Klaus Modick: Keyserlings Geheimnis

Unverhofftes Wiedersehen

Eduard von Keyserling (1855-1918), baltischer Graf, Dandy und Dichter, ist heute als deutscher Schriftsteller des Impressionismus eher ein Geheimtipp. Sein Porträt, gemalt von Lovis Corinth, das in der Münchner Neuen Pinakothek hängt, dürfte dagegen vielen bekannt sein. Keyserling war, als Corinth ihn bei einer gemeinsamen Sommerfrische am Starnberger See im Sommer 1901 malte, 46 Jahre alt und von der Syphilis bereits schwer gezeichnet, doch in den Augen des Malers durch das Geheimnis um seine Vergangenheit interessant. Was Corinth dem Grafen nicht entlocken konnte, enthüllt Klaus Modick in seiner teils fiktiven Künstlerbiografie Keyserlings Geheimnis: den Dorpater Skandal, den Wendepunkt in Keyserlings Leben.

Sicher ist, dass Keyserling seinen Studienort Dorpat 1877 fluchtartig verlassen musste, sein Studium der Rechtswissenschaften unbeendet ließ und in der baltischen Heimat zum gesellschaftlichen Außenseiter erklärt wurde. Nun, 23 Jahre später und nach einer schicksalhaften Begegnung bei einem Konzertbesuch, denkt er an die Dorpater Zeit zurück, an den Skandal, an die anschließenden Studienjahre in Wien, in denen er sich der Philosophie, der Kunstgeschichte und den Frauen widmete. Er lässt die Jahre 1890 bis 1894 revuepassieren, als er ohne jeden Hang und ohne Begabung zur Landwirtschaft und Gutsverwaltung in Vertretung seines älteren Bruders die Geschicke auf Schloss Paddern leiten musste, und denkt an sein Leben in der Schwabinger Bohème, das er nun endlich führen kann, ein Dasein im Müßiggang und ohne das Korsett seines Standes.

Das Besondere an Klaus Modicks Roman ist für mich nicht, dass er den Dorpater Skandal mit Leben füllt, obwohl er dies sehr geschickt und glaubhaft erzählt. Die Besonderheit liegt vielmehr darin, wie atmosphärisch er über die verschiedenen Stationen in Keyserlings Leben berichtet: vom Studentendasein in Dorpat mit den Studentenverbindungen und starren Konventionen, vom Leben auf Schloss Paddern und dem im Niedergang begriffenen baltischen Landadel, von den schon deutlich unkonventionelleren Jahren in Wien kurz vor der Jahrhundertwende und vom Schwabinger Künstlerleben mit den Freunden Max Halbe, Lovis Corinth und dem schwierigen Frank Wedekind. Jede Zeit hat ihre eigene Stimmung und der Spannungsbogen bleibt dank des Dorpater Geheimnisses bis zum Schluss erhalten. Lediglich ein paar Jahreszahlen mehr hätte ich mir zur Orientierung gewünscht.

Der Sprecher Detlef Bierstedt liest den glücklicherweise ungekürzten Roman auf sechs CDs in 400 Minuten mit seiner sehr angenehmen Stimme, die manchem als Synchronstimme von George Clooney bekannt sein dürfte. Er interpretiert den Text angemessen langsam und unaufgeregt und bringt sowohl die Melancholie als auch die feine Ironie hervorragend zur Geltung. Ohne die Stimme allzu sehr zu verstellen, gibt er jedem der Protagonisten eine eigene Note, dem sinnierenden Keyserling genauso wie dem exzentrischen Wedekind, dem polternden Max Halbe oder dem neugierigen Corinth. Gut gefallen haben mir auch die wenigen Sätze in baltischer Mundart, obwohl ich deren Qualität nicht fachmännisch beurteilen kann.

Sollte es Klaus Modicks Absicht gewesen sein, zur Lektüre von Keyserlings Werken anzuregen, so war er damit zumindest bei mir erfolgreich: Wellen (1911) liegt zur baldigen Lektüre bereit.

Klaus Modick: Keyserlings Geheimnis. Sprecher: Detlef Bierstedt. Audiobuch 2018
www.audiobuch.com

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert