Impressionen aus dem Literaturland Norwegen 

© B. Busch

Keinesfalls möchte ich hier den Reiseblogs Konkurrenz machen, die mit oftmals sehr hilfreichen Berichten und Tipps Lust auf Norwegen machen und die Reiseplanung praktisch unterstützen. Diesen Part überlasse ich denen, die es besser können als ich, und berichte stattdessen über alles, was mir in Bezug auf das Literaturland Norwegen während meiner dreiwöchigen Tour durch Teile Südnorwegens bis hoch nach Trondheim begegnete. Schließlich gab den letzten Ausschlag für die Reise der überaus eindrucksvolle Gastlandauftritt Norwegens bei der Frankfurter Buchmesse 2019.

Ständig begleitet hat mich der im Frühjahr 2022 in der fünften Auflage erschienene (und tatsächlich aktualisierte!) Reiseführer Norwegen von Armin Tima aus dem Verlag Michael Müller. Ich kann ihn ebenso empfehlen wie die Landkarte Norwegen Süd von Marco Polo im Maßstab 1:325 000, die zwar im Auto nicht gerade handlich, bei entsprechender Faltung jedoch als Ergänzung zum Navi sehr hilfreich war. Beide verdanke ich der ausgezeichneten Beratung im Reisebuchladen Karlsruhe. Dritter Begleiter war als Vorleselektüre während langer Fahrstunden das Norwegenbuch für „Fjord-Geschrittene“ I did it Norway! der Nordeuropajournalistin Alva Gehrmann von dtv, das in leichtem Ton unterhaltsam und informativ von Land und Leuten erzählt.

© B. Busch

 

Oslo

Vor dem Nationaltheater in Oslo grüßen von ihren Sockeln Henrik Ibsen (1828 – 1906), dessen Drama Nora oder Ein Puppenheim meine erste Begegnung als Schülerin mit der norwegischen Literatur war und das mich damals wie heute begeistert, sowie der erste norwegische Literaturnobelpreisträger und Verfasser der norwegischen Nationalhymne, der Dichter Bjørnstjerne Bjørnson (1832 -1910).

Das Nationaltheater Oslo, links Bjørnstjerne Bjørnson , rechts Henrik Ibsen. © B. Busch

 

Henrik Ibsen begegnete mir wieder als Porträt des Malers Edvard Munch (1863 – 1944) im neuen Munch-Museum direkt am Wasser neben dem futuristischen Opernhaus, ebenso wie sein allerdings schwedischer Kollege August Strindberg (1849 – 1912).

Henrik Ibsen im Porträt von Edvard Munch 1909/10. Munch Museum Oslo. © B. Busch
August Strindberg im Porträt von Edvard Munch 1896. Munch Museum Oslo. © B. Busch

 

Ein Eldorado für Bücherfans ist die 2020 eröffnete Hauptstelle der Stadtbibliothek Deichman in unmittelbarer Nähe der Oper und des Munch-Museums mit atemberaubender Architektur außen wie innen und fast einer Million Bücher, viel Atmosphäre, unzähligen Arbeitsplätzen mit teils umwerfender Aussicht, großer Aktionsfläche für Kinder, Kino, Restaurant und Veranstaltungsräumen.

Blick auf die Deichman-Bibliothek vom Dach der Oper aus. © B. Busch
Innenansicht der Deichman-Bibliothek. © B. Busch

 

Leider hatte eine weitere Literaturattraktion, das Litteraturhuset Oslo direkt am Schlosspark, verkürzte Sommeröffnungszeiten, weswegen ich es nur von außen sehen konnte. Hier finden jährlich etwa 1700 Literaturevents statt, haben zahlreiche Autorinnen und Autoren unter dem Dach ein „skriveloft“, arbeiten und tauschen sich aus, gibt es einen Buchladen und ein Café. Manchmal findet das Literaturhaus sogar in Romanen Erwähnung, wie etwa in Bergljots Familie von Vigdis Hjorth.

