Ein Sommer im Bergell
„Mein Zusammenleben mit Julia war auf jenen Punkt zugesteuert, der nur drei Wege zuließ: Entweder springe ich von der Köhlbrandbrücke, oder ich ermorde Julia, oder ich schließe die Tür hinter mir und fahre auf und davon. Für die Lösungen eins und zwei war ich zu feige.“
Das „Ich“ in diesem Roman des 1934 in Ostpreußen geborenen Autors Arno Surminski ist der Hamburger Computerfachmann Werner Gersdorf, um die 40 Jahre alt. Seine Frau Julia, mit der seit zehn Jahren verheiratet ist, ist seit drei Jahren alkoholkrank, oder, wie er es ausdrückt, hat ein Dämon von ihr Besitz ergriffen.
Im Mai stellt Gersdorf ihr sechs Flaschen billigen Branntwein und eine Kiste Bier ins Haus und flieht. Sein Mitleid hat sich aufgebraucht, geblieben ist nur noch der Ekel. Ziellos fährt er Richtung Schweiz und landet schließlich jenseits des Malojapasses im Bergell, im 60-Einwohner-Dorf Cassagia. Seine Stimmung schwankt zwischen der Hoffnung, Julia wäre tot, und quälenden Schuldgefühlen. Doch je länger er im Bergell ist, wird ihm immer klarer, wie sehr er sie immer noch liebt. Und während er sich am Anfang versteckt, legt er es nach einiger Zeit regelrecht darauf an, gefunden zu werden.
Zu dieser absolut ungewöhnlichen Liebesgeschichte greife ich seit 20 Jahren immer wieder. Längst habe ich die Originalschauplätze besucht und sogar mit viel Zittern die halsbrecherische Bergbahn zum Stausee benutzt. Die klare, schnörkellose Sprache, die absolut nichts beschönigt, die umwerfende Beschreibung der Natur im Bergell und die einfühlsame Schilderung sowohl der Alkoholkrankheit und des damit verbundenen Verfalls als auch der Machtlosigkeit Gersdorfs machen diesen kleinen Roman für mich zu einem absoluten Meisterwerk.
Arno Surminski: Malojawind. Ullstein 2002
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