Wo Jungen nichts wert sind
Ein Leben wie das einer „Kanalratte“, ausgehalten von Müttern, Schwestern, Tanten und Kusinen, führen die Söhne in Lahores Vergnügungsviertel Hira Mandi, dem „Markt der Diamanten“. Hier, wo die Kinder keine Väter haben, träumen die Frauen davon, so viele Mädchen wie möglich zur Welt zu bringen, um nach dem Verblassen ihrer eigenen Schönheit von ihnen finanziell versorgt zu werden.
Dieses Schicksal scheint auch dem jungen Chanwaz bestimmt, denn aus dem Viertel der Tänzerinnen und Kurtisanen gibt es eigentlich kein Entrinnen. Geboren 1936, erlebt er als Kind die Teilung Indiens und die Gründung der islamischen Republik Pakistan und wird früh mit blutigen Massakern, Flucht und Vertreibung konfrontiert. Doch Chanwaz wehrt sich gegen die Perspektivlosigkeit, die viele Gleichaltrige in die Drogensucht treibt. Er lernt Lesen, Schreiben und Englisch und beginnt zu malen. Was zuerst nur belächelt wird, gibt ihm selber Halt und lässt ihn zum bekanntesten Maler Pakistans aufsteigen. Da er auf seinen Bildern das Elend seines Viertels und das Leben und Leiden der von der Gesellschaft ausgestoßenen Frauen zeigt, erregt er zunehmend das Missfallen der Mullahs.
Claudine Le Tourneur d’Ison kennt als Reisejournalistin das Land Pakistan sehr gut. Ihrem ersten Roman liegt das Leben des bekanntesten Malers Pakistans und Regimekritikers Iqbal Hussain zugrunde, den sie bei ihren Aufenthalten getroffen hat. Geschickt verknüpft sie Chanwaz’/Iqbals Leben mit der Biografie eines zerrissenen Landes von 1936 bis heute.
Claudine Le Tourneur d‘ Ison: Hira Mandi. Wagenbach 2006
www.wagenbach.de