Ernest van der Kwast: Mama Tandoori

Keine Rache?

Seine Romane Fünf Viertelstunden bis zum Meer und Die Eismacher mochte ich sehr, deshalb habe ich mich auf das neue Buch des in Bombay geborenen Niederländers Ernest van der Kwast gefreut. Erste Enttäuschung: Es ist nur auf dem deutschen Buchmarkt neu, das niederländische Original erschien bereits 2010. Versöhnt hat mich aber sogleich das knallbunte Cover mit den Chilischoten und ich war gespannt auf diese autobiografische Geschichte.

Es beginnt überaus witzig, immer wieder musste ich hell auflachen über die Art, wie Ernest van der Kwast vor allem seine aus Indien stammende Mutter beschreibt, die 1969 als Krankenschwester in die Niederlande kam, eigentlich nur kurz bleiben wollte und dann aus Mitleid seinen Vater geheiratet hat. Wie sie überall lautstark um den Preis feilscht, von Sonderangeboten magisch angezogen wird und alles kauft, was reduziert ist, wie sie Sperrmüll hortet und stets mit ihrem ganzen Hausrat verreist, das alles war äußerst amüsant zu lesen. Aber nach einiger Zeit stellte sich bei mir ein Gefühl des Unbehagens ein. Darf man als Sohn beschreiben, wie die Mutter mit dem Nudelholz auf Ehemann, Makler und Söhne einprügelt, in Hotels Handtücher, Bettwäsche und Wandschmuck mitgehen lässt und den Vater, einen weltweit renommierten Prostataforscher und totalen Pantoffelhelden, ohne Unterlass beleidigt?

Dabei erschließt sich im Laufe des Romans so manches über die Gründe für das Verhalten der Mutter aus ihrer Biografie: „Armut, Krieg, neun ältere Geschwister haben mehr als nur einen Kratzer im Charakter meiner Mutter hinterlassen.“  Ihr ältester Sohn und Augenstern Ashirwad ist nach einer Erkrankung im Kleinkindalter geistig behindert. Besessen von Hoffnung, wartet sie auf das Wunder der Heilung. Als der zweite Sohn Johan eine Muslimin heiratet und Ernest sein Studium der Wirtschaftswissenschaften zugunsten einer Karriere als Schriftsteller aufgibt, war „alles umsonst“: „Sie wollte mich nicht mehr sehen. Sie schämte sich, einen Schriftsteller als Sohn zu haben, und sie schämt sich noch heute. Dieses Buch ist keine Rache.“ Wirklich nicht? Tief getroffen hat Ernest van der Kwast verständlicherweise auch, dass die Mutter seinen Sohn, ihr erstes Enkelkind, nicht kennenlernen möchte.

Einzig im letzten Teil des Buches habe ich ein klein wenig Zuneigung des Autors zu seiner peinlichen, verbitterten Mutter gespürt. Er unternimmt eine Reise nach Indien, lernt in zwei seiner Tanten die „milde“ und die „schwierige Version“ seiner Mutter kennen und erfährt, wie sehr das Schreiben über ihre Person sie ängstigt: „Ich frage vorsichtig nach den frühen Jahren meiner Mutter, nach dem dunklen Fleck in ihrem Leben. ‹Ist es für dein Buch? ›, fragte Tante Jasleen. ‹Vielleicht. › ‹Deine Mutter ist sehr wütend. Sie tut kein Auge mehr zu. Sie sagt, du machst sie in deinem Buch lächerlich.› ‹Es ist Fiktion.›“

Insgesamt lässt mich dieser Roman unsicher zurück und es fällt mir sehr schwer, ein Urteil zu fällen. Die Geschichten über die indischen Tanten und den Bollywood-Onkel haben mir gefallen, auch die über Onkel Herbert, das schwarze Schaf der Familie van der Kwast, war sehr unterhaltsam. Ernest van der Kwast kann zweifellos amüsant und pointiert schreiben, aber Teile des Buches lesen sich für mich trotz aller Komik wie eine bittere Abrechnung, auch wenn nie klar wird, was davon Wahrheit, was Fiktion und was gar Satire ist.

Ernest van der Kwast: Mama Tandoori. btb 2018
www.randomhouse.de

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