Noch lange nicht pensioniert genug
So, wie die Katze das Mausen nicht lassen kann, kann Jakob Franck, ehemaliger Hauptkommissar im Münchner Morddezernat, nach seiner Pensionierung nicht aufhören zu ermitteln. Er nimmt eine „inoffizielle Rolle als polizeilicher Hilfsdienstleister und Zuhörer in Notzeiten“ ein, überbringt wie zu seiner aktiven Zeit zur Erleichterung seiner ehemaligen Kollegen Todesnachrichten an Hinterbliebene und längst hat sein Nachfolger André Block begriffen und akzeptiert, „dass sein ehemaliger Chef noch lange nicht pensioniert genug war“.
Im aktuellen Fall Ermordung des Glücks, dem zweiten der Reihe nach dem 2016 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Start Der namenlose Tag, informiert Jakob Franck die Eltern des elfjährigen Lennard Grabbe über den Tod ihres vermissten Sohnes. 34 Tage nach seinem Verschwinden an einem Novemberabend bei strömendem Regen hat man die Leiche in einem Waldstück gefunden. Lennard wurde noch am Abend seines Verschwindens durch einen massiven Schlag auf den Kopf getötet, aber nicht missbraucht. Hoffnung auf Spuren gibt es nach so langer Zeit und angesichts der Witterung kaum, doch nicht nur die Soko, sondern auch Franck verbeißt sich in die Auflösung des Falles: „Vier Todesfälle blieben bei seinem Abschied aus dem Dezernat ungeklärt zurück. Er würde nicht zulassen, dass ein fünftes Verbrechen, in dessen Sog er geraten war – oder in den er sich aus freien Stücken begeben hatte -, in einer Akte bei den kalten Fällen endete.“ Außerdem möchte er den Eltern nach der Todesnachricht auch die Mitteilung von der Lösung des Falles überbringen. Eine Zufallsbegegnung? Ein Bekannter des Jungen, der bereits als Exhibitionist und Spanner aktenkundig wurde? Ein familiärer Hintergrund? Fünf verhaftete Crack-Dealer, zwei illegal in einer Brauerei beschäftigte Somalier und ein weiterer Spanner sind das Nebenprodukt der Ermittlungen, aber weit und breit ist kein Motiv und kein Täter im Falle Lennard Grabbe zu finden…
Neben der offiziellen Ermittlungsarbeit von Seiten der Polizei und dem ebenso ungewöhnlichen wie beharrlichen Vorgehen Francks besticht auch in diesem zweiten Fall wieder der Blick in die Abgründe der Gesellschaft und in die bis zu diesem Unglück scheinbar intakte Familienwelt der Grabbes. Die Unvereinbarkeit ihrer Trauer und ihre Sprachlosigkeit sind ständig fühlbar, und die düstere Stimmung wurde nur durch mein unbedingtes Vertrauen in Francks Fähigkeiten nicht übermächtig. Lennard, das einzige, spät geborene Kind, war der Lebensmittelpunkt vor allem der Mutter, die nun in ihren Schmerz versinkt, sich „vor aller Augen in einen Schatten“ verwandelt, jede Hilfe, auch die ihres Mannes und ihres sehr nahestehenden Bruders, ablehnt, und nachdem sie mit ihrem alten Leben abgeschlossen hat nicht weiß, ob sie ein neues beginnen soll.
Ein düsterer Krimi, der sich vom Gros seines Genres abhebt, nicht ganz realistisch, da ein pensionierter Polizist sich mit Sicherheit nicht so in die laufende Ermittlungsarbeit einmischen darf, aber ausgesprochen atmosphärisch, psychologisch interessant und von einer guten sprachlichen wie literarischen Qualität.
Friedrich Ani: Ermordung des Glücks. Suhrkamp 2017
www.suhrkamp.de