auf eine Sprache oder können bzw. müssen Sie zeitgleich an Projekten in verschiedenen Sprachen arbeiten?

Die Menschen sind bekanntlich verschieden – wo sich die einen gern auf ein durchgehendes Projekt konzentrieren, freuen sich die anderen über Abwechslung. Ich bin ganz klar der zweite Typ, obwohl ich es manchmal bedauere, wenn ein Großprojekt langsamer vorankommt als erhofft, weil sich andere Aufgaben dazwischenschieben. Aber insgesamt bin ich mit meinem Mix hochzufrieden und freue mich, wenn ich mit unterschiedlichen Sprachen gleichzeitig hantieren kann.

Neben Ihrer Arbeit als literarischer Übersetzer schreiben Sie auch Lehr- und Wörterbücher. Wie muss man sich die Arbeit an Wörterbüchern vorstellen? Entstehen Sie als Nebenprodukte Ihrer täglichen Übersetzungsarbeit?

Bei Lehr- und Wörterbüchern muss man vielleicht unterscheiden, ob sie als Auftragsarbeit oder in Eigeninitiative entstanden sind. Bei mir war es die pure Notwendigkeit, das Material für mich selbst zu erstellen, das ich nicht oder nicht ausreichend vorfand. Als ich dann später selber Unterricht gab, konnte ich dieses Material verwenden und vor allem auch erweitern, denn jeder Kurs brachte auch mir neue Erkenntnisse. Es gab Fragen, die quasi jedes Jahr gestellt wurden, Fallen, in die immer wieder Leute tappten. Bis heute freue ich mich, wenn ich das Kompliment bekomme: „Bei Ihnen bleibt aber auch wirklich keine Frage offen“. Kein Wunder, denke ich dann – diese Frage haben sich mit Sicherheit auch andere gestellt, ich selbst eingeschlossen. Tatsächlich legen aber auch sehr viele Übersetzer während ihrer beruflichen Laufbahn in irgendeiner Form Wörterlisten an – schließlich wäre es schade, wenn man nicht auf die Ergebnisse früherer Recherchen zurückgreifen könnte.

Muss man sich als literarischer Übersetzer für einen Text begeistern können oder funktioniert das Übersetzen auch, wenn diese Begeisterung fehlt?

Es ist wohl fast überall so, dass es schwierig ist, einen Auftrag zu übernehmen, den man inhaltlich ablehnt oder mit dem man aus anderen Gründen nicht warm wird. Allerdings können sich nicht alle den Luxus erlauben, Aufträge entsprechend den eigenen Vorlieben auszusuchen. Zahlreiche Kunstschaffende und Kreative werden mit Sicherheit bestätigen, dass ein Großteil ihrer Arbeit aus Handwerk und nicht aus Genialität besteht. Das gilt auch für das Übersetzen. Begeisterung für das Werk bedeutet außerdem nicht, dass die Arbeit an sich automatisch leichter oder angenehmer würde. Man hat da wohl einfach einen anderen Blick auf die ganze Angelegenheit.

Die Kunst des Übersetzens ist nicht nur eine mechanische Aufgabe, sie erfordert auch ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität. Wie finden Sie die Balance zwischen Texttreue, Anpassung kultureller Nuancen und dem Jonglieren mit verschiedenen Bedeutungen?

Das lässt sich nicht allgemein beantworten, weil es auf den speziellen Text und seine Herausforderungen ankommt. Ich selbst bin auch Musiker und arbeite gerne mit der Stimme, und das erklärt vielleicht, warum ich versuche, mich in einen Text einzuhören. Wie hektisch oder ruhig ist er, fließt er, kommt er als Staccato einher, tauchen seltsame Harmonien und Akkorde auf, die aufhorchen lassen oder verwirren? Diese wechselnden Stimmungen versuche ich einzufangen und wiederzugeben.

Bei Ihren Übersetzungen für die Internationale Presseschau des Deutschlandfunks sind Sie es gewöhnt, für Ihre Arbeit nicht genannt zu werden. Der Guggolz Verlag ist einer der wenigen, der seine literarischen Übersetzerinnen und Übersetzer auf den Covern würdigt. Wird nach Ihrer Ansicht den Übersetzerinnen und Übersetzern literarischer Werke zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Was würden Sie sich wünschen?

Sagen wir es mal so: Es gibt Texte, bei denen man sich sogar freut, nicht als Übersetzer genannt zu werden oder es sich sogar explizit wünscht. Aber Spaß beiseite: Übersetzer sind es einerseits gewohnt, im Hintergrund zu arbeiten, wünschen sich aber andererseits Sichtbarkeit und vor allem ausreichend Wertschätzung. Bei literarischen Übersetzungen bin ich manchmal regelrecht erstaunt, für wie selbstverständlich ihre Qualität gehalten wird. Ich erinnere mich an Rezensionen, die zwar begeistert vom Geschick des Autors schwärmten und seine Sprache in den höchsten Tönen lobten, den Übersetzer aber mit keinem Wörtchen erwähnten. Es ist prima, dass das der Guggolz Verlag bewusst anders macht.

In Zeiten von KI kann eine Frage nach ihrer Nutzung im Bereich Übersetzungen nicht fehlen. Nutzen Sie KI für Ihre Arbeit? Sehen Sie Ihren Beruf langfristig in Gefahr? Spüren Sie erste Auswirkungen schon bei Fachtexten, deren Übersetzung Sie ebenfalls anbieten?

