Rose Tremain: Und damit fing es an

Auch falsche Wege können zum Ziel führen

Mit seinem Lachen bezaubert Anton den kleinen Gustav schon in der Vorschule. Gustav, dessen Liebe zur Mutter nicht erwidert wird, der vaterlos und bitterarm in der Nachkriegszeit in Matzlingen im Schweizer Mittelland aufwächst und zur Selbstbeherrschung erzogen wird, liebt und bewundert den klavierspielenden Bankierssohn vom ersten Augenblick an und fühlt sich in dessen Familie geborgen. Doch über 50 Jahre müssen vergehen, viele falsche Wege beschritten werden, bis beide ihr Zuhause finden.

Rose Tremain erzählt in ihrem leicht zu lesenden Roman in drei Teilen die Lebensgeschichten der so unterschiedlichen Männer. Im zweiten Teil, der zeitlich größtenteils vor der Geburt von Gustav liegt, liefert sie mit der Geschichte der Ehe seiner Eltern und der Entlassung des Vaters aus dem Polizeidienst die Erklärung für das Verhalten der Mutter ihm gegenüber während seiner im ersten Teil beschriebenen Kindheit in den Jahren 1947 bis 1952. Der dritte Teil von 1992 bis 2002 zeigt Gustav und Anton in fortgeschrittenem Alter.

Viele interessante Themen schneidet Rose Tremain an, leider ohne sie zu vertiefen,  sei es die Einwanderung der von den Nazis verfolgten Juden und die Abschottung der Schweiz, die Angst, in den Zweiten Weltkrieg verwickelt zu werden, oder die traumatischen Erlebnisse eines Engländers in Bergen-Belsen. Diese Ereignisse blieben für mich farblos. Gestört hat mich außerdem die z. T. obszöne Sprache in den Sexszenen, die zumindest im ersten und zweiten Teil überhaupt nicht in die Zeit passt. Auch fand ich einige der Personen, vor allem Frauen, überzeichnet.

Insgesamt habe ich die Lektüre trotzdem nicht bereut, denn Rose Tremain versteht es, ihre Leser zu unterhalten. Ich würde auch ein weiteres ihrer Bücher lesen, obwohl ich hier nur 3,5 Sterne, aufgerundet 4, vergebe.

Rose Tremain: Und damit fing es an. Insel 2016
www.suhrkamp.de

Oliver Matuschek: Drei Leben

Die Lebensgeschichte eines Meistererzählers

Anlässlich des 125. Geburtstages von Stefan Zweig, einem der großen Autoren des 20. Jahrhunderts, erschien 2006 Oliver Matuscheks Biografie Drei Leben – Eine Biographie. Ich habe mich gefragt, ob es dieser angesichts von Stefan Zweigs herausragender Autobiografie Die Welt von gestern überhaupt bedarf, aber da er selber nur äußerst sparsam über sein eigenes Leben und viel mehr über die Zeit berichtet („Es wird eigentlich nicht so sehr mein Schicksal sein, das ich erzähle, sondern das einer Generation.“), erfahren wir bei Matuschek durchaus viel Neues.

Der Titel spiegelt die formale Einteilung des Buches wider, die einer strengen zeitlichen Ordnung folgt. Im ersten Teil von Zweigs Geburt im Jahr 1881 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zeigt uns Matuschek die sichere Welt des Bürgertums, im zweiten vom Ende des Ersten Weltkriegs bis 1934 die Salzburger Zeit bis zum Weggang Zweigs ins Exil und der dritte Teil vom 18.02.1934 bis zu seinem Tod am 22.02.1942 die Zeit im Exil.

Die Biografie wertet neue Quellen, wie z. B. die Briefe des Bruders Alfred Zweig, Erinnerungen der Nachkommen von Stefan Zweig und Lotte sowie Originaltexte aus Privatsammlungen aus. Sie ist gründlich und fundiert, hält sich an Tatsachen und verzichtet weitestgehend auf Spekulationen. Dass ich trotzdem den Eindruck hatte, dem Menschen Stefan Zweig in seinen Büchern näher zu kommen als in dieser Biografie, mag an meiner besonderen Liebe zu seinem Werk liegen. Die Biografie ist auf jeden Fall eine  empfehlenswerte Ergänzung.

Oliver Matuschek: Drei Leben. Fischer 2006
www.fischerverlage.de

Suza Kolb: Der Esel Pferdinand – Pferdsein will gelernt sein

Von wegen blöder Esel!

