Es liegt was in der Luft
Nach dem Tod des wohlhabenden Geliebten der Mutter kommt der 17-jährige Franz Huchel im Jahr 1937 vom Salzkammergut nach Wien, um als Lehrling des kriegsversehrten Otto Trsnjek den Umgang mit Zeitungen, Schreib- und Rauchwaren in dessen Trafik, einem kleinen Laden, zu erlernen. „Es liegt was in der Luft“ gibt die Mutter ihrem verhätschelten, unbedarften Sohn, der mit seinen zarten, weißen Händen nicht für Waldarbeit oder Arbeit auf dem See taugt, mit auf den Weg. Tatsächlich kurbeln die schlechten Nachrichten zwar den Zeitungsverkauf an, aber die negativen Auswirkungen des „Anschlusses“ von Österreich ans Deutsche Reich machen auch vor der kleinen Trafik nicht Halt, und so wird aus dem Lehrling schnell der Geschäftsführer.
Vor dem Hintergrund der gewaltigen Umbrüche in Österreich 1937/38 begleitet der Roman Franz Huchel etwa ein Jahr lang auf seinem Weg zum Erwachsenenwerden. Mit der Zeitungslektüre erwacht in ihm, der zwar naiv, aber keinesfalls dumm ist, allmählich ein Bewusstsein für die Vorgänge um ihn herum, und dass er sich nicht von der Propaganda der Nazis verführen lässt, liegt an seinem aufrechten Wesen, seinem Sinn für Gerechtigkeit, dem Einfluss seiner Mutter und seines lebensklugen, wohlwollenden Lehrherrn und seiner Freundschaft zum über achtzigjährigen Sigmund Freud, einem Stammkunden der Trafik. Ihm, dem bis ins Salzkammergut berühmten „Deppendokor“, schüttet Franz sein Herz in Liebesdingen und sein Auf und Ab mit der böhmischen Varietékünstlerin Anezka aus, nur um zu erfahren, dass auch der große Psychoanalytiker keine Patentrezepte für den Umgang mit Frauen hat. Zwar sträubt sich Freud zunächst gegen Franz‘ hartnäckige Zudringlichkeit, aber die mitgebrachten Zigarren und die entwaffnende Ehrlichkeit des Jungen lassen ihn schließlich doch nicht kalt, und so führen die beiden so manches aufschlussreiche Gespräch, bevor der alte Freud 1938 ins Exil nach London aufbrechen muss.
Noch besser als die Gespräche mit Freud und die Traumzettel, die Franz jeden Morgen an die Auslagenfenster der Trafik heftet, haben mir die Briefe und Karten von Mutter und Sohn gefallen. Die Art und Weise, wie die Mutter aus jeder Andeutung des Sohnes die richtigen Schlüsse zieht und klug reagiert, zeugen von einer tiefen Verbundenheit, ebenso wie die Tatsache, dass Franz schlechte Nachrichten zum Schutz der Mutter liebevoll entschärft.
Obwohl ich früh gefürchtet habe, dass ein Roman vor dieser üblen zeitgeschichtlichen Kulisse nicht gut enden kann, habe ich doch bis zum Schluss darauf gehofft, denn Franz ist mir im Laufe der Geschichte immer mehr ans Herz gewachsen.
Robert Seethaler, 1966 in Wien geborener Roman- und Drehbuchautor sowie Schauspieler, erzählt die erstmals 2012 erschienene, tragische Geschichte vom Erwachsenwerden seines Protagonisten mit leichtem Ton und viel Zuneigung, dabei aber durchaus mit einer Portion Ironie. Der Verlag Kein & Aber hat daraus ein sehr schönes Taschenbuch mit blauem Schnitt, schlichtem Cover und klarem Druckbild gemacht.
Robert Seethaler: Der Trafikant. Kein & Aber 2016
keinundaber.ch