Neue Technologien führen zu Veränderungen und Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Gleichzeitig sträube ich mich ganz gewiss nicht gegen Hilfsmittel, die uns eintönige und anstrengende Aufgaben abnehmen. Um diese Hilfsmittel effektiv einsetzen und ihre Ergebnisse bewerten zu können, muss der Mensch aber über die ausreichende Expertise verfügen, und es bleibt die Frage, was schneller geht und besser ist: Die Vorarbeit maschinell erledigen zu lassen und hinterher zu überprüfen, oder es gleich selbst zu machen (wir können natürlich auch unbesehen und blindlings den maschinellen Übersetzungen vertrauen – aber ist das eine echte Option?)

Tatsächlich nützt mir die KI bislang selbst eher wenig, denn die Algorythmen speisen sich überwiegend aus den „großen“ Sprachen, und oft wird Englisch als Brückensprache verwendet, was zu Verzerrungen führt. Außerdem sind die vorhandenen Datenmengen in der Regel zu klein und zu einseitig, um zu wirklich einwandfreien Ergebnissen zu führen. Gewisse „grobe“ Arbeiten mögen also in Zukunft weniger werden, aber im gleichen Maße nimmt die Feinarbeit zu.

Wie könnte man Leserinnen und Leser sensibilisieren für die Unverzichtbarkeit menschlicher Übersetzerinnen und Übersetzer, zumindest im Bereich der Literatur?

Die Literatur ist nicht mehr und nicht weniger betroffen als andere Bereiche auch. Stellen Sie sich vor, Sie sind im Ausland erkrankt oder Opfer einer Straftat geworden. Möchten Sie wirklich, dass die Berichte maschinell übersetzt werden? Dass ein KI-gesteuertes Gericht auf der Grundlage von Algorithmen sein Urteil fällt? Wie sieht es mit der Vertraulichkeit aus? Wer haftet für mögliche Fehler? Maschinen lassen sich manipulieren, unliebsame Inhalte können unterdrückt werden, und woraus genau speisen sich die Algorithmen überhaupt? Woher wissen wir, wo genau sie in die Schule gegangen sind? Maschinell übersetzte Texte enthalten nicht mehr so viele grammatische Fehler wie früher, aber das ist umso tückischer, weil die inhaltlichen Fehler dadurch leichter übersehen werden. Übrigens können natürlich auch die Vorlagen Fehler oder inhaltliche Brüche enthalten – was dann? Manchmal stellt sich erst im Lauf eines Textes heraus, wie eine frühere Stelle gemeint ist. Wörter können unterschiedliche Bedeutungen haben, deren Sinn vom jeweiligen Kontext abhängt – oder auch bewusst verändert wurde. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Individualität, Kreativität, Feinheiten – das alles bliebe dann auf der Strecke. Wollen wir das?

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Gerade arbeite ich an einem Litauisch-Lehrbuch und an einem Wörterbuch Litauisch-Deutsch-Litauisch. Damit bin ich grundsätzlich gut beschäftigt, aber ich bin auch immer offen für das, was auf mich zukommt.

Ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie sich trotzdem Zeit für dieses Interview genommen haben!

 

Rezension zu einem Buch in der Übersetzung von Dr. Berthold Forssman auf diesem Blog:

Fernando Aramburu: Der Junge

  Nach der Tragödie


Fernando Aramburu
, geboren 1959 im spanischen Baskenland, lebt seit Mitte der 1980er-Jahre in Hannover, schreibt jedoch trotzdem auf Spanisch und gehört zu den renommiertesten Autoren seines Geburtslandes. Ausgangspunkt für seinen Roman Der Junge ist ein reales Unglück, das sich am 23.10.1980 im baskischen Dorf Ortuella unweit von Bilbao ereignete. Damals lösten Schweißarbeiten im Keller einer Schule aufgrund einer defekten Propangasleitung eine Explosion aus, bei der 50 Kinder und drei Erwachsene umkamen.

Mutter, Vater, Großvater
Nicht die Folgen für die traumatisierte Dorfgemeinschaft stehen im Mittelpunkt des Romans, vielmehr konzentriert sich Fernando Aramburu ausschließlich auf eine fiktive Familie, deren sechsjähriger Sohn Nuco bei der Katastrophe sein Leben verlor. Seine Mutter Mariaje entledigt sich rasch fast aller Andenken an ihr einziges Kind, leidet unter großer Erschöpfung und Leere und kann nicht über ihre Trauer sprechen. Mit der Entschädigungszahlung kauft sie sich in den Friseursalon ihrer Freundin ein und entflieht immer wieder aus ihrem „privaten Kummergefängnis“ (S. 112) nach Bilbao. Vater José Miguel will die Tragödie auf unbedingt hinter sich lassen und schnellstmöglich ein weiteres Kind, was für Mariaje zur „sexuellen Plackerei“ (S. 154) wird. Der verwitwete Großvater Nicasio, der ein besonders inniges Verhältnis zu seinem Enkel hatte, findet seine ganz eigene Weise im Umgang mit der Tragödie, indem er sie leugnet. Während die Dorfbewohnerinnen und -bewohner an seinem Verstand zweifeln, ist Mariaje überzeugt, dass „im Augenblick der Tragödie für ihn die Zeit auseinandergebrochen ist und seither in zwei verschiedene Richtungen führt“ (S. 174). Einerseits besucht er Nuco jeden Donnerstag im Urnenhain auf dem Friedhof und spricht mit ihm, andererseits spaziert er, die imaginäre Hand des Enkels haltend, durchs Dorf und baut in seiner Wohnung dessen Kinderzimmer originalgetreu nach:

Nicasio erklärt, dass er, von Nucos Möbeln und Spielsachen umgeben, eine körperliche Nähe zu dem Jungen verspürt, die er auf dem Friedhof nicht fühle, oder jedenfalls, so sagt er, nicht auf dieselbe Art und Weise. (S. 225)

Fernando Aramburu: Der Junge. Foto: © M. Busch. Collage: © B. Busch. Cover: © Rowohlt.

Drei Erzählstimmen
Fernando Aramburu wählt für den Roman in der ausgezeichneten Übersetzung von Willi Zurbriggen zwei unterschiedliche Erzählstimmen, ergänzt durch zehn kursiv gedruckte Einschübe. Abwechselnd berichten ein allwissender Erzähler und die inzwischen über 70-jährige Mariaje von der Zeit vor, während, aber vor allem nach dem Unglück. Die Einschübe aus der Perspektive des Buches, das hier mit eigener, menschlicher Stimme spricht, bringen Bedenken, Kritik und Dank zur Sprache, geben Erklärungen für Entscheidungen seines Autors ab, rechtfertigen die Wahl des Themas und ersetzen Vor-, Nachwort und Danksagung gleichermaßen, ein ebenso origineller wie genialer Kunstgriff.

Teilweise herzzerreißend, aber nicht sentimental
Obwohl Fernando Aramburu großes Einfühlungsvermögen, Taktgefühl und Respekt für die völlig unterschiedlich trauernden Familienmitglieder zeigt, wird der Text dank der sehr kargen Sprache, dem Verzicht auf überzogene Dramatik und der Distanz schaffenden Einschübe nie sentimental. Für mich hätte es die komplizierte Ehegeschichte von Mariaje und José Miguel mit den durchaus interessanten ethischen Fragen nicht gebraucht, da sie mich in der zweiten Hälfte des Buches von den spannenderen Themen Verlust, Trauer, Erinnerung und Weiterleben abgelenkt hat. Zweifellos ist Der Junge jedoch trotzdem eine sehr lohnende Lektüre, von der mir vor allem das reale Unglück, die einzigartige Figur des Großvaters mit seiner herzzerreißenden Trauer-Strategie und die Einschübe aus der Perspektive des Buches in Erinnerung bleiben werden.

Fernando Aramburu: Der Junge. Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Rowohlt 2025
www.rowohlt.de

 

Weitere Rezensionen zu Romanen von Fernando Aramburu auf diesem Blog:

 

Vigdis Hjorth: Wiederholung

  Es hört nie auf

Die 1959 in Oslo geborene Autorin Vigdis Hjorth gehört zu den wichtigsten literarischen Stimmen Norwegens und ist Teil der Gastlanddelegation auf der Leipziger Buchmesse 2025. In Deutschland ist sie vor allem für ihr autofiktionales Schreiben bekannt. Ihr autobiografisch gefärbter Roman über familiären Kindesmissbrauch Arv og miljø von 2016 verursachte in ihrem Heimatland einen Skandal. Er erschien auf Deutsch, vorzüglich übersetzt von Gabriele Haefs, erstmals 2019 unter dem Titel Bergljots Familie im Osburg Verlag und 2024 in einer von der Übersetzerin überarbeiteten Ausgabe als Ein falsches Wort im S. Fischer Verlag.

Alles, was du vergessen willst, kehrt zu dir zurück (S. 5)
… so beginnt Vigdis Hjorths schmaler Roman Wiederholung, der das zentrale Thema von Arv og miljø erneut aufgreift. Nun schaut eine erfolgreiche Autorin auf das ahnungslose 16-jährige Mädchen zurück, das sie 48 Jahren zuvor war:

Wenn jedoch alles wiedererlebt und durchlebt ist, wenn der lähmende Schmerz abnimmt, wirst du vermutlich erkennen, dass du eine neue Einsicht in die Bedeutung dieser spezifischen Erinnerung gewonnen hast; deshalb ist sie zu dir zurückgekehrt: um dir etwas zu erzählen.
Warum schreibe ich du, wenn ich ich meine? (S. 5)

Coming-of-Age unter ungewöhnlichen Bedingungen
Die zufällige Beobachtung eines Elternpaars mit seiner halbwüchsigen, offensichtlich unglücklichen Tochter beim Besuch eines Konzerts löst den Flashback in den November 1975 aus, als ihre Mutter sie mit neurotisch anmutender Besessenheit überwachte. Mit der Pubertät der Tochter verfiel die Mutter in einen hysterischen Kontrollwahn, fieberhaft fixiert auf deren aufkeimende Sexualität und die Gefahren durch Alkohol, Zigaretten und Drogen. Das mütterliche Verhalten wirkte sich fatal auf die Identitätsbildung der Tochter aus und löste einerseits tiefe Selbstzweifel und Ängste, andererseits den Wunsch nach Grenzüberschreitung aus:

Sie witterte offenbar einen Abgrund in mir, und sie brachte mich dazu, ihn ebenfalls zu spüren. (S. 17)

Warum kam die Mutter überhaupt nicht mit der Pubertät der Tochter zurecht?

Während der kühl-distanzierte Vater die Übergriffe einzudämmen versuchte, schienen sich deren schlimmste Befürchtungen schließlich im Tagebuch der Tochter zu bewahrheiten. Unerwartet reagierte der Vater jedoch ungleich heftiger als sie auf das schriftliche Geständnis eines Geschlechtsverkehrs, der ironischerweise so nie stattgefunden hatte. Indem die Mutter sich unmissverständlich auf die Seite ihres Mannes stellte, keimte bei der Tochter erstmals der Vorgeschmack eines Verdachts auf:

… ich war auf die Spur meines eigentlichen Traumas gebracht worden, denn intuitiv begriff ich, mit dem Körper begriff ich, dass das, was geschehen war, eine Nachwirkung von etwas Früherem war… (S. 128)

Vigdis Hjorth: Wiederholung. Foto: © B. Busch. Cover: © Osburg & S. Fischer

Das erste Puzzlestück
Obwohl Wiederholung Szenen aus dem wesentlich umfangreicheren Arv og miljø aufgreift, die mir gut im Gedächtnis waren, ist das Buch dennoch völlig eigenständig und hat mich mit seiner großen Verdichtung mitgerissen. Die klaustrophobische Familienatmosphäre und die Einsamkeit des jungen Mädchens, das den ersten Puzzlestein auf dem Weg zum Erkennen seines Traumas findet und die Macht des geschriebenen Wortes entdeckt, übertragen sich beim Lesen auf Gänsehaut auslösende Weise. Andererseits beweist die Autorin in der gescheiterten Beischlafszene der Ich-Erzählerin mit dem auf ganzer Linie versagenden Möchtegernliebhaber Finn Lykke (deutsch: „Glück finden“) ihr außergewöhnliches Talent für Situationskomik. Selten habe so intensiv mit einer jugendlichen Protagonistin gelitten wie in diesem wirklich meisterhaften Roman.

