Celeste Ng: Kleine Feuer überall

Mutterschaft

Zwei ganz unterschiedliche Lebensentwürfe prallen im zweiten Roman von Celeste Ng (sprich: Ing), Kleine Feuer überall, aufeinander. Elena Richardson ist wie Shaker Heights, der Vorort von Cleveland, in dem bereits ihre Großeltern lebten und den sie selbst nur zum Studium für kurze Zeit verlassen hat: durch und durch geplant, reglementiert, geordnet. Sie und ihr Mann haben vier Kinder, zwei Häuser, vier Autos, ein kleines Boot und Angestellte für die perfekte Abwicklung des Alltags. Elena wählt demokratisch, denkt in Maßen fortschrittlich und ist der Überzeugung, dass die Welt nur richtig funktioniert, wenn man feste Regeln einhält. Einziger Wermutstropfen ist die jüngste Tochter Izzy, 14 Jahre alt, die sich seit der Schwangerschaft an keine Regel hält und das schwarze Schaf der Familie ist, impulsiv, kompromisslos und „dazu geboren, andere in Rage zu bringen“, vor allem ihre Mutter. Das ererbte Zweithaus in der Winslow Road stellt Elena als eine Form der Nächstenliebe für eine niedrige Miete Leuten zur Verfügung, „die es verdienen“. Die sorgfältig ausgewählten neuesten Bewohnerinnen sind die Fotokünstlerin Mia Warren und deren 15-jährige Tochter Pearl. Mia und Pearl führen ein Nomadenleben, besitzen nur, was sie in ihrem VW Golf transportieren können, sind seit Pearls Geburt 46 Mal umgezogen und leben, was Elena zugleich fasziniert und beunruhigt, nach eigenen Regeln. Doch dieser Umzug soll ihr letzter sein, Mia hat Pearl endlich versprochen, sesshaft zu werden.

Mit der Freundschaft zwischen der begabten Pearl und dem ebenfalls 15-jährigen Moody Richardson beginnt die immer stärkere Verflechtung zwischen den einzelnen Mitgliedern der ungleichen Familien, die schließlich in die zu Beginn des Romans geschilderte Tragödie mündet: Izzy hat viele kleine Feuer im Haus ihrer Familie gelegt und Mia macht sich mit Pearl wieder einmal auf den Weg. Doch schon lange bevor das Haus der Richardsons in Flammen aufgeht, gab es diese kleinen Feuer, sie loderten in der Vergangenheit der beiden Familien, in ihrer Umgebung und direkt in ihren Herzen.

Mutterschaft in all ihren Spielarten ist für mich das zentrale Thema dieses amerikanischen Gesellschaftsromans, der während der Clinton-Ära angesiedelt ist. Verschiedene Auffassungen über das Muttersein spielen genauso eine Rolle wie ungewollte Schwangerschaft, unerfüllter Kinderwunsch, Leihmutterschaft, Kindesaussetzung, Adoption und Kindesentführung. Während sich Celeste Ng für meinen Geschmack im ersten Drittel des Buches etwas zu viel Zeit für die Vorstellung ihrer Protagonisten lässt, nimmt es ab dann sehr an Fahrt auf, greift weit in die Vergangenheit zurück, verschränkt die verschiedenen Handlungsstränge sehr gekonnt und ist flüssig und packend erzählt. Die Autorin schlüsselt die Gründe, die zur Tragödie geführt haben, minutiös auf und wird dabei der Rolle jedes Mitglieds der beiden Familien gerecht.

„Manchmal muss man alles abbrennen und von vorn anfangen“ sagt Mia irgendwann zu Izzy, nicht ahnend, wie wörtlich das Mädchen diese Bemerkung nehmen würde. Genau dieser Neuanfang steht am Ende allen Beteiligten bevor.

Celeste Ng: Kleine Feuer überall. dtv 2018
www.dtv.de

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