Martina Borger: Wir holen alles nach

  Das Leben eben

Eine große Vielzahl von Themen hat Martina Borger in ihren neuen Roman Wir holen alles nach gepackt: Altersarmut, Scheidung, Patchworkfamilien, Betreuungsnotstand, Mobbing und Misshandlung, Wohnungsmarkt, moderne Arbeitswelt und Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Ökologie und Nachhaltigkeit sowie Vorurteile und Zivilcourage, um nur die wichtigsten zu nennen.

Jede Menge Probleme
Ellen Wildner, Münchnerin Ende 60 und seit 25 Jahren verwitwet, muss sich zu ihrer kleinen Rente etwas dazuverdienen, will sie im Ruhestand nicht auf alle Annehmlichkeiten verzichten oder den Söhnen auf der Tasche liegen. Trotzdem ist sie meist guter Dinge und weitgehend zufrieden mit ihrem Leben. Neben dem frühmorgendlichen Zeitungsaustragen erteilt sie Nachhilfestunden. Einer ihrer Schüler ist der achtjährige Elvis, ein sensibles, ungewöhnlich stilles und freundliches Kind, das ihr schnell ans Herz wächst. Deshalb und wegen des angebotenen Lohns willigt sie ein, als sich für Elvis‘ alleinerziehende, voll berufstätige Mutter Sina Poschmann in den Sommerferien kurzfristig ein zweiwöchiges Betreuungsloch auftut und sie Ellen um Hilfe bittet. Schon in der ersten Woche taut Elvis sichtlich auf, nicht zuletzt dank Ellens Borderterrier-Mischling. Endlich kann jemand auf ihn und seine Bedürfnisse eingehen und hat Zeit:

Er ist noch so jung, und dennoch ist sein Leben schon eine Abfolge von Trennungen, gebrochenen Versprechen, Zurückweisungen, er ist im Weg, muss untergebracht, wegorganisiert werden, er ist das wehrlose Unterpfand einer offensichtlich unschönen Trennung. Dennoch ist er rührend treu und loyal seinen Eltern gegenüber. (S. 98)

Doch als Elvis nach dem Wochenende, das er mit Sinas neuem Lebenspartner und bei einem Freund verbracht hat, wieder zu Ellen zurückkommt, ist er verändert, blass und krank. Außerdem bemerkt Ellen zu ihrem Entsetzen Verletzungen an ungewöhnlichen Stellen, über die er ihr keine Auskunft geben möchte. Sina, von Ellen darauf angesprochen, reagiert abweisend, und so muss Ellen selbst entscheiden, wie sie mit ihrer Beobachtung umgeht. Keine leichte Aufgabe, denn, wie ihr Sohn Vitus gerne sagt, gilt leider nur allzu oft: „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut“.

Zwei Frauen – ein Ziel
Martina Borger legt den Fokus abwechselnd auf die ganz unterschiedlichen Lebenssituationen der beiden Frauen, wobei Ellen etwas häufiger im Mittelpunkt steht. Beide haben größtes Interesse an Elvis‘ Wohlergehen, lassen sich jedoch leider von gegenseitigem Misstrauen und Eifersucht leiten, anstatt am gleichen Strang zu ziehen. Erst als sie ihre Vorbehalte beiseiteschieben, kommen sie endlich zum Wohle aller ins Gespräch.

Gute Unterhaltung
Auch wenn mir das ein oder andere Thema zu viel für einen knapp 300-Seiten-Roman war, es manches Klischees nicht bedurft hätte und mir Ellens plakative Vorträge zur Ökologie, zum Fleischkonsum und zur Nachhaltigkeit – obwohl auch mir diese Themen wichtig sind – etwas auf die Nerven gingen, hat mich das Buch mit seinem Ausgang doch überrascht und ich habe mich gefragt, wie ich mich verhalten hätte. Gute Unterhaltung also, verfasst in angenehm ruhigem Erzählton und in einem leicht lesbaren Stil, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Martina Borger: Wir holen alles nach. Diogenes 2020
www.diogenes.ch

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