Da hat sich der kleine Esel Ferdinand, den alle immer nur auf später vertrösten, so auf Emmi, die Enkelin seiner Besitzer gefreut. Bei ihr will er endlich ein richtiger Kinder-Führesel werden, aber dann findet Emmi Esel langweilig und möchte lieber ein Pony. Welche Enttäuschung!

Auch Ferdinand wünscht sich, nachdem er die Pferde und das Pony auf dem Nachbarhof erlebt hat, nichts sehnlicher, als ein elegantes Pferd zu sein, auch wenn sein bester Freund, der unternehmungslustige Ziegenbock Paule, sich fast totlacht, und Emmi Ferdinand inzwischen ins Herz geschlossen hat.

Bei ihrem gemeinsamen Auftritt während eines Hoffest-Zirkusses möchten Ferdinand, Paule und Emmi allen zeigen, was für ein klasse Team sie sind. Doch es kommt noch besser als geplant: Ferdinand wird zum Held des Tages und stellt selbst die Pferde in den Schatten…

Die witzig und ausdrucksstark illustrierte Geschichte um die drei dicken Freunde, den Wunsch, schnell groß zu werden und ein anderer zu sein, und Ferdinands Probleme mit dem gemeinen Bruder und den arroganten Pferden ist sehr kindgereicht erzählt und geht ans Herz. Zum Glück ist aber kein Schmerz so groß, dass eine Mohrrübe ihn nicht vertreiben kann!

Eine sehr unterhaltsame Vorlesegeschichte für Jungen und Mädchen ab fünf Jahren, bei der sich die Erwachsenen in Mutter Esel oder Ziege wiedererkennen werden, oder zum Selberlesen ab der dritten Klasse. Besonders empfehlenswert ist dieses Buch darüber hinaus wie alle Produkte aus dem Magellan Verlag wegen seiner ökologischen, regionalen und sozialverträglichen Herstellungsweise.

Suza Kolb: Der Esel Pferdinand – Pferdsein will gelernt sein. Magellan 2016
www.magellanverlag.de

Kate Brian: Shadowlands

Enttäuschend

Nach der Leseprobe hatte ich einen Jugendbuch-Thriller im All-Age-Bereich erwartet. Der Beginn ist äußerst spannend und der um Haaresbreite missglückte Mordanschlag auf die jugendliche Rory Miller fesselnd geschildert. Allerdings hatte ich bereits bei der Leseprobe meine Zweifel, ob das Buch wirklich ab 14 empfohlen werden kann. Und das ist auch schon mein erster Kritikpunkt: Die Gefahr für Rory und ihre Familie durch einen Serienmörder ist so bedrohlich und gruselig geschildert, dass die ich das Buch frühestens ab 16 empfehlen würde. Dagegen sind die Beziehungsprobleme der beiden Schwestern eher pubertär und damit für ältere Leser langatmig. Hier wäre die Zielgruppe ab 14 eher angesprochen.

Gut gefallen hat mir in der ersten Hälfte die Spannung und die Schilderung der Flashbacks, die Rory verfolgen. Auch der Schreibstil ist angenehm. Ab der Fahrt nach Juniper Landing, wohin die Familie im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms vom FBI geschickt wird, konnte ich allerdings zunehmend weniger mit der Handlung anfangen. Es tauchten immer mehr Fragen auf und ich war sehr gespannt, wie die Autorin sie auflösen würde, um dann vom Ende vollkommen enttäuscht zu werden. Eine billige Auflösung, die viel zu viele Fragen offen lässt und damit – trotz Spannung am Anfang – ein insgesamt enttäuschendes Buch mit fraglicher Zielgruppe.

Kate Brian: Shadowlands. Coppenrath 2015
www.coppenrath.de

Tariq Ali: Die steinerne Frau

Marmara im Sommer 1899

Tariq Ali, 1943 in Pakistan geboren, der inzwischen als Journalist, Schriftsteller, Historiker und Fillmproduzent in London lebt, und den Daniel Cohn-Bendit als „Grenzgänger zwischen der westlichen und arabischen Welt“ charakterisiert, lässt in diesem historischen Roman das Osmanische Reich des Jahres 1899 wiederauferstehen.

In der Sommerresidenz des adeligen Patriarchen Iskander Pascha in Marmara am Schwarzen Meer hat sich die Familie versammelt, weil das Familienoberhaupt erkrankt ist. Frauen, Kinder, darunter die Ich-Erzählerin Nilofer, und Brüder geben sich ein Stelldichein.