Gjentakelsen, deutsch: Wiederholung, wurde 2023 mit dem sehr renommierten norwegischen Kritikerpreis ausgezeichnet, genau wie Arv og miljø 2016.

Vigdis Hjorth: Wiederholung. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. S. Fischer 2025
www.fischerverlage.de

 

Weitere Rezensionen zu Romanen von Vigdis Hjorth auf diesem Blog:

Hjorth  

 

Weitere Rezensionen zu Büchern auf diesem Blog, die mit dem Norwegischen Kritikerpreis ausgezeichnet wurden:

1955
2003
Hjorth
2016

 

Anne B. Ragde: Hitzewelle

  Unter Hochdruck

Hitzewelle ist Teil drei der zunächst als Trilogie geplanten Neshov-Saga über die gleichnamige Familie und ihren Hof in Byneset nahe Trondheim. Platzte in Teil eins, Das Lügenhaus, nach dem Tod der alten Mutter die große Familienlüge und schockierte ihre drei völlig unterschiedlichen Söhne, so zerschlug sich in Teil zwei, Einsiedlerkrebse, die kurzzeitige Hoffnung auf familiäre Aussöhnung. Rasch kehrte jeder der Brüder zu seinem alten Leben zurück: Tor zum heruntergekommenen Hof mit den unrentablen Schweinen, der überkorrekte Margido zu seinem spartanischen Leben trotz seines erfolgreichen Bestattungsunternehmens  und der hysterische Exzentriker Erlend mit seinem Partner Krumme zum ausschweifenden Kopenhagener Luxusalltag. Einzig der Kontakt zwischen Tor und seiner Tochter Torunn, die als Tierarzthelferin und Hundetrainerin in Oslo lebt, ist enger geworden.

Torunn ist auf dem Hof, als sich am Ende von Teil zwei eine Katastrophe ereignet. Der Cliffhanger wird zu Beginn von Hitzewelle aufgelöst: Tor hat sich aus Verzweiflung das Leben genommen und Torunn gibt sich die Schuld daran, weil sie ihm nicht das erhoffte Versprechen für eine Übernahme des Hofes gegeben hat.

Alle sind mit sich beschäftigt
Über Norwegen liegt ein großes Hochdruckgebiet, alle stöhnen unter der ungewohnten Hitze. Auch auf Torunn lastet ein unerträglicher Druck, der sie immer depressiver macht. Während sie mit dem nicht nur an den Schweinen interessierten Helfer Kai Roger den Hof am Laufen hält und Großvater Tormod pflegt, sind Margido und Erlend wie immer mit eigenen Problemen beschäftigt. Margido versucht zwar zu helfen, ist aber mit den vielen Hitzetoten, Betriebserweiterung und dem Umzug seines Sarglagers nach Byneset ausgelastet. Erlend meidet wie üblich Unannehmlichkeiten, feiert wilde Partys und fiebert seiner und Krummes Vaterschaft mit dem lesbischen Paar Lizzi und Jytte entgegen. Zusammen mit einem Stararchitekten treffen die vier zukünftigen Eltern auf Byneset ein, um den Umbau des Silos zur Luxus-Ferienwohnung zu planen. Doch wieder einmal endet das familiäre Zusammentreffen im Desaster. Ausnahmslos alle Männer sehen in Torunn die Lösung für ihre Zukunftspläne, aber was will sie?

Weniger Humor, viele Tränen
Auch diesen dritten Teil der Neshov-Reihe habe ich mir vorlesen lassen, leider wieder gekürzt auf 5 CDs mit 376 Minuten und 96 Tracks, aber gewohnt souverän interpretiert von Matthias Brandt (Margido), Gustav Peter Wöhler (Erlend) und Wiebke Puls (Torunn).

Anne B. Ragde: Hitzewelle. © B. Busch. Cover: © Hörbuch Hamburg.

Die 1957 bei Trondheim geborene Autorin Anne B. Ragde hat mich mit diesem dritten Teil nicht ganz so überzeugt wie zuvor. Die Charaktere haben sich kaum weiterentwickelt, lediglich in ihrer Skurrilität und Klischeehaftigkeit verstärkt, und es passiert wenig Neues. Besonders der schwule Dekorateur und Alkoholiker Erlend verkommt zunehmend zur Parodie. Torunns Abwehr aller Hilfsangebote ist schwer zu begreifen, der trockene Humor der vorhergehenden Teile hat mir gefehlt und insgesamt wurde mir rundum zu häufig geweint. Trotzdem laufen die Fäden in diesem letzten Teil gut zusammen und das Ende ist, wenn auch nicht vergnüglich, so doch glaubhaft und passend.

Nach einer mehrjährigen Pause liegen inzwischen drei weitere Teile der Neshov-Reihe auf Deutsch vor: Sonntags in Trondheim (2017), Der Liebhaber (2019) und Rückkehr (2022), allerdings leider nicht als Hörbücher.

Anne B. Ragde: Hitzewelle. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Gekürzte Lesung von Matthias Brandt, Wiebke Puls und Gustav Peter Wöhler. Hörbuch Hamburg 2010
www.hoerbuch-hamburg.de

 

Weitere Rezensionen zu Hörbüchern der Neshov-Reihe von Anne B. Ragde auf diesem Blog: 

Teil 1
Teil 2

 

Takis Würger: Für Polina

  Ein bezauberndes musikalisches Liebesmärchen

Kaum auf der Welt, schmiegen sich der runzlig-rote Hannes und die flaumig-dunkle Polina „wie zwei Maulwurfsbabys“ (S. 16) aneinander. Ihre alleinerziehenden, überglücklichen Mütter sind Zimmergenossinnen in einer Hannoveraner Entbindungsklinik und fortan beste Freundinnen. Fritzi Prager steht kurz vor dem Abitur und begräbt ihren Traum vom Jura-Studium, die türkischstämmige  Güneş holt auf der Abendschule ihr Abitur nach und beide putzen nun gemeinsam Netto-Markt. Fritzi findet ein 90-Quadratmeter-Zimmer in einer halbverfallenen Villa im Bissendorfer Moor beim schrulligen, 60-jährigen Ex-Klavierstudenten und Möchtegernschriftsteller Heinrich Hildebrand, der sich widerwillig von ihr und Hannes als Mietern überzeugen lässt. Nachdem auch Polina sein „Gletscherherz“ (S. 33) zum Schmelzen gebracht hat, sind sie und Güneş häufige Besucherinnen in der Moorvilla und die grundverschiedenen Kinder wachsen wie Geschwister auf. Hannes ist still, verträumt, langsam und beinahe lethargisch, Polina laut, wach und lernt schnell. Sie ist Hannes in allen Belangen überlegen, bis der Achtjährige Hildebrands altes Klavier entdeckt:

Er fühlte das Instrument, bevor er es verstand. (S. 43)

Mit Hildebrands Unterricht macht das musikalische Wunderkind schnelle Fortschritte:

So dömelig der Junge mit allem anderen war, so schnell begriff er am Klavier. (S. 45)

Und noch etwas hat Hannes Polina als Dreizehnjähriger voraus: Er lernt seinen Vater kennen, während sie dauerhaft unter dieser Leerstelle leidet.

Ein Ziel gerät aus dem Blick
Auch wenn Polina sich vorläufig – trotz Hannes‘ für sie komponierter Klaviersonate „Für Polina“ – anderweitig verliebt, hätte alles gut werden können, doch nach einem Drittel des Romans hat Hannes verloren, was sein Leben ausmacht. Ans Klavier mag er sich nicht mehr setzen, doch weil er nicht ganz davon lassen kann, wird er trotz seines ungeeigneten Körperbaus Klavierträger in Hamburg. Das Schicksal beschert ihm einen hünenhaften Arbeitskollegen, der zum Freund wird, eine Lebenspartnerin und eine trügerische Alltagsroutine:

Er vermisste die Musik nicht, sie war ja noch da, auch wenn es nicht seine war, die erklang. Wenn er genug arbeitete, gelang es ihm, diese Lüge zu glauben. (S. 137) 

Seine übermächtige Leerstelle bleibt Polina, sein Ausdrucksmittel Töne. Als er sich eines Tages spontan auf der Straße ans Klavier setzt und ein Video davon viral geht, könnte sein in Vergessenheit geratenes Ziel plötzlich wieder näherrücken…

Takis Würger: Für Polina. Foto & Collage: © B. Busch. Cover: © Diogenes.

Einfach verzaubern lassen!
Man kann Für Polina mit dem strengen Blick des Feuilletons beurteilen, eine Verletzung der Kitschgrenze, fehlenden Raum für Fantasie, statische Charaktere oder Überkonstruktion kritisieren und sich den Zauber, der sich bei mir ab dem ersten Satz einstellte, dadurch gründlich vermiesen. Arme Kritikerinnen und Kritiker! Glücklicherweise ging es mir völlig anders. Zwar meide ich sonst Liebesromane, besonders, wenn die pastelligen Cover eine Frau von hinten zeigen, aber mit dieser an ein Märchen erinnernden, manchmal aus der Zeit gefallenen Liebes- und Freundschaftsgeschichte hatte mich der 1985 geborene, für seine Reportagen vielfach ausgezeichnete ehemalige Spiegel-Journalist Takis Würger sofort am Haken. Ein bisschen Kitsch darf sein, wenn er, wie hier, immer rechtzeitig ironisch gebrochen wird, oder, wie der Titel des Videos, eindeutig Satire ist. Meiner Fantasie bietet das gelungene Ende reichlich Platz und die von seinen Freunden unterstützte Wandlung Hannes‘ vom Objekt zum Subjekt war mir Entwicklung genug. Die geschickte Romankonstruktion mit linearer, leichtfüßiger Erzählweise, Wendungsreichtum, urigen Nebenfiguren, gekonnt platzierten Zeitsprüngen und Details zum Klavierträger- sowie Klavierstimmerhandwerk hat mir ausgezeichnet gefallen.

Ich kann Für Polina allen empfehlen, die sich gerne von einem gut geschriebenen, keinesfalls trivialen, dafür hoffnungsvollen musikalischen Liebes- und Freundschaftsmärchen verzaubern lassen möchten. Bei mir hat das hervorragend geklappt.

Takis Würger: Für Polina. Diogenes 2025
www.diogenes.ch

 

Weitere Rezension zu einem Roman von Takis Würger auf diesem Blog:

Sehnsucht Skandinavien

  Eine akustische Reise durch Skandinavien

„Eine akustische Reise durch Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island“ lautet der Untertitel der Sammlung von Features aus den Ländern des Nordens. Da ich Sehnsucht Italien und Sehnsucht Frankreich bereits kannte, wusste ich, was mich erwartet. Anders als im Radio, wo ich Reisefeatures zwar leidenschaftlich gerne, aber immer nur zufällig höre, erlaubt der Hörverlag bei diesen Zusammenstellungen Features am laufenden Band, geordnet nach Regionen. Bei Sehnsucht Skandinavien sind es 31 Beiträge des Bayerischen Rundfunks 2 aus den Jahren 2011 bis 2023 auf 5 CDs, je einer für Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island zusammen mit den Färöer-Inseln, sechs Stunden und 45 Minuten Hörspaß ohne Ermüdungssymptome.

Sehnsucht Skandinavien. Foto: © B. Busch. CDs, Booklet u. Poster: © der Hörverlag.

Bekanntes und Unbekanntes
Gleichermaßen Reportage wie Dokumentation, greifen die Features Aspekte aus der Kunst und Architektur, der Natur, der Geschichte, der Literatur, der Küche und der Gesellschaft heraus, vor allem aber vermitteln sie viel vom Lebensgefühl der glücklichen Skandinavierinnen und Skandinavier. Hörend begleitet man die vorzüglichen Sprecherinnen und Sprecher an bekannte und unbekannte Orte, erfährt von einheimischen Stimmen Wissenswertes aus erster Hand, lauscht Musikeinspielungen oder typischen Geräuschen. Schwer für mich zu entscheiden, was mir besser gefällt: Einerseits sind da die Features über Reiseziele oder Landestypisches, die oder das ich aus eigenem Erleben kenne, wie die finnischen Ålandinseln und die Opernstadt Savonlinna, schwedische Zimtschnecken, Oslo auf den Spuren Edvard Munchs, die norwegische Fjordlandschaft und die Vesterålen, die nun allesamt mit den neu gewonnenen Erkenntnissen einen weiteren Besuch lohnen. Andererseits gibt es sehr viel mir bisher Unbekanntes, wie beispielsweise die Hans-Christian-Andersen-Stadt Odense, die dänischen Erbseninseln und die Steilküste von Møn, die schwedische Insel Ven im Öresund mit ihrem Observatorium, den Radweg Kattegattleden, Spitzbergen, die Färöer-Inseln oder Island, letzteres gerne im Winter und auf den Spuren der alten Sagas. Jedes der letztgenannten Ziele hat es spielend auf meine Wunschliste geschafft, auf der ganz oben nun allerdings eine Fahrt mit der Fährlinie 40 durch Stockholms Schärengarten steht.

Hören und träumen
Es ist die Mischung aus lebendig gestalteter Information und atmosphärischem Hörerlebnis, die diese Reisefeatures für mich so ungemein interessant, inspirierend und unterhaltsam machen. Nebenbei kann man sich auf der hübsch gestalteten Landkarte orientieren, im Booklet blättern oder einfach die Augen schließen und vom nächsten Urlaub träumen.

Sehnsucht Skandinavien. der Hörverlag 2023
www.penguin.de/verlage/der-hoerverlag

 

Weitere Rezensionen aus der Reihe Sehnsuchtsreisen des Hörverlags auf diesem Blog:

Alice Berend: Frau Hempels Tochter

  Eine Frau will nach oben

Wer beim Romantitel Frau Hempels Tochter an das sprichwörtliche Chaos unter dem Hempelschen Sofa denkt, liegt falsch. Als Portiersfrau in einem Berliner Mietshaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts sorgt Lina Hempel tatkräftig, mit viel Übersicht für Ordnung und ist überall zugleich. Sie sprüht vor Schaffenskraft, Durchsetzungsvermögen und Zielstrebigkeit. Ihr Mann ist Schuster, ein bescheidener Partner, der seine Lebensweisheiten vor allem aus dem Umfeld seines Handwerks schöpft, seine Frau liebt und klaglos akzeptiert, dass sein Wille nur in den ersten Ehejahren anerkannt wurde. Triebfeder für die mit viel Humor, Lebensklugheit, Pragmatismus und Herz ausgestattete Frau Hempel ist die Zukunft ihrer hübschen, vielversprechenden Tochter Laura, die es aus der Kellerwohnung herausschaffen soll:

Von dem Augenblick an, wo Frau Hempel das zierliche Wesen zum ersten Mal im Arm gehalten hatte, war es ihr klar gewesen, dass es das Mädchen besser haben sollte als sie. (S. 9) 

Viele Träume
Mehrere Sparkassenbücher auf Lauras Namen liegen gut verwahrt im untersten Schub von Frau Hempels Kommode, als das Mädchen mit 16 Jahren aus der Schule kommt. Nun gilt es, den richtigen Beruf und vor allem den zum ersehnten Aufstieg passenden Ehemann zu finden. Frau Hempel hat (fast) alles unter Kontrolle und träumt nebenher vom Landleben:

Aber jeden Sonntag dachte sie an das kleine Haus mit dem eigenen Dach und dem eigenen Schornstein. (S. 76)

Laura dagegen träumt von Graf Egon von Prillberg, Sohn verarmter Eltern aus dem Hinterhaus, dessen verbitterte Mutter sich wiederum nach einer reichen Schwiegertochter sehnt. Zunächst tritt sie jedoch eine Stelle als Kindermädchen bei der Hausbesitzerfamilie Bombach, dann als Zofe bei der jung verheirateten Bankierstochter an, was ihr so manche Einsicht beschert:

Sie aber wusste, dass die Reichen lange nicht so reich sind, wie die Armen glauben. (S. 49)

Welche Träume werden sich erfüllen?

