Dorothy West: Die Hochzeit

  Rasse und Klasse

Ausgehend von 24 Stunden vor einer geplanten Hochzeit im Spätsommer 1953 erzählt die schwarze US-Amerikanerin Dorothy West (1907 – 1998) die Geschichte der reichen, zur schwarzen Oberschicht gehörenden Familie Coles über fünf Generationen. Sowohl unter den Vorfahren von Clark Coles, dem Brautvater, als auch denen der Brautmutter, Corinne Coles, finden sich Weiße. Die beiden Töchter, Liz und die Braut Shelby, sind hellhäutig und blond. Umso schockierender für die 98-jährige Urgroßmutter Gram aus altem weißem Südstaatenadel, die bis heute mit der Heirat zwischen ihrer Tochter und dem Sohn einer ehemaligen Sklavin hadert, dass Liz einen dunkelhäutigen Arzt geehelicht hat und Baby Laurie nach dem Vater schlägt. Ihre Hoffnungen ruhen nun auf Shelbys Bräutigam Meade, einem „echten Weißen“. Für Shelbys Eltern steht der weiße Jazzmusiker sowohl außerhalb ihrer Rasse als auch außerhalb ihrer sozialen Schicht.

© B. Busch

Die Hochzeit, benannt nach einem Ereignis, das wir im Buch nicht erleben, war der zweite und letzte Roman von Dorothy West. Sie veröffentlichte ihn 1995, fast 50 Jahre nach ihrem ersten, auf Betreiben ihrer Freundin und Nachbarin Jacqueline Kennedy Onassis. Er  erschien 1996 erstmals auf Deutsch, nun wurde er vom Verlag Hoffmann und Campe wiederentdeckt und in überarbeiteter Übersetzung neu veröffentlicht.

Aufstieg durch Bildung
Fasziniert hat mich die detaillierte Beschreibung des Entstehens der afroamerikanischen Bourgeoisie durch Fleiß, Ehrgeiz, Geschäftssinn, eiserne Sparsamkeit und den Drang nach Bildung für die Nachkommen. Dorothy West kannte dieses Milieu aus eigener Erfahrung, wurde doch ihr Vater noch als Sklave geboren und brachte es nach der Befreiung mit einem florierenden Lebensmittelhandel zu Wohlstand, was der Tochter ein Journalistik-Studium ermöglichte. Auch Martha’s Vineyard, die Insel der Wohlhabenden vor Massachusetts, wo die Familie Coles im Kreise Gleichgesinnter ihre Sommer verbringt, kannte sie genau, da sie dort ab 1943 im Ferienhaus ihrer Familie dauerhaft lebte. Die pointierte, oft ironische Darstellung von plumpem Rassismus einerseits, aber auch Ausgrenzung innerhalb der schwarzen bürgerlichen Gesellschaft, über die ich so noch nie gelesen hatte, sind für mich das Besondere an diesem Roman. Dank des Stammbaums vorn im Buch fällt der Überblick über die fünf Generationen nicht schwer. Viel schwieriger ist es, die feinen Nuancen der so bedeutsamen Hautschattierungen zu erfassen. Dorothy West beschreibt sie mit einer Vielzahl von Farbadjektiven und -vergleichen, die man sehr aufmerksam lesen sollte.

Ein Plädoyer für die Liebe
Die Bemühungen des Außenseiters Lute McNeil, einem erfolgreichen schwarzen Möbeltischler mit drei hellhäutigen Töchtern von drei weißen Frauen, der Shelby unbedingt in letzter Sekunde für sich gewinnen will, sorgen für Spannung. Trotzdem hat mir dieser Erzählstrang nicht so gut gefallen wie die Coles’sche Familiengeschichte. Meine Lieblingsfiguren waren eindeutig die junge Mutter Liz und die zunehmend selbstsicherer auftretende Shelby, die schließlich erkennt:

Die Hautfarbe war eine Scheindistinktion, die Liebe dagegen nicht. (S. 276)

Eine lesenswerte Wiederentdeckung
Die Hochzeit war für mich die lohnende Begegnung mit einer Autorin, die sich nicht als politisch verstand, sondern der Bedeutung von Ethnie im Alltag und komplexen Identitäten nachspürte. Das interessante Nachwort von Diana Evans, deren Roman Leute wie wir ich erst vor einigen Wochen gelesen habe, würdigt sie angemessen.

Dorothy West: Die Hochzeit. Aus dem amerikanischen Englisch von Christa E. Seibicke. Mit einem Nachwort von Diana Evans. Hoffmann und Campe 2021
hoffmann-und-campe.de

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