Jeder ist seines Glückes Schmied
Aus drei Personenporträts setzt Milena Agus ihren Generationenroman Eine fast perfekte Welt zusammen. Die erste im Reigen ist Ester, eine Frau, die sich ihr Leben lang sehnt und nie den perfekten Ort findet, an dem sie leben und glücklich sein kann. Weder auf ihrer Heimatinsel Sardinien noch auf dem Festland findet sie ihr gelobtes Land.
Eine Lebenskünstlerin ist dagegen ihre gutmütige, aber keineswegs naive Tochter Felicita, die, obwohl vom Schicksal nicht verwöhnt, überall und in jeder Lebenslage das Positive erkennt. Viel mehr als Ester hätte sie Grund zur Klage, und doch ist sie als alleinerziehende Mutter ihres sonderlichen, verträumten Sohnes Gregorio in einer ärmlichen Wohnung im Hafenviertel von Cagliari so zufrieden, dass sie auch für die Menschen in ihrer Umgebung zur „Glücksbereiterin“ wird. Ihre Lebensphilosophie fasst sie in Sätzen über den italienischen Dichter und Philologen Giacomo Leopardi zusammen:
Das ist auch mein Lieblingsdichter, ich mag ihn wirklich sehr, ich kenne viele seiner Gedichte auswendig, finde aber, dass er nicht immer recht hat. Zum Beispiel in seinem „Dialog zwischen der Natur und einem Isländer“: Es gibt keinen Ort auf der Welt, wo sich dieser arme Isländer wohlfühlt. Er ist genau wie meine Mutter. Bei allem Respekt gegenüber Leopardi finde ich, dass genau das Gegenteil der Fall ist, nämlich dass es keinen Ort auf der Welt gibt, wo man sich nicht wohlfühlen kann.
Gregorio ist der erste in der Familie, der radikal seinen Träumen folgt. Weder sein Vater noch sein Großvater haben sich getraut, ihrer Liebe zur Musik nachzugeben, doch unterstützt von seiner Mutter macht Gregorio sich auf nach New York, um als Jazzpianist sein Glück zu finden.
Das gelobte Land
Terre promesse heißt der nur gut 200 Seiten umfassende Roman im italienischen Original und nach diesem versprochenen gelobten Land und dem Glück suchen alle Figuren der Geschichte mit unterschiedlichem Erfolg, nicht nur Ester, Felicita und Gregorio. Die drei Teile sind mit „Das Festland“, „Amerika“ und „Sardinien“ überschrieben, doch wie Felicita richtig erkannt hat, sind es nicht die Orte, die über Glück und Unglück entscheiden, es ist die Einstellung zum Leben, der Wille, Schicksalsschläge zu überwinden, und der Mut, den eigenen Weg zu gehen.
Starke Figuren
Obwohl die Grundstimmung des Buches so melancholisch ist wie die Frau auf dem Schwarz-Weiß-Cover und die Schicksalsschläge gegen Ende etwas zu zahlreich werden, hat sich die Tristesse beim Lesen nicht auf mich übertragen, ein Umstand, den ich vor allem Felicitas feinem Humor und ihrem Pragmatismus verdanke. Bedauert habe ich, dass Milena Agus‘ Heimat Sardinien nicht eine größere Rolle spielt; gerne hätte ich mehr über die Landschaft, die Geschichte und die Menschen erfahren. Dafür werden mir die eigenwilligen Romanfiguren und ihre Sehnsucht nach Glück im Gedächtnis bleiben.
Milena Agus: Eine fast perfekte Welt. Aus dem Italienischen von Monika Köpfer. dtv 2020
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