Wiederentdeckung einer vergessenen Bestsellerautorin
Als Frau Hempels Tochter 1913 erstmals erschien, war die aus großbürgerlichem Milieu stammende deutsch-jüdische Schriftstellerin Alice Berend (1875 – 1938) bereits Bestsellerautorin und ihre Romane erschienen in Hunderttausender-Auflagen. Man verglich sie mit Theodor Fontane (1819 – 1898) und rühmte ihre realistischen Schilderungen des Kleinbürgermilieus ihrer Heimatstadt sowie ihre lakonisch-humorvolle Erzählweise, genau die Vorzüge, die mich auch über 100 Jahre nach dem ersten Erscheinen noch heute begeistern. Ihrer Karriere setzten die Nationalsozialisten ein Ende, als sie ihre Bücher 1933 verboten. Nach ihrer Emigration 1935 starb Alice Berend vergessen und verarmt im italienischen Exil.

Alice Berend: Frau Hempels Tochter. Porträt der Autorin von Emil Stumpp 1928: gemeinfrei. Collage: © B. Busch. Cover: © Reclam.

Dem Reclam Verlag und seiner Reihe Reclams Klassikerinnen ist es zu verdanken, dass der so gar nicht verstaubte Roman mit einem sehr informativen Nachwort von Margret Greiner neu aufgelegt wurde. In den letzten Jahren habe ich mit großer Freude viele moderne Klassiker für mich entdeckt: von Gina Kaus (1893 – 1985), Vicki Baum (1888 – 1960), Maria Borrély (1890 – 1963), Margaret Kennedy (1896 – 1967), Margaret Laurence (1926 – 1987), Tove Ditlevsen (1917 – 1976), Marianne Philips (1886 – 1951) oder ihrem männlichen Kollegen Tarjei Vesaas (1897 – 1979), allesamt echte Lesehighlights. Mit Frau Hempels Tochter habe ich mich ganz besonders gut unterhalten und empfehle das Buch daher wärmstens. Die Nebencharaktere aus verschiedenen Gesellschaftsschichten sind wunderbar plastisch ausgeführt und in Frau Hempel habe ich mich regelrecht verliebt. Diese warmherzige, zielstrebige Frau, die ihre Wurzeln nicht vergisst, nie verzagt und allzeit das Herz auf dem rechten Fleck hat ist eine unvergessliche Protagonistin.

Ich hoffe auf viele weitere Neuveröffentlichungen aus dem reichen Werk von Alice Berend.

Alice Berend: Frau Hempels Tochter. Mit einem Nachwort von Margret Greiner. Reclam 2025
www.reclam.de

Yael van der Wouden: In ihrem Haus

  Ein Haus mit dunkler Geschichte

 

 

 

1961, zehn Jahre nach dem Tod ihrer strengen Mutter, lebt die knapp 30-jährige Isabel Den Brave verbittert, ängstlich und allein im Haus der Familie bei Zwolle:

Sie hatte noch nie jemanden durchs Haus geführt, keine neuen Freundschaften geschlossen oder Besuch eingeladen. Die einzigen neuen Menschen, die das Haus je zu Gesicht bekamen, waren die Dienstmädchen […] (S. 116)

Bereits als Kind verlor sie den Vater. Ihre beiden Brüder, der zwei Jahre ältere Louis und der ein Jahr jüngere Hendrik, verließen das Haus früh, Louis, weil er nie von Amsterdam aufs Land wollte, Hendrik, weil die Mutter und auch Isabel seine Homosexualität nicht akzeptierten. Nur eine junge Haushaltshilfe kommt tageweise ins Haus, von der stets misstrauischen Isabel überwacht und tyrannisiert. Isabel, die die Familienmitglieder nicht festhalten konnte, bewahrt umso krampfhafter das Inventar des Hauses, poliert das Besteck und das gute Porzellan mit dem Hasenmuster, legt Inventarlisten an und registriert penibel jeden Verlust. Von ihrem Onkel Karel, der das Haus im Winter 1944 für Isabels verwitwete Mutter und die drei Kinder samt Möbeln, Haushaltsgegenständen und Spielsachen, darunter ein Kuschelhase, erwarb, soll es auf Louis übergehen, sobald der eine Familie gründet.

Yael van der Wouden: In ihrem Haus. Foto: © B. Busch. Cover: © Gutkind.

Aufgeladene Atmosphäre
Zu einem Geschwistertreffen bringt der unstete Louis zu Isabels Ärger seine neueste Eroberung mit: Eva. Isabel lehnt sie sofort offen ab und behandelt sie gemein, trotzdem quartiert Louis sie vorübergehend bei ihr ein. In der Folge registriert Isabel immer mehr verschwundene Gegenstände und Eva ist überall, was die ohnehin aufgeladene Atmosphäre anheizt.

Übergangslos schlägt diese grundlegende Ablehnung jedoch in stürmisches Begehren  um, das in langen, mit viel Lautmalerei unterlegten Abschnitten beschrieben wird.

Da sich die Anziehung zwischen Isabel und Eva auf körperliche Aspekte beschränkt, greift die niederländische Autorin Yael van der Wouden zur Kompensation der fehlenden Gespräche zum bewährten Mittel eines Tagebuchfunds. Der Zufall spielt Isabel Evas Tagebuch in die Hände, ein berührendes Dokument, das meine sämtlichen, vorher gehegten Vermutungen bestätigte.

Ein durchwachsenes Leseerlebnis
In ihrem auf Englisch verfassten Debütroman In ihrem Haus, der 2024 auf der Shortlist für den Booker Prize stand, thematisiert Yael van der Wouden ein verdrängtes Kapitel  niederländischer Nachkriegsgeschichte, ein zweifellos großes Verdienst. Während mich dieser gewiss gut recherchierte historische Hintergrund interessierte, gefiel mir die Umsetzung in Romanform mit Fortschreiten der Handlung immer weniger. Nicht nur der seitenlange Sex ohne Mehrwert für den Handlungsverlauf störte mich, weil ich diesen Detailreichtum unabhängig vom Geschlecht der Beteiligten nicht gern lese, sondern auch die Zeichnung der Figuren. Wie glaubhaft ist es, dass eine unverheiratete, mittellose Frau 1961 keinen Beruf hatte, und warum fragte sich selbst die erwachsene Isabel nie, wer das Haus samt Inventar aufgab? Schließlich habe ich auch der Verwandlung Isabels misstraut, wirft sie doch Hendrik bis zuletzt vor, sie und die Mutter im Stich gelassen zu haben.

