Auf Leben und Tod
Nein, dieses Buch war leider überhaupt nichts für mich, obwohl ich viele Romane von Ian McEwan, Abbitte, Am Strand oder Kindeswohl, zu meinen Lieblingsbüchern zähle, der Diogenes Verlag einer meiner bevorzugten Verlage ist und Bernhard Robben zu den von mir meistgeschätzten Übersetzern gehört.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein Embryo wird im Mutterleib Zeuge der Planung und Durchführung des Giftmords an seinem Vater, begangen von seiner ehebrecherischen Mutter und dem Onkel. Selbstredend ist der Fötus zur Untätigkeit verdammt und kann das Verbrechen nicht verhindern.
Prinzipiell hätte ich mir eine gelungene Umsetzung dieses Hamlet-Stoffs vorstellen können, speziell von einem Autor wie Ian McEwan, aber was ich dann gelesen habe, hat mich zu keiner Zeit überzeugt. Nicht nur, dass der unerträglich neunmalkluge Embryo, geschult durch nächtelanges Radiohören, alle den Autor beschäftigenden Themen vom Klimawandel über den Terrorismus, die Flüchtlingskrise usw. wie auf einer To-do-Liste abarbeitet, ein bisschen philosophiert und sein Expertenwissen über Weinsorten mitteilt. Beim Erzählen werden die Grenzen zwischen dem Hören, das ihm möglich ist, und dem Sehen, das ihm nicht möglich ist, immer wieder verwischt und führen so ständig zu logischen Brüchen in seinem Monolog.
In vielen Rezensionen wird der Humor dieses Romans gerühmt. Nun ist bekanntlich Humor eine Sache, über die sich trefflich streiten lässt. Ich für meinen Teil konnte der Geschichte so gar nichts Komisches abgewinnen, eher hat mich die wiederholte Beschreibung des Geschlechtsverkehrs aus der Sicht des Fötus extrem abgestoßen und der manierierte, altkluge Monolog genervt und sogar gelangweilt. Ich habe den Roman auch nicht als geistreich empfunden, eher wurde eine Vielzahl von Themen kurz angerissen und wirkte dadurch für mich platt.
Am Ende nimmt das Buch mit dem Auftauchen von Chief Inspector Allison doch noch ein wenig Fahrt auf, stellt sich etwas wie Spannung ein. Zu wenig allerdings, um mein Urteil noch zu ändern.
Ian McEwan: Nussschale. Diogenes 2016
www.diogenes.ch