Tariq Ali lässt uns einerseits teilhaben an den Einzelschicksalen der Familienmitglieder und der Dienstboten, die bei der Steinernen Frau, einem Gebilde am Ufer des Schwarzen Meeres, ihre „Beichte“ ablegen, andererseits erfahren wir durch die Diskussionen der Protagonisten viel über die politische Entwicklung des Landes.

Der manchmal märchenhaft anmutende Familienroman spricht alle Sinne an und zeigt ein angesichts der Anschlagsflut radikaler Muslime manchmal kaum mehr präsentes Bild der Toleranz des Islams gegenüber anderen Religionen.

Tariq Ali: Die steinerne Frau. Diana 2003
www.randomhouse.de

Grégoire Delacourt: Die vier Jahreszeiten des Sommers

L‘ amour toujours

Dies ist kein durchgängiger Roman, es ist aber auch keine zufällige Sammlung von Kurzgeschichten zum Thema Liebe, denn je länger man liest, desto mehr Verbindungen zwischen den vier Geschichten kann man entdecken, und genau daran hatte ich beim Lesen großen Spaß. Am Ende finden die Geschichten wunderbar zusammen und bilden doch ein Ganzes, obwohl sich die Figuren nur am Rande begegenen, fast wie Kugeln auf einem Billardtisch, die einander streifen oder zusammenprallen und dann wieder auseinanderdriften. Dass dies wie unausweichliche Fügungen und nicht im Mindesten konstruiert auf mich gewirkt hat, ist der Erzählkunst des Franzosen Grégoire Delacourt zuzuschreiben, der die Handlung mit spielerischer Leichtigkeit erzählt.

Dabei sind die Lebensschicksale der vier Hauptpaare – es gibt am Rande noch einige mehr – keineswegs der typische Stoff für eine sommerleichte Strandlektüre, auch wenn sich das Buch einfach lesen lässt. Für eine melancholische Hintergrundmelodie sorgt der immer wieder zitierte französische Sommerhit des Jahres 1999, Francis Cabrels tragisches Chanson „Hors saison“, für den roten Faden die Sprache der Blumen, der Atlantikbadeort Le Touquet bei Boulogne-sur-Mer und das übergroße Bedürfnis der Menschen, nicht allein zu sein.

Am 14. Juli 1999, dem letzten französischen Nationalfeiertag vor der Jahrtausendwende, verflicht sich das Leben der vier Paare an einem Atlantikstrand in Nordfrankreich. Da ist das junge, kindliche Paar mit dem ersten Liebeskummer, die Frau Mitte 30, die nie viel Glück mit den Männern hat, und die Mitte 50, die nach dem Weggang der Kinder ihrem Leben und ihrer Partnerschaft neuen Schwung geben will, und das alte Paar, das so viel zusammen erlebt hat und auch im Sterben vereint bleiben möchte.

Kritiker mögen diesem Episodenroman nicht ganz zu Unrecht einen Hang zum Kitsch und zur Pathetik vorwerfen. Mich hat es in diesem schmalen, sehr französischen Band, in dem bis zum Nachwort und zur Danksagung einfach alles stimmt, nicht gestört.

Grégoire Delacourt: Die vier Jahreszeiten des Sommers. Atlantik 2016
www.atlantikverlag.de

Kerstin Ekman: Tagebuch eines Mörders

Ein psychologischer Krimi

Dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, weil Doktor Glas, der schwedische Klassiker von Hjalmar Söderberg aus dem Jahr 1905, auf den sich Kerstin Ekman bezieht, für mich ein großartiger Roman ist. Darin träumt ein junger, einsamer und melancholischer Arzt von einer großen Tat und bringt einen verhassten Patienten, einen Pastor, mit Zyankalipillen um. Der perfekte Mord bleibt ungesühnt.

Kerstin Ekman geht in Tagebuch eines Mörders der Frage nach, woher  ein Autor die Ideen für seine Mordmethoden nimmt und was nach der Tat im Inneren eines Mörders passiert. Wie also kam Hjalmar Söderberg auf den raffinierten Einfall mit den Zyankalipillen?

