Anšlavs Eglītis: Schwäbisches Capriccio

  Zwischen Krähwinkel und Idylle

Vier Jahre lang hatte der Schriftsteller Anšlavs Eglītis (1906 – 1993) während seines Exils in Tailfingen auf der Schwäbischen Alb Zeit, die Eigenheiten der Älblerinnen und Älbler und ihr Miteinander zu studieren. 1944 aus seiner Heimat Lettland vor der vorrückenden Roten Armee geflohen und in Berlin ausgebombt, strandete er Anfang 1945 auf dem Weg in die Schweiz zufällig in der schwäbischen Kleinstadt, die er erst 1949 Richtung USA wieder verließ. Diese Eckdaten stimmen, obwohl das 1951 im US-Exil erschienene Buch Schwäbisches Capriccio gewiss keine Autobiografie ist, mit denen seines Protagonisten Pēteris Drusts überein. Auch der will zunächst nur eine Nacht in „Pfifferlingen“ bleiben:

Was für eine lächerliche Vorstellung, ohne Not in diesem unbedeutenden Nest zu bleiben. (S. 15)

In 20 Episoden, in denen Pēteris Drusts nicht immer selbst auftaucht, werden die Pfifferlingerinnen und Pfifferlinger auf höchst unterhaltsame Art lebendig. Manche tauchen mehrmals auf, bei anderen weiß man es wegen häufiger Namensgleichheit nicht genau, denn bei den Vor- und Nachnamen herrscht wenig Kreativität. Überhaupt ist der Gleichklang in Pfifferlingen groß: die Hausfrauen führen ihre Arbeiten synchron durch, alle Einwohnerinnen und Einwohner haben die gleichen roten Wangen, mutmaßlich wegen der arktischen Temperaturen in den ungeheizten Schlafzimmern, und die „Liliputhäuschen“ sind einheitlich weiß und adrett.

Am Ende der Welt
Warum aber bleibt der studierte Weltbürger Drusts trotz des merkwürdig unverständlichen Dialekts, der sprichwörtlichen Sparsamkeit bis hin zum peinlichen Geiz, dem ungenießbaren Most, der allgemeinen Schläfrigkeit und bisweilen Einfältigkeit, sonderbaren Traditionen, dem Beharren auf dem Althergebrachten, der übersteigerten Standorttreue und der Ignoranz der Welt draußen trotzdem ganze vier Jahre in diesem „schlimmen Krähwinkel“? Schon als seine Zimmerwirtin ihm die erste Mahlzeit serviert, schwant ihm, solche „Provinznester“ könnten ihre Vorzüge haben. Und wirklich:

In ganz Europa tobte der Krieg, aber in Pfifferlingen bekam man davon so gut wie nichts mit. (S. 59)

Anšlavs Eglītis: Schwäbisches Capriccio. Foto: © M. Busch. Collage: © B. Busch. Cover: © Guggolz.

Nach der Trümmerstadt Berlin ist Pfifferlingen zwar ein überaus spießiges Provinzstädtchen, dafür aber intakt und gepflegt und mit optimal an ihren Mikrokosmos angepassten Einheimischen. Man grüßt freundlich, nie herrscht Eile, ein natürlicher Widerspruchsgeist sorgt für den kreativen Umgang mit Anordnungen von oben oder außerhalb und Ausländern geht es „eindeutig besser als in Preußen“ (S. 43), ein Landstrich, der bei Drusts nach den verhassten Russen ebenfalls schlechter wegkommt als Schwaben. Beim Abschied schwingt daher Wehmut mit:

Er verspürte eine eigenartige Wärme gegenüber dieser fremden Stadt, die ihm einen friedlichen und behaglichen Unterschlupf gewährt hatte. (S. 294)

Nicht nur heiter
„Ein ungewöhnliches Buch, das in keine Kategorie passen will“, nennt der Übersetzer Berthold Forssman Schwäbisches Capriccio in seinem vorzüglichen Nachwort, und das Titelblatt nennt keine Genrezuordnung. Für mich ist es trotz der Einzelepisoden ein Roman: mit der Kleinstadt Pfifferlingen als durchgängigem Protagonisten und einem Schlusskapitel, das virtuos den Bogen zum Anfang schlägt, was das Buch großartig abrundet.

Auch oder gerade als Schwäbin habe ich Schwäbisches Capriccio mit großer Freude gelesen und darüber gegrübelt, was davon schwäbisch, deutsch oder einfach ländlich ist. Ich habe über die grotesk überzeichnete Pfifferlinger Einfalt, die messerscharfe Beobachtungsgabe des Autors und seine humorvoll-bissige Erzählweise gelacht, wurde ernst bei Themen wie der sowjetischen Okkupation Lettlands oder der zweifelhaften deutschen Entnazifizierung oder war gerührt von Pfifferlinger Befindlichkeiten, Drusts Heimweh oder seinem Liebeskummer.

Ein weiterer neuentdeckter Klassiker aus dem Verlag Guggolz, dessen Lektüre sich unbedingt lohnt.

Anšlavs Eglītis: Schwäbisches Capriccio. Aus dem Lettischen und mit einem Nachwort von Berthold Forssman. Guggolz 2024
guggolz-verlag.de

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