Pierre Lemaitre: Die Farben des Feuers

  Man sieht sich immer zweimal

Erst nach der Lektüre von Pierre Lemaitres neuem Roman Die Farben des Feuers habe ich erfahren, dass es sich dabei um den zweiten Teil einer Trilogie handelt, der Trilogie de l’entre-deux-guerres. Der erste Band, Wir sehen uns dort oben, über die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wurde 2013 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die Fortsetzung von 1927 bis 1933 erfordert jedoch keine Vorkenntnisse.

Die linear erzählte Handlung beginnt mit einer pompösen Beerdigung. In Anwesenheit des französischen Präsidenten wird der verstorbene Bankier Marcel Péricourt, zentrale Figur der französischen Finanzwelt, Verkörperung einer vergangenen Epoche und Familienoberhaupt zu Grabe getragen. Als der Trauerzug sich in Bewegung setzen will, stürzt aus einem Fenster im zweiten Stock des Familienpalais der siebenjährige einzige Enkel des Verstorbenen, Paul, auf den Sarg und ist fortan querschnittsgelähmt. Seine Mutter und Alleinerbin Madeleine Péricourt, 36 Jahre alt, geschieden und in keiner Weise auf die Lenkung der Bank vorbereitet, ergibt sich ganz ihrem Kummer und wird eine leichte Beute für ihre Widersacher. Gustave Joubert, Prokurist der Péricourt-Bank, Mann der zweiten Reihe und als Ehemann zweimal von Madeleine abgewiesen, Charles Péricourt, Bruder des Verstorbenen und in Korruption verstrickter Politiker ohne politische Fähigkeiten, den sie nicht weiter finanziell unterstürzen möchte, sowie ihre betrügerische Gesellschafterin und Freundin Léonce treiben Madeleine in den finanziellen Ruin. Aus den Höhen der Bourgeoisie abgestürzt ins Kleinbürgertum schwört Madeleine Rache: „Man sieht sich immer zweimal im Leben…“. Ein perfider, millimetergenau durchgeplanter Rachefeldzug soll ihre Feinde vernichten, wobei die schlimmste Strafe dem Verursacher von Pauls Sturz gelten wird. Mit Hilfe zweier Kleinganoven und mit viel Geduld und Ausdauer macht sich Madeleine an die Umsetzung ihrer Pläne, die für jeden ihrer Feinde eine passgenaue Strafe vorsehen.

Pierre Lemaitre erzählt die Rachegeschichte vor dem bewegten Hintergrund der Banken-, Wirtschafts- und Regierungskrise im Frankreich der beginnenden 1930er-Jahre mit viel Humor und Ironie, so dass ich trotz der Tragik oftmals lachen musste. Da gleicht Hortense, Charles Frau, „die an Busen, Hintern und Geist beschränkt war“ mit ihren zahlreichen Lockenwicklern „auf erschreckende Weise jener Ehefrau, die alle Männer eines Tages zu haben fürchten“ und die Hässlichkeit seiner Töchter wird so eindrücklich geschildert, dass es ans Herz geht. Ein Satz wie „Monsieur Péricourt war der geometrische Punkt, auf dem die ganze Familie zerschellte“ ist ebenso komisch wie ins Schwarze treffend. Allerdings gibt es auch Handlungsstränge, deren Bedeutung sich mir nicht erschlossen hat, beispielsweise die Entwicklung von Paul und seine Beziehung zu einer Operndiva. An der ein oder anderen Stelle glaubte ich Ungereimtheiten zu entdecken, so beim Alter des Gauners Robert oder bei Pauls Behinderung. Manchmal schoss mir der Autor beim Fabulieren auch über das Ziel hinaus, wenn jede Nebenfigur mit einer eigenen irrwitzigen Geschichte bedacht wurde.

Alles in allem habe ich den Roman trotzdem sehr gerne gelesen, da er äußerst raffiniert konstruiert, spannend, unterhaltsam und sprachlich elegant ist.

Pierre Lemaitre: Die Farben des Feuers. Klett-Cotta 2019
www.klett-cotta.de

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