Eine sehr gelungene Biografie
2013/14 fand in Stuttgart die große Landesausstellung mit dem Titel „Im Glanz der Zaren. Die Romanows, Württemberg und Europa“ statt. Anhand der fünf Ehen zwischen dem Hause Württemberg und den Romanows wurde die enge Verbindung zwischen diesen so ungleichen Häusern gezeigt wurde. Die erste Ehe in dieser Reihe war die zwischen Maria Fjodorowna, gebürtige Prinzessin Sophie Dorothea von Württemberg (1759 – 1828), und dem einzigen Sohn von Katharina II, dem späteren Zar Paul I, die 1776 unter tätiger Mithilfe von Friedrich II von Preußen zustande kam.
Als aus der 16-jährigen Sophie Dorothea, die eine glückliche Kindheit in einer harmonischen Familie in Treptow und Mömpelgard verlebt hatte, 1776 durch den Übertritt zur russisch-orthodoxen Kirche Maria Fjodorowna wurde, lagen ein Leben im Glanz des Zarenhofes, aber auch eine Reihe von Schicksalsschläge vor ihr. Sie gebar vier Söhne und sechs Töchter und kam damit dem Hauptanliegen ihrer Schwiegermutter Katharina vorbildlich nach, doch solange diese lebte, war ihr der Umgang mit ihren Kindern zum großen Teil verwehrt. Ihr Mann Paul, traumatisiert durch die Ermordung seines Vaters und die Verachtung seiner Mutter, neigte zu Jähzorn und litt unter Verfolgungswahn. Nach zunächst glücklichen Ehejahren bezog sich sein Misstrauen zuletzt auch auf seine Frau und seine Kinder, die sich mehr und mehr vor ihm fürchteten. Trotzdem war seine Ermordung im Jahr 1801 ein Schicksalsschlag, über den Maria, die ihn geliebt hatte, nie hinwegkam. Fünf ihrer zehn Kinder starben vor ihr und Ereignisse wie die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege und die Kriege gegen die Türken überschatteten auch ihr Leben.
Zeitlebens hat sie die Begeisterung für die Kunst und ihr Wirken für die Wohlfahrt begleitet. Dank ihrer guten Erziehung und Ausbildung sowie einer Grand Tour durch Europa 1781/82 war sie in allen Bereichen der Kunst bewandert. Sie war selber als begabte Künstlerin tätig, sammelte Kunstgegenstände aller Art, wirkte maßgeblich mit am Bau und der Ausstattung von Pawlowsk und versammelte Künstler um sich oder unterhielt Korrespondenzen mit ihnen. Die Wohltätigkeit war ihr eine Herzensangelegenheit, sie förderte und gründete zahlreiche Bildungs- und Wohltätigkeitseinrichtungen und setzte sich für Behinderte ein, allerdings richtete sich ihr Interesse nur auf die Linderung von Missständen, nicht auf deren Behebung. So ließ sie in Waisenhäusern und Erziehungsanstalten elternlose Kinder betreuen, zweifelte aber nicht an der Richtigkeit des Verbots der Ehe für Hofangestellte. Sie war „die letzte Vertreterin einer höfischen Kultur, die sich schon vor ihrem Tod überlebt hatte“, oft konservativer als ihre Schwiegermutter, und machte sich bei den Revolutionen, die sie erlebte, nie die Mühe, nach den Beweggründen der Aufständischen zu fragen.
Die Historikerin und Journalistin Marianne Butenschön hat eine exzellente Biografie über diese hochinteressante Persönlichkeit der Geschichte geschrieben, in der sie ihr Leben und die historischen Zeitumstände gekonnt verknüpft. Die Balance zwischen Information und Unterhaltung ist hervorragend gelungen, der Schreibstil flüssig und gut lesbar, wobei die Autorin Grundkenntnisse in Geschichte voraussetzt, ohne die die Lektüre beschwerlich werden könnte. Den bedauerlichen Umstand, dass Maria nach ihrem Tod alle persönlichen Dokumente verbrennen ließ, gleicht die Autorin durch andere Quellen bestmöglich aus, doch werden vermutlich immer Rätsel bleiben. Die überkritische Haltung gegenüber Katharina II hat mich zwar ab und zu irritiert, das Lesevergnügen aber nicht geschmälert.
Die jeweils ca. 20 Seiten umfassenden Kapitel sind mit Stichwörtern und Jahreszahlen überschrieben, sodass eine Orientierung jederzeit gegeben ist und das Buch nach der Lektüre als Nachschlagewerk genutzt werden kann. Eine umfangreiche Bibliografie, detaillierte Anmerkungen, ein Personenverzeichnis, eine Zeittafel und ein kleiner Bildteil machen deutlich, dass es sich um eine wissenschaftlich recherchiertes Werk handelt. Vermisst habe ich die Stammbäume der beiden Familie und auch der Bildteil hätte umfangreicher sein dürfen, vor allem im Hinblick auf das so detailliert beschriebene Pawlowsk, wobei hier auch Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf normalem Papier ausreichend gewesen wären. Trotzdem ein großes Lob an Autorin und Verlag für diese Biografie, die meinen Erwartungen in nahezu allen Belangen gerecht geworden ist. Über kurz oder lang werde ich mit Sicherheit auch die Biografie über Marias Schwiegertochter Alexandra lesen und weiter beobachten, was Frau Butenschön und der Theiss Verlag zu diesem Thema veröffentlichen.
Marianna Butenschön: Maria, Kaiserin von Russland. Theiss 2015
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