Litteraturhuset Oslo. © B. Busch

 

An der Außenmauer der Festung Akershus liegt, dem Meer zugewandt, eine Gedenkstätte für die von hier nach Auschwitz deportierten norwegischen Juden. Von den leeren Stühlen erzählte der Autor Simon Stranger bei einer Veranstaltung im November 2019 in Stuttgart zu seinem Roman Vergesst unsere Namen nicht.

Mahnmal für die deportierten norwegischen Juden. © B. Busch

 

Meine Lektüre während der Tage in Oslo war Lillelord von Johan Borgen (1902 – 1979), der erste Band einer Trilogie, die zu den bedeutendsten Romanwerken Norwegens gehört. Er spielt in der geschützten Welt des Bürgertums Kristianias, dem heutigen Oslo, unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Schöner Zufall, dass mein Hotel in unmittelbarer Nähe zu Lillelords fiktivem Elternhaus lag, von dem aus er einen Blick auf die Frognerbucht, die Halbinsel Bygdøy und das Schloss Oscarshall hatte.

Der Blick aus Lillelords fiktivem Elternhaus über die Frognerbucht auf die Halbinsel Bygdøy und Schloss Oscarshall. © B. Busch

In Oslo spielen auch mehrere Bücher, die ich in den letzten Jahren sehr gerne gelesen habe: der Thriller Tiefer Fjord von Ruth Lillegraven, die Romane Aufruhr in mittleren Jahren von Nina Lykke, Das Orangenmädchen von Jostein Gaarder und das Jugendbuch Battle von Maja Lunde.


Entlang der schwedischen Grenze

Von Oslo nach Trondheim hat man zwei Möglichkeiten: über Lillehammer durch das Gudbransdal oder entlang der Glåma und der schwedischen Grenze durch Østerdalen. Zwar gibt es bei der zweiten Alternative weniger Attraktionen, dafür aber sehr viel Natur und Ruhe. Hier spielt einer meiner liebsten norwegischen Romane: Pferde stehlen von Per Petterson, ein wunderbares Buch über das Leben in der skandinavischen Natur, die Besatzungszeit, ein schwieriges Erwachsenwerden, eine komplizierte Vater-Sohn-Beziehung sowie eine berührende, diskrete Liebesgeschichte.

Ostnorwegen nahe der Grenze zu Schweden. © M. Busch


Trondheim

In Trondheim liegt das Wohnhaus des Mannes, dem Simon Stranger in seinem Roman Vergesst unsere Namen nicht ein Denkmal setzt: Hirsch Komissar. Vor dem Haus liegt ein Stolperstein, der an ihn und sein Schicksal erinnert.

Wohnhaus Hirsch Komissar in der Klostergate 35 in Trondheim. © B. Busch
Stolperstein für Hirsch Komissar vor dem Haus Klostergate 35 in Trondheim. © B. Busch

 

Region Molde

Briefkasten von Edvard Hoem in Hoem. © B. Busch

Die Gegend um Molde und den Romsdalsfjord ist Hoem-Land, dort ist der Schriftsteller Edvard Hoem auf dem Hof Bakken im Bygd Hoem, einer ländlichen Gemeinschaft von Höfen 20 Kilometer von Molde entfernt, aufgewachsen, und dort lebt er heute, wie sein Briefkasten beweist, wieder auf dem benachbarten Bortehof.

Hof Bakken in Hoem. © B. Busch

Von seiner Kindheit auf dem Hof Bakken bis zu seinem Weggang mit 14 Jahren nach Molde erzählt Edvard Hoem äußerst eindrucksvoll in Heimatland. Kindheit.

Um die sehr berührende Liebesgeschichte seiner Eltern geht es in Die Geschichte von  Mutter und Vater. Ihr Grab findet sich neben der Kirche von Vågøy.

Grab von Edvard Hoems Eltern auf dem Friedhof Vågøy. © B. Busch
Kirche von Vågøy. © M. Busch

Nicht weit davon wirkte Edvards Hoems Ururgroßmutter Marta Kristine Anderdatter Nesje, die von 1793 bis 1877 in Nesje am Romsdalsfjord lebte und über 50 Jahre lang die erste staatlich bestellte Hebamme war. Ihr Leben beschreibt er in seinem Roman Die Hebamme.