Pontus Revinge ist ein junger Arzt aus ärmlichen Verhältnissen, vom Schicksal gebeutelt und emotional verarmt. Er ist für die Prostituierten in Stockholms zuständig, kann sich selbst aber keiner Frau nähern. Da lernt er den von ihm bewunderten Schriftsteller Hjalmar Söderberg kennen, der ihn nach einer perfekten Mordmethode fragt. Revinge schlägt ihm nicht nur einen Mord mit Zyankalipillen vor, er stellt auch welche her, zeigt sie ihm und beweist, dass er ein Mann der Tat ist. Doch anders als bei Doktor Glas hegen wird Verdacht gehegt…

Tagebuch eines Mörders ist wie Doktor Glas in Form eines Tagesbuchs und ganz im alten Stil geschrieben und wirkt auf mich selbst wie ein Klassiker. Dies und die detaillierte Beschreibung der Stadt Stockholm und der schwedischen Gesellschaft um 1900 haben mir sehr gut gefallen. Ansonsten habe ich leider keinen rechten Zugang zu diesem Buch, das halb Krimi, halb psychologischer Roman ist, gefunden.

Kerstin Ekman: Tagebuch eines Mörders. Piper 2011
www.piper.de

Solomon Northup: 12 Years a Slave

Zu Unrecht lange vergessen

Vorweg: Ich habe den Oscar-prämierten Film von Steve McQueen, der sehr werktreu sein soll, nicht gesehen, bin aber durch ihn auf das Buch von Solomon Northup aufmerksam geworden.

Der wahre Bericht über seine Verschleppung, den Solomon Northup zusammen mit seinem Co-Autoren David Wilson verfasst hat, erschien erstmals 1853, ein Jahr nach Harriet Beecher Stowes Onkel Toms Hütte, einer fiktionalen Erzählung. Beide Bücher wurden zu Bestsellern und lösten eine Debatte über die Sklaverei aus, doch geriet Twelve Years a Slave nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in Vergessenheit. Erst in den 1960er-Jahren wurde der Bericht wiederentdeckt, war aber eher in Historikerkreisen bekannt.

Als der amerikanische Regisseur Steve McQueen 2009 nach einer Vorlage für einen Film über die Sklaverei suchte, fand seine Partnerin, eine Historikerin, das Buch und war begeistert. Es war genau, was McQueen gesucht hatte: ein frei Geborener, der zum Sklaven gemacht wurde.

Solomon Northup, Afroamerikaner, wurde vor dem Sezessionskrieg als freier Mann im Staat New York geboren. Er war Schreiner und Geiger, hatte eine Frau und zwei Kinder. 1841 wurde er mit Hilfe einer List verschleppt und als Sklave nach Louisiana verkauft, wo er zwölf Jahre lang unter unvorstellbaren Bedingungen lebte und arbeitete. Seine Befreiung erfolgte 1853 ebenfalls durch Weiße.

Der Bericht ist in der Ich-Form verfasst und sehr langsam, etwas hochtrabend und extrem detailgenau. Sobald ich mich daran gewöhnt hatte, hat sich das Buch sehr leicht gelesen. Besonders imponiert hat mir an diesem Bericht über eine unvorstellbar brutale, unmenschliche und willkürliche Zeit, dass Solomon Northup nie pauschal verurteilt, sondern immer versucht, das wenige Positive herauszuheben.

In der Mitte enthält die Ausgabe 16 Seiten Bildmaterial aus dem Film.

Solomon Northup: 12 Years a Slave. Piper 2014
www.piper.de

Michael Petrowitz: Kung-Fu im Turnschuh

Unterricht bei Meister Ming

Unter dem Motto „Lesen lernen macht Spaß“ hat der Ravensburger Buchverlag in seiner Leseraben-Erstleserreihe Bücher in drei Lesestufen vom Lesestarter bis zum Überflieger im Programm mit Titeln für jeden Kindergeschmack. Bei Kung-Fu im Turnschuh handelt es sich um einen Titel der dritten Lesestufe, die für Kinder ab Mitte der zweiten Klasse zu bewältigen sein dürfte. Die Geschichte hat bereits längere Kapitel und eine umfangreichere Textmenge, ist jedoch noch in Fibelschrift gedruckt und sehr reich farbig bebildert. Ein Glossar am Ende erklärt die farblich abgesetzten, erklärungsbedürftigen Wörter im Text und auf einer Rätsel-Doppelseite kann man sein Leseverständnis beweisen. Außerdem kann man mit Büchern der Leseraben-Reihe Punkte bei www.antolin.de sammeln.

