Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie

  Ändern Sie den Status quo, Ladys!

[…] wenn ein Mann einen Tag als Frau in Amerika verbringen müsste, würde er gerade mal bis Mittag überleben. (S. 382)

Die 1950er-Jahre waren in den USA geprägt durch den wirtschaftlichen Nachkriegs-Boom, den Beginn des Kalten Kriegs, die aufkommende Bürgerrechtsbewegung und den Kampf gegen den Kommunismus. In den Familien waren die Rollen klar verteilt, weibliche Wissenschaftskarrieren nicht vorgesehen.

Elisabeth Zott, die selbstbewusste und beharrlich um ihre Rechte als weibliche Wissenschaftlerin kämpfende Heldin des Debütromans Eine Frage der Chemie der 1957 in Kalifornien geborenen Wissenschaftsjournalistin Bonnie Garmus kann und will die bestehende Rollenverteilung nicht akzeptieren. Sie hat Chemie studiert und pocht auf gleiche Wertschätzung ihrer Fähigkeiten wie bei ihren männlichen Kollegen:

Dumme Vorurteile gegenüber Geschlecht und Rasse hindern viel zu viele kluge Köpfe an wissenschaftlicher Forschung. Das empört mich, und es sollte Sie empören. (S. 392)

Im Haifischbecken
Elisabeth scheitert bereits bei ihrer Promotion, als sie sich gegen die sexuellen Übergriffe ihres Professors zur Wehr setzt, später leidet sie im Forschungsinstitut Hastings unter fortgesetzten Demütigungen, zotigen Kommentaren, weiteren körperlichen Übergriffen und dem Diebstahl ihrer Forschungsergebnisse durch die rein männliche Kollegenriege. Kurz scheint sich ihr Schicksal zu wenden, als sie dem seelenverwandten Chemikergenie Calvin Evans begegnet, einem Außenseiter mit Nobelpreisaussichten und einer ähnlich traumatischen Kindheit. Beide achten und befeuern sich gegenseitig in ihrer Kreativität und Schaffenskraft, bis ein Unglück die Beziehung jäh beendet. Unehelich schwanger verliert Elisabeth, die nie Kinder wollte, Mitte der 1950er-Jahre ihre Anstellung, schließlich muss das Institut auf seinen Ruf achten…

Kochen ist Chemie
Es folgen schwierige Jahre für die alleinstehende Mutter, auch wenn die patente Nachbarin Harriet Sloane und der märchenhaft intelligente Familienhund Halbsieben sie bei der Erziehung ihrer hochbegabten Tochter Madeline tatkräftig unterstützen. Da tut sich 1961 plötzlich eine neue Chance auf: Durch einen Zufall wird Elisabeth eine Kochsendung im Fernsehen angetragen, die sie ohne rechte Begeisterung aus Geldnot übernimmt. Aber Elisabeth Zott wäre nicht sie selbst, würde sie sich in einer Hausfrauenschürze vor die Kamera stellen und lächelnd die redaktionell vorbereiteten Texte sprechen. „Essen um sechs“ wird nicht nur zur ungewöhnlichsten, sondern schnell auch zur beliebtesten Kochsendung, denn zum Entsetzen ihrer Vorgesetzten gibt es bei der „leckeren Lizzie“ nicht nur Kochrezepte, sondern viel Chemie und noch mehr lebenspraktische Ratschläge:

Fordern Sie sich heraus, Ladys. Nutzen Sie die Gesetze der Chemie und verändern Sie den Status quo. (S. 426)

Foto: © B. Busch. Cover: © Piper

Ein Welterfolg
Lessons in Chemistry kam im Frühjahr 2022 weltweit gleichzeitig auf den Markt und hat sich bis heute in über 40 Sprachen mehr als sechs Millionen mal verkauft. Allein in der deutschen Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann als Lieblingsbuch der Unabhängigen 2022 waren es über 700.000 Exemplare. Witzig, mitreißend, spannend und als klares Statement gegen Sexismus ist der Roman leider in Teilen immer noch aktuell. Die Geschichte um die gleichermaßen hochbegabte wie alltagsfremde, durch und durch logisch denkende Wissenschaftlerin hat mich vor allem in der ersten Hälfte mitgerissen, während mir die zweite dann doch in Teilen etwas zu turbulent und aberwitzig wurde. Ein trotz dieser kleinen Einschränkung sehr empfehlenswertes und originelles Lesevergnügen!

Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie. Übersetzung aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Piper 2022
www.piper.de

 

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2015
2016
2017
2020

 

 

 

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