Blick über den Romsdalsfjord Richtung Nesje. © B. Busch

 

Fjærland

In der letzten Verästelung des Sognefjords, am Fjærlandsfjord, liegt äußerst malerisch, langgestreckt am Wasser unterhalb des mächtigen Gletschers Jostedalsbreen, das kleine Dorf Fjærland, das sich selbst „bokbyen“ nennt und zu einem weltweiten Netz von Bücherdörfern gehört. Vier Kilometer Bücherregale gibt es hier in offenen Bücherschränken am Wegrand, dem Warteraum für die Fähre, Stallgebäuden, der ehemaligen Bank, dem Postamt und einem Lebensmittelladen, sorgsam geordnet nach Genres und präsentiert in einer unschlagbar  ruhigen, idyllischen Umgebung.

Bokbyen Fjærland. © B. & M. Busch

Ich habe dort für 100 Nkr gebraucht Felemakaren von Edvard Hoem erstanden und ein überaus freundliches Gespräch mit dem Antiquar über den Autor gratis dazubekommen. Der Roman erscheint im Herbst 2022 unter dem Titel Der Geigenbauer auf Deutsch, mal sehen, wie weit ich mit meinen Schwedischkenntnissen bis dahin beim norwegischen Original gekommen bin.

© B. Busch

Einen weiteren Hinweis zu Fjærland verdanke ich dem eingangs zitierten Buch von Alva Germann: Jostein Gaarder, der Autor so herausragender Bücher wie Sophies Welt, Das Orangenmädchen oder Genau richtig, hütete als Jugendlicher hier Schweine, war im neben der hübschen Kirche gelegenen Hotel Mundal „Junge für alles“ und kommt bis heute in dieses Dorf.


Bergenbahn

Fast schon ein Muss für Norwegentouristen ist die Fahrt mit der Flåmbahn, die von Flåm am  Aurlandsfjord ins 866 Meter hoch gelegene Myrdal führt, einem spektakulären Teil der Bergenbahn von Oslo nach Bergen. Am Bahnhof in Myrdal steigt man um und ich konnten einen kurzen Blick auf den Zug nach Bergen erhaschen.

Bahnhof Myrdal. © M. Busch

Von der Ingenieurskunst beim Bau der 526 Kilometer langen, rund 200 Tunnel, über 300 Brücken und extreme Gefällstrecken aufweisenden Bergenbahn erzählt der historische Roman Die Brückenbauer des Schweden Jan Guillou.


Stabkirchen

Mehr als 1000 Stabkirchen wurden während 200 Jahren gebaut, vorwiegend von der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zum Ausbruch der Pest 1349. Nur 28 davon sind heute noch erhalten. Um das Schicksal einer Stabkirche geht es im historischen Roman Die Glocke im See von Lars Mytting und in den beiden Fortsetzungsbänden

Die Stabkirchen von Torpo, Udval, Kaupanger und Borgund. © B. & M. Busch

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Vieles hätte es in literarischer Hinsicht noch zu entdecken gegeben, was nun leider auf den nächsten Norwegen-Urlaub warten muss.

Wem die Literaturtipps hier noch nicht genügen, dem möchte ich das Sachbuch Einer von uns von Åsne Seierstad über das Breivik-Attentat und die neuere Geschichte Norwegens empfehlen, den Mehrteiler Die Unsichtbaren und Die Kinder von Barrøy von Roy Jacobsen sowie unbedingt die modernen Klassiker von Terjai Vesaas (1897 – 1970) Das Eis-Schloss und Die Vögel.

8 Kommentare

  1. Liebe Barbara,
    wie liebevoll hast du deine literarischen Begegnungen von Norwegen festgehalten und für uns, deine Blogbesucher, dokumentiert! Das macht richtig Lust auf eine solche Reise. Allerdings befürchte ich, mein Liebster würde angesichts solch geballter Kultur streiken…. Jedem Tierchen sein Pläsierchen 😉
    Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich ein bisschen Werbung für diesen schönen Beitrag mache.