Literarisch hat das Buch seine Stärken bei gelungenen Metaphern wie den Porzellanscherben oder in den Passagen, in denen das Haus als heimlicher Protagonist zur denkenden, fühlenden Figur wird:

Das Haus hieß sie nicht willkommen, sondern wandte beschämt den Blick ab. (S. 303)

Nach starkem Beginn war In ihrem Haus für mich ein insgesamt durchwachsenes, im Plot wenig überraschendes Leseerlebnis, dessen Zielgruppe ich eher beim jüngeren Publikum sehe.

Yael van der Wouden: In ihrem Haus. Aus dem Englischen von Stefanie Ochel. Gutkind 2025
gutkind-verlag.de

Leon de Winter: Stadt der Hunde

  Porträt einer Wandlung

Beruflich war Jaap Hollander, niederländischer Neurochirurg jüdischer Herkunft und Sohn eines einfachen Ölhändlers, eines „Oliejood“, stets an der Spitze seiner Zunft und gehörte zu den renommiertesten Hirnchirurgen weltweit. Weniger erfolgreich verlief sein Privatleben. Nach Jahren als berüchtigter Frauenheld ging er der zehn Jahre jüngeren Krankenschwester Nicole ins Netz, aus dem einzigen Grund, dass sie von ihm schwanger war. Weder die Tochter Lea, die für Jaap in vielem zu sehr ihrer Mutter glich, noch die neuerbaute neoklassizistische 14- Zimmer-Villa an der Vecht machten Jaap zufrieden. Die Ehe war und blieb ein Desaster, Jaap ein Despot.

Unvollendet
Während Jaap, ganz rationaler Wissenschaftler, keinen Bezug zu seiner Religion hatte, interessierte sich Lea ab dem Teenageralter für das Judentum, dem sie jedoch als „Vaterjüdin“ nicht angehörte. Eine „Birthright-Reise“ nach Israel im Anschluss an ihr Abitur sollte das ändern, doch Lea und ihr amerikanischer Freund Joshua Pollock verschwanden in einer kalten Wüstennacht am riesigen Ramon-Krater in der Negev-Wüste. Während die inzwischen geschiedene Nicole und die Pollocks allmählich den Tod ihrer Kinder akzeptierten, fand sich Jaap, der seit diesem Ereignis unter Haarausfall und einer rätselhaften Unfähigkeit im Erkennen von Gesichtern litt, nie damit ab:

Ohne Beweise oder Anhaltspunkte konnte er sich nicht mit etwas abfinden, das unvollendet war. Denn es war unvollendet. (S. 24)

Geheimmission „Amsterdam Hope“
Auch am zehnten Jahrestag ihres Verschwindens reist der inzwischen zwangspensionierte Jaap nach Israel. Doch dieses Mal läuft alles anders. Noch bevor er den Gedenkstein besuchen und einen renommierten Geologen mit weiteren Nachforschungen beauftragen kann, fängt ihn eine Vertraute des israelischen Ministerpräsidenten am Flughafen ab. Jaap soll unter strengster Geheimhaltung die Tochter eines mächtigen saudischen Prinzen an einer lebensbedrohlichen Fehlbildung des Gehirns operieren, eine junge Frau, die auf Wunsch ihrer Familie in nicht allzu ferner Zukunft ihr Land führen soll:

Auf ihr ruhen die Hoffnungen des gesamten Nahen Ostens! (S. 64)

Der Prinz hat eine astronomisch hohe Summe für diesen nach menschlichem Ermessen aussichtslosen Eingriff ausgesetzt, der Jaap im Falle seines Scheiterns das Leben kosten kann. Das Geld allerdings würde ihm eine erweiterte Suche nach Leas Spuren ermöglichen, die Herausforderung kitzelt seine berufliche Eitelkeit und er könnte beweisen, dass auch Unvorstellbares möglich ist. Eine Folge überraschender Ereignisse setzt sich in Gang.

Foto: © K. Pape. Collage: © B. Busch. Cover: © Diogenes.

Ein spannender Roman mit vielen Wendungen
Der Roman des 1954 in den Niederlanden geborenen, vielfach ausgezeichneten Autors und Filmemachers Leon de Winter ist die spannende Charakterstudie eines Mann, der sich durch äußere Umstände und eine persönliche Tragödie komplett verändert. In einer verrückten Mischung aus Realität und Fantasie begreift man bisweilen erst aus der Rückschau, was man zuvor gelesen hat. Jeder der fünf Teile wie auch die kursiv gedruckten zweieinhalb letzten Seiten bringen überraschende Wendungen. Unklar blieb mir allerdings einerseits, warum Jaap ein Misslingen der von allen als de facto chancenlosen Operation mit dem Leben bezahlt hätte, andererseits auf weite Strecken auch der tiefere Bezug zum Nahostkonflikt. Unterhalten hat mich der Roman trotzdem gut. Vom alten Jaap Hollander ist am Ende, wenn er durch die Straßen Tel Avivs, der „Stadt der Hunde“, streift, kaum etwas übrig. Dem neuen bleibt, wenn ich die letzten Seiten richtig interpretiere, nicht viel Zeit, die neue Heimat und den inneren Frieden zu genießen.

Leon de Winter: Stadt der Hunde. Aus dem Niederländischen von Stefanie Schäfer. Diogenes 2025
www.diogenes.ch