Nach Besuch aus dem Weltraum ist Kung-Fu im Turnschuh der zweite überaus fantasievolle Leseraben-Titel von Michael Petrowitz. Im Kern geht es darin um die Frage, ob es wirklich bestimmter Klamotten bzw. eines Paars superteurer Turnschuhe Marke Air Cushion Pro Max, dem Modell für Gewinner, bedarf, um angesagt und cool zu sein. Robins Vater will das zunächst nicht einsehen, gibt dem Drängen des überall gehänselten Neunjährigen jedoch schließlich nach. Doch leider kann Robin nur den rechten Turnschuh anziehen, denn im linken sitzt ein daumengroßer Mann mit Glatze, einem langen weißen Bart und einem orangefarbenen Gewand. Er stellt sich als Meister Ming vor, Großmeister aus dem Tempel von Shaolin, eben ein Turnschuh-Shaolin.

Dass er sich ausgerechnet Robin als seinen Schüler aussucht, hängt mit seiner eigenen Vergangenheit zusammen. Während seines Unterrichts lehrt er Robin nicht nur den Schlangenhals-Wurf, mit dem der endlich Rodeo und seine Bande in die Schranken verweisen kann, er verleiht ihm auch das nötige Selbstbewusstsein, um zu erkennen, dass Schuhe allein keinen Sieger machen.

Die sehr kindgerecht erzählte, herrlich schräge Geschichte um Coolness, Mobbing, Selbstbewusstsein, die Kraft der Meditation und Gewaltfreiheit hat mir sehr gut gefallen. Die Illustrationen sind passend zur Zielgruppe witzig und peppiger als in den Bänden der ersten Lesestufe und unterstützen das Textverständnis vor allem bei schwächeren Leserinnen und Leser, wobei ich den Titel eher im Bereich „Bücher für coole Jungs“ verortet sehe.

Michael Petrowitz: Kung-Fu im Turnschuh. Ravensburger Buchverlag 2016
www.ravensburger.de

Sue Monk Kidd: Die Erfindung der Flügel

Über die Freiheit von Körper und Geist

Sarah Grimké und ihre Schwester Angelina aus Charleston, South Carolina, waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten offiziellen Rednerinnen der Anti-Sklavereibewegung und die ersten bedeutenden Frauenrechtlerinnen der USA. Trotzdem sind sie heute so gut wie vergessen.

Sue Monk Kidd, die selber in South Carolina lebt, ist durch Zufall auf das Schicksal der beiden Schwestern gestoßen und hat ihnen mit ihrem Roman Die Erfindung der Flügel ein Denkmal gesetzt. Obwohl sie dafür in Tagebüchern, Briefen, Reden, Zeitungsartikeln, eigenen Dokumenten von Sarah und großen Mengen biografischen Materials recherchiert hat, folgt sie dem Leben der beiden Schwestern nur in groben Umrissen, ergänzt und fügt hinzu.

Sarah und die zwölf Jahre jüngere Angelina wurden in die Charlestoner Aristokratie geboren, ihr Lebensweg als Ehefrauen schien vorgezeichnet. Ihr Vater war Jurist und Plantagenbesitzer und selbstverständlich gehörten zum Besitztum der Familie Sklaven. Schon an ihrem elften Geburtstag, zu dem sie die zehnjährige Kammerzofe Hetty, genannt Handful, geschenkt bekommt, begehrt Sarah gegen die Sklaverei auf. Als sie trotz eines Skandals während  ihrer Geburtstagsfeier das Geschenk nicht verhindern kann, bringt sie Handful das Lesen und Schreiben bei, was zu einem weiteren Eklat führt. Es sollte nicht der letzte bleiben und  schließlich dazu führen, dass sie Charleston verlassen und bei den Quäkern im Norden eine neue Heimat finden musste.

Sue Monk Kidd erzählt das Leben von Sarah, Angelina und Handful in den Jahren 1803 bis 1838 aus zwei Ich-Perspektiven, nämlich der von Sarah und von Handful. Man erfährt von Sarahs gescheitertem Traum, Anwältin zu werden, und von ihrem Einsatz für die Befreiung und Gleichstellung der Schwarzen noch vor Harriet Beecher Stowes 1852 veröffentlichtem Roman Onkel Toms Hütte sowie ihrem Kampf für die Frauenrechte. Parallel dazu verfolgt man Handfuls Sehnen nach Freiheit, denn für sie ist nur ihr Körper Sklave, ihr Geist ist frei – im Gegensatz zu Sarah, die nach Handfuls Meinung zwar einen freien Körper besitzt, deren Geist aber unfrei ist.

Ein angesichts der immer noch virulenten Rassenprobleme in den USA hochaktueller, lesenswerter Roman.

Sue Monk Kidd: Die Erfindung der Flügel. btb 2015
www.randomhouse.de