    Herzlichst, Sabine

    1. Liebe Sabine,

      es geht nichts über einen in jahrelanger Arbeit gut erzogenen Ehemann… Tatsächlich haben wir eine gute Balance zwischen Natur und Kultur gefunden.

      Über Werbung freue ich mich selbstverständlich sehr, danke!

      Liebe Grüße, Barbara

  2. Liebe Barbara,
    ich bin begeistert von Deinen norwegischen Impressionen! Oslo habe ich im Rahmen einer Bus-Rundreise 1972 unternommen. Allein (!!!!!) und ich war das ‚Küken‘ im Bus *gg*! Aber ich fand’s toll: über Dänemark gings nach Schweden und dann rüber nach Oslo. Von dort mit dem Schiff runter nach Kiel.
    Begeistert war ich neben den Landschaften und den Städten auch von der Sauberkeit in Skandinavien. (Ist das immer noch so?)
    Übrigens ist auf Grund Deines Berichts ‚Pferde stehlen‘ auf meinem Merkzettel gelandet! ‚Die Hebamme‘ hatte mich auch begeistert und auf sein Buch ‚Der Geigenbauer‘ freue ich mich auch schon, genauso wie auf den 3. Teil der Lars-Mytting-Trilogie!
    Noch ein langes Zehren von dieser schönen Reise wünscht Dir
    Ute

    1. Liebe Ute,
      danke für den lieben Kommentar, das freut mich sehr! Ursprünglich hatte ich gar nicht vor, aus den Eindrücken einen Blogbeitrag zu machen, aber dann hat es sich einfach aufgedrängt. Nun bin ich glücklich, dass meine Erlebnisse auch gelesen werden.
      Ich kann mir gut vorstellen, wie die Skandinavienreise dich damals beeindruckt hat. Ja, es ist immer noch auffallend sauber und der Zustand der Straßen macht neidisch.
      In Gedanken planen wir schon eine zweite Reise, es gäbe noch so viel zu sehen…
      LG Barbara

  3. Liebe Barbara,

    wunderbarer Reisebericht! Einige der Bücher, die du erwähnst, habe ich gelesen; Vigdis Hjorths „Bergljots Familie“ kann ich übrigens wärmstens empfehlen.

    Liebe Grüße,
    alasca

    1. Liebe alaska,

      es freut mich sehr, dass du den Beitrag mit Gewinn gelesen hast. „Bergljots Familie“ habe ich vor Ort gelesen und es lässt mich nicht los, auch wenn ich bezüglich der Art, den Missbrauch so zu verarbeiten Bauchweh habe.

      LG Barbara

  4. Liebe Barbara,

    vielen Dank für diese wunderbaren Impressionen. Wir sind ja selbst gerade noch in Oslo (bzw. warten auf die Abfahrt der Fähre), so dass man vor Ort durch deine Berichte und Fotos gleich noch einen intensiveren Zugang dazu bekommen hat.

    Die Deichman Bibliothek ist eine Freude. Dort hätten wir uns am liebsten selbst lesend niedergelassen. Auch das Literaturhaus hat uns gut gefallen, diesmal hatte es geöffnet.

    Von deinen literarischen Empfehlungen haben sehr viele mein Interesse geweckt, darunter Lillebror und „Die Unsichtbaren“. Da kommt man mit dem Lesen guter norwegischer Literatur ja kaum noch hinterher…

    Liebe Grüße,
    Christian

    1. Lieber Christian,

      vielen Dank! Ja, man bräuchte viel mehr Lesezeit, denn angesichts von massenhaft Neuerscheinungen müssen die älteren Bücher leider oft zurückstehen. Deshalb habe ich mir auf dieser Reise bewusst Zeit für meine „alten Norweger“ genommen und es sehr genossen.

      LG Barbara

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