Graham Swift: Da sind wir

  Von der Zauberei zur Magie

Eine Dreiecksgeschichte steht im Mittelpunkt des neuen Romans von Graham Swift, jenem britischen Autor, der spätestens mit Ein Festtag auch international bekannt wurde. Aber nicht was er erzählt, macht Da sind wir zu einem ganz besonderen Roman, vielmehr ist es das Wie, sein Spiel mit Zeitebenen, der komprimierter Stil, die wiederkehrenden Motive und die verschiedenen Blickwinkel in einem Text, der völlig ohne Kapiteleinteilung auskommt. Einzig der Titel vermag nicht die Mehrdeutigkeit des englischen Originaltitels Here We Are wiederzugeben.

Der Varieté-Sommer 1959
Der Hauptteil der Handlung spielt im Jahr 1959 und vor allem in einem Varieté für die Sommergäste im englischen Seebad Brighton. Dort ist Jack Robbins, der „Flinke Jack“, bereits zum zweiten Mal als Conférencier engagiert und führt durch eine schillernde Show. In diesem Jahr hat er seinem Freund aus dem gemeinsamen Militärdienst, Robbie Deane, ein Engagement als Zauberer verschafft. Der hat sich extra dafür eine Assistentin gesucht, Evie White, eine ehemalige Revuetänzerin, und gemeinsam treten die beiden Verlobten als „Pablo und Eve“ auf. Im Laufe der Saison verfeinert Robbie sein Programm, lässt die gewöhnlichen Zaubertricks immer mehr hinter sich zugunsten wahrer Magie, erarbeitet sich den begehrten Platz als letzte Nummer der Show und ganz oben auf den Plakaten, bis er schließlich zum „Großen Pablo“ avanciert, aber gleichzeitig Evie verliert.

Vor und nach dem Varieté-Sommer
Am meisten erfahren wir über Ronnies Vergangenheit und seine zwei Kindheiten: der ersten vor dem Krieg bei seiner Mutter unter ärmlichen Verhältnissen im Londoner Stadtteil Bethnal Green mit einem kaum anwesenden Vater, die zweite während seiner Kinderlandverschickung nach Oxfordshire zwischen 1939 und 1945. Wäre der Loyalitätskonflikt nicht gewesen, der Junge hätte das Leben dort in bescheidenem Luxus, in Sicherheit und liebevoll umsorgt uneingeschränkt genießen können:

Genau betrachtet hatte er zwei Kindheiten gehabt – fast schon zwei Leben -, und die zweite hatte die erste verdrängt. Er war von einem Ehepaar, den Lawrences, aufgenommen und wie ihr eigener Sohn aufgezogen worden. Und nicht nur das – Mr Lawrence, Eric Lawrence, war zudem Zauberer, dem es in Kriegszeiten an Gelegenheiten mangelte, seinen Beruf auszuüben.
Doch dann war der Krieg vorbei, und dieses – wie sollte man es nennen? – verzauberte Leben musste nicht nur ein Ende haben, es lief sogar wieder in die Gegenrichtung.

In einer weiteren Zeitebene treffen wir Evie 50 Jahre nach dem Varieté-Sommer, die auf ihr erfülltes Leben zurückblickt, auf Höhen und Tiefen, aber auch auf Geheimnisse.

So viel Magie
Geheimnisvoll wie so vieles andere in der Geschichte ist der prächtige Papagei vom Cover, den der Vater einst von einer Seereise mitbrachte, von Ronnie geliebt, von der Mutter kurzerhand verkaufte. Er taucht bei der Abschiedsvorstellung in Brighton wie aus dem Nichts anstatt der Taube auf. Illusion? Magie?

Es ist kaum zu glauben, wieviel Graham Swift auf nur knapp 160 Seiten zu erzählen vermag. Auch das grenzt an Magie.

Graham Swift: Da sind wir. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. dtv 2020
www